Günter Bischof / Peter Ruggenthaler: Österreich und der Kalte Krieg. Ein Balanceakt zwischen Ost und West (= Kriegsfolgenforschung; Sonderband 27), Graz: Leykam Buchverlag 2022, 336 S., 3 Kt., 57 s/w-Abb., ISBN 978-3-7011-0485-7, EUR 38,00
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Die österreichische Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg kann insgesamt als gut erforscht gelten. Für die ersten Jahrzehnte gibt es eine vielfältige und kleinteilige Forschungslandschaft, für die letzten Jahrzehnte sind die zu vertiefenden Themen noch zahlreicher. Beteiligt sind vor allem Historiker aus dem Land selbst, die aber mit international arbeitenden Forschern, vor allem aus den USA, zahlreiche Tagungen mit nachfolgenden Sammelbänden organisiert haben. Ausgangspunkt dieses Bandes war die Verneinung der Frage, "ob es ein Buch gebe, in dem man sich rasch einen Überblick über die Geschichte Österreichs im Kalten Krieg verschaffen könne" (11). Hinzu komme die "grundsätzliche Vernachlässigung Österreichs in der internationalen Geschichtsschreibung" (18f.). Um das Urteil vorwegzunehmen: Der Überblick für Studienzwecke ist weitgehend geglückt, internationale Wirkung dürfte dagegen bei einer deutschsprachigen Veröffentlichung kaum erreicht werden.
Die Autoren sind bestens durch umfängliche, wie detaillierte eigene Forschungen zur ganzen Zeit zwischen 1945 und 1989 ausgewiesen. Günter Bischof (Jg. 1953) lehrt seit Jahrzehnten in New Orleans und hat intensiv in Archiven in englischsprachigen Ländern gearbeitet; Peter Ruggenthaler (Jg. 1976) ist in Graz tätig und hat - vor allem auf russische Archive gestützt - breit publiziert. "Dieses Buch folgt einem klassisch-diplomatiegeschichtlichen Zugang ohne jedoch Aspekte der Kulturgeschichte, der Geschichte der Geheimdienste [...], der Geschichte des Atomzeitalters oder etwa Österreichs Interaktion mit der 'Dritten Welt' auszuklammern" (18). Mit klassisch dürfte gemeint sein, dass die Interaktion der Handelnden, stark auf die Befunde der Archive gestützt, im Vordergrund steht. Es geht also primär um eine Politikgeschichte der Außenbeziehungen.
Die vierzehn Kapitel folgen im Prinzip der Chronologie, setzen aber jeweils sachthematische Schwerpunkte. Darüber hinaus geht es sinnvollerweise nicht allein um die österreichischen Aktionen, sondern über weite Strecken auch um die der Großmächte und deren jeweilige Perspektiven auf Österreich. Dieses Land war in besonderem Maße nicht nur Akteur, sondern auch Objekt und Katalysator der Politik. Das begann mit der Moskauer Außenministerkonferenz 1943, als die Großen Drei Österreich als erstes, 1938 von NS-Deutschland besetztes Land bezeichneten und damit die Voraussetzungen für die schnelle Eigenstaatlichkeit noch 1945 schufen. Das setzte sich fort über die Neutralität der nun voll souveränen Republik 1955 und mündete ein in die bedeutsame passive Rolle als neutraler Ort, als Forum gleichsam, etwa beim Treffen Kennedy-Chruschtschow 1961 in Wien. Mit dem Titel "Vermittler im Kalten Krieg" ist das Kapitel für die Jahre seit 1961 wohl ein wenig zu aktivistisch bezeichnet. Wichtige KSZE-Vorverhandlungen fanden in Wien statt, und gerade hier rühmen die Autoren die österreichische Vermittlungsrolle zwischen Ost und West mit der wechselseitigen Akzeptanz der verschiedenen "Körbe" als "Sternstunde österreichischer Neutralitätspolitik" (320). An dieser Stelle wird der im Untertitel beschworene "Balanceakt" wohl besonders deutlich.
Eine der zentralen Deutungen ist die vom aggressiv-expansiven Charakter der Sowjetunion durch den gesamten Kalten Krieg hindurch. Ruggenthaler hat vor mehreren Jahren die These von Verhandlungs- oder gar Vereinigungschancen der sowjetischen Deutschlandnoten 1952 zurückgewiesen, und diese Einschätzung der Sowjetunion bildet auch den Grundzug für diesen Band auf weit breiterer Quellenbasis. Unumstritten sind solche Deutungen freilich nicht.
Gewiss gab es einen "sowjetischen Expansionsdrang" (60), der spätestens 1947 deutlich wurde, aber dieses Ideologem als durchgängig für die Zeit bis 1989/90 zu kennzeichnen, scheint im Lichte vieler neuerer Forschungen zumindest schwierig zu sein. Am deutlichsten zeigt sich die Deutung in der abschließenden Karte "Europa 1989". Waren die hier abgebildeten Militärblöcke wirklich durchgängig die zentralen Bestimmungsmarker? "Rot" gegen "Blau"? Merkwürdig erscheint es dagegen, wenn es demgegenüber auch einmal akteurslos heißt: "Der Kalte Krieg brach in Österreich zwischen 1946 und 1948 aus" (117).
Zur Entwicklung der Neutralitätspolitik heißt es kritisch: "Die Polenkrise Anfang der 1980-er Jahre führte deutlich vor Augen, dass Österreichs Neutralität 'ostlastiger' wurde" (159). In dem Zusammenhang wird an verschiedenen Stellen die weltpolitische Agenda des wohl wichtigsten Politikers zwischen 1959 und 1983, Bruno Kreisky (SPÖ), immer wieder vorgeführt, seine zahlreichen Osteuropabesuche, vor allem seine weltpolitischen Ansätze im Nahen Osten, Vermittlung zwischen Israel und der arabischen Welt. Hier befinden die Autoren: "Mit seinem Griff in die globale Politik schadete Kreisky aber auch dem Ansehen des neutralen Österreich in der Welt" und setzen nur hinzu: "behaupteten Politiker der ÖVP" (183), wenn sie von einem Palästina-freundlichen Ansatz schreiben. Da hätte man sich gewünscht, dass die Autoren zu einem eigenen, begründeten Urteil gekommen wären und sich nicht nur als skeptische Chronisten mit kaum erkennbarer eigener Meinung ausgeben. Schon als Kanzler verfolgte Kreisky zusammen mit Willy Brandt einen "Marshallplan" für die Dritte Welt (Gipfel von Cancún 1981). Das scheiterte, was als Faktum berichtet und dann bewertet wird: Das wäre "nicht ideal" für die Dritte Welt gewesen; die namensgebenden Programme des US-Außenministers von 1947 hätten doch auf ganz anderen Voraussetzungen beruht (262). Immerhin konstatieren sie hier eine Lücke für künftige Forschungen, die allerdings nur für den spezifisch österreichischen Beitrag zum Nord-Süd-Dialog gelten kann.
Wichtig und erhellend sind die Ausführungen über die ersten Jahre der neuen Staatswerdung, gerade die Konflikte mit Titos Jugoslawien, aber auch die Auseinandersetzungen mit Italien in Sachen Südtirol. Der Regionalstaat Österreich gewinnt so in vielfältigen Beziehungen zu seinen Nachbarn Gestalt. Beachtlich erscheinen für die Besatzungszeit die Beobachtungen über die wirtschaftliche Ausbeutung der sowjetischen Zone Österreichs, zumal in der Ölförderung. Ob mit dem hier regional wichtigen Faktum auch die Irankrise des Jahres 1946, als sich die Sowjetunion nicht vereinbarungsgemäß aus diesem Land zurückzog, als "Kampf um die Wirtschaft" angemessen gedeutet wird, sei dahingestellt; mir scheint der Ressourcenkampf für diese frühen Jahre überbewertet (50). Trotz aller Beschlagenheit der Autoren in internationaler Forschung zum Kalten Krieg unterlaufen bisweilen merkwürdige naturalistische Formulierungen: In Ungarn "brodelte es" nach Stalins Tod (140) - und es folgt eine ausführliche Darlegung der österreichischen Hilfe. In der zweiten Berlin-Krise wurde die Situation "immer brenzliger" - und Kreisky versuchte sich als Vermittler zwischen Chruschtschow und Kennedy (162).
Bemerkenswert sind die zur Staatsdiplomatie eher quer liegenden Kapitel, wie das über "Kulturkampf" im Kalten Krieg. Hier werden aber erneut konventionell diplomatiegeschichtlich die unterschiedlichen Konzeptionen der vier Mächte vor 1955 umrissen: "Kulturkampf an allen Fronten"; man hätte sich mehr anschauliche Beispiele gewünscht und nicht nur Top-down-Blicke. Bei der Frage nach einem "Tummelplatz der Geheimdienste im Kalten Krieg" wird ähnlich versucht, die Politikansätze der Besatzungsmächte vorzuführen, nicht so sehr die konkreten Maßnahmen oder gar deren Wirkungen. "Österreich im Atomzeitalter" (Kapitel 12) bündelt eher allgemein die Entwicklung militärischer wie ziviler Technologie, aber auch: Österreich wurde zum Sitz der zivilen Organisation Internationale Atomenergiebehörde. Sodann behandeln die Autoren knapp die Atomängste der Bevölkerung (und widmen sich damit auch einmal en passant sozialen Bewegungen), entfalten holzschnittartig die atomaren Einsatzpläne der Nuklearmächte (natürlich weltweit) und schließen, dass auch das neutrale Österreich im Weltkriegsfall nicht von Atomwaffenabwürfen verschont geblieben wäre. Dieses additive, an Aufzählung von Themen und Leerstellen grenzende Darstellungsprinzip findet sich auch sonst gelegentlich in dem Band.
Schon die Anmerkungen sind mit weiteren Literaturangaben versehen worden; am Ende des Bandes steht eine für jedes Kapitel gesonderte Bibliographie auf den Seiten 284-325; das ist sehr ausführlich gehalten. 57 Fotos runden den Band ab. Auch und gerade dies kann als Einstieg für Neugierige, als Studienbuch, genutzt werden; methodisch ist die Darstellung nicht immer innovativ.
Jost Dülffer