Hannimari Jokinen / Flower Manase / Joachim Zeller (Hgg.): Stand und Fall. Das Wissmann-Denkmal zwischen kolonialer Weihestätte und postkolonialer Dekonstruktion, Berlin: Metropol 2022, 194 S., ISBN 978-3-86331-614-3, EUR 20,00
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Die Aufarbeitung kolonialer Geschichte wird in der deutschsprachigen Forschung oftmals räumlich nach Städten und Regionen gegliedert. Der vorliegende Sammelband geht von einer Objektbiographie aus, dem mehrfach errichteten und gestürzten (daher "Stand und Fall") Wissmann-Denkmal, das 1909 in Dar es Salaam, der Hauptstadt Deutsch-Ostafrikas, eingeweiht worden war.
Acht eindrückliche Fotografien leiten den grundlegenden Aufsatz von Joachim Zeller zum Denkmal auf Hermann von Wissmann ein, dieses interpretiert er als "Herrschaftsmal, kolonialrevisionistische Erinnerungsstätte, postkoloniales Debatten-Mahnmal". Von der genannten Errichtung ausgehend geht die Betrachtung über die Entfernung durch britische Truppen im Zuge des Ersten Weltkriegs hin zur Wiederaufstellung vor dem Hauptgebäude der Universität Hamburg (gegründet als Kolonialinstitut) 1922, wo es für zehn Jahre, bis zur Einweihung des Kolonial-Ehrenmals in Bremen, als das "zentrale deutsche Kolonialdenkmal" (29) schlechthin angesehen werden kann. Während eines Bombenangriffs durch die Royal Air Force wurde die Bronzestatue 1945 aus der Verankerung gerissen und alsbald wieder befestigt. Spätestens im Juli 1961 wurde Kritik an der kolonialistischen Symbolik des Denkmals unter den Studierenden laut, die im Herbst 1967 in einen Denkmalsturz mündete (nach einem ersten, erfolglosen Versuch). Nach Wiedererrichtung durch Verfügung der Universitätsleitung war jedoch erst ein erneuter Sturz im November 1968 von Dauer, die Statue wurde aus dem öffentlichen Raum entfernt und magaziniert, der Sockel abgebaut. Zellers Verdienst besteht darin, die Vielstimmigkeit der Debatten, die sich um das Denkmal entspannen, nachzuvollziehen, was seine stupende Quellenkenntnis ermöglicht. Es fängt damit an, dass in Dar es Salaam der Denkmalentwurf Adolf Kürles verwirklicht wurde, der beim Wettbewerb für ein erstes Denkmal in Bad Lauterberg im Harz im Vorjahr 1908 nicht erfolgreich war. Sowohl bei der Errichtung des ersten Denkmals 1908 (22) als auch bei der Wiederaufstellung des zweiten Denkmals 1922 (28) waren Stadt und Politik nur mit nachrangigen Vertretern anwesend, was der oft so grellen Kolonialpropaganda die nötigen Zwischentöne verleiht. Auch das, was im öffentlichen Raum unsichtbar bleibt, spricht Bände - so etwa die zahlreichen Versuche von dritter Seite, nach 1968 das Denkmal zu erwerben oder wiederzuerrichten (34).
Im Beitrag von Hannimari Jokinen, Thomas Morlang und Frauke Steinhäuser bekommt das Denkmal eine biographische Grundierung, die Hermann Wissmann (1853-1905, geadelt 1890) vor allem als "Spielball seiner eigenen Ambitionen" (55) zeigt. Dessen Begegnung mit dem Afrikareisenden Paul Pogge 1879 wird für ihn zum Anstoß zu zwei Durchquerungen Äquatorialafrikas, 1881/82 und 1886/87. Sein Anteil an Krieg und Gewalt (nicht nur in Ostafrika, auch im Kongo), die in klassischen biographischen Ausführungen zu zurückhaltend adressiert wurde, zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausführungen, vor allem hinsichtlich der "Niederschlagung" des "Araberaufstandes" 1888. Wissmanns Amtszeit als Gouverneur von Deutsch-Ostafrika ist mit 20 Monaten eher eine Episode. Von Sucht und Krankheit waren seine letzten Lebensjahre auf einem eigenen Gut in der Steiermark gekennzeichnet, sein Tod - durch einen Schuss aus dem eigenen Gewehr - ist letztlich nicht geklärt.
In zwei Beiträgen vertieft Hannimari Jokinen unsere Kenntnisse vom Denkmal. Ikonographisch ergiebig widmet sie sich zunächst zwei ebenfalls aus Bronze gegossenen Assistenzfiguren des Denkmals, den buchstäblich zu Füßen Wissmanns montierten Figuren eines als "Sudanesen" mit Nackentuch dargestellten Askari und eines toten oder auch schlafenden Löwen, der von einer vom Askari gehaltenen Fahne bedeckt wird. Während der Askari vor allem auf seine "Rolle des loyalen Gefolgsmannes beschränkt" (71) gezeigt wird, ist der Löwe in seiner Darstellung weniger eindeutig. Die Assoziationen mit dem Löwen als Jagdtrophäe sind eindrücklich und werden durch visuelle Parallelen gestützt, doch wäre ergänzend ein Bildzitat des Löwendenkmals in Luzern von 1821, das fest im Bildgedächtnis des 19. Jahrhunderts als Teil von Kriegerdenkmälern verankert war, ebenfalls erwägenswert. Konkrete Beispiele von Lebensläufen von Askari brechen die Stereotypisierung der Figur auf (79-82). Einen weiteren Aufsatz verfasst Jokinen als engagierte Künstlerin, die ihr eigenes Projekt "afrika-hamburg.de" vorstellt. 1992/93 wurde die demontierte Wissmannstatue in einem Abstellraum der Bergedorfer Sternwarte aufgefunden, und eben diese stellte Jokinen nach manchem Gegenwind 2004/05 für 14 Monate am Hamburger Hafentor auf einem rekonstruierten Sockel wieder auf, wobei sich beabsichtigte und unbeabsichtigte Möglichkeiten der Kommentierung und Intervention am Denkmal selbst und auf einer parallelen Internetpräsenz ergaben. Die zentrale Feststellung besteht darin, dass das im Rahmen des Projekts "zu einem Debattenmahnmal dekonstruierte Wissmann-Monument eine Lücke im Stadtraum und in den Köpfen hinterlassen hat" (110). In einem weiteren Beitrag stellt Jokinen das Denkmal in die Hamburger Denkmallandschaft im kolonialen Kontext, mit erhellenden Einblicken in lokalpolitische Debatten.
Ausgehend von der Person Wissmanns werden in weiteren Beiträgen bislang kaum erforschte Aspekte angesprochen: An von ihm nach Deutschland gebrachten Objekten wird seine Sammelpraxis hinterfragt und eine Zuordnung von Objekten zu Passagen seines Reiseberichts versucht (95-102); die oft schwer analysierbare Frage der Arbeitsteiligkeit wird am Beispiel seiner Expeditionen untersucht, wobei unter anderem Fahnenträger und die unentbehrlichen Dolmetscher in den Mittelpunkt des Interesses geraten (89-92). Einen völlig neuen Blickwinkel nehmen die letzten drei Beiträge ein, da sie konsequent von tansanischer Seite aus gedacht sind. Flower Manases Ausführungen zu Bauwerken und Erinnerungsmalen aus der deutschen Kolonialzeit sind ein beispielreich gearbeitetes Plädoyer gegen eine zu selektive Erinnerung. Für ein deutschsprachiges Publikum dürften vor allem die Denkmäler zum antikolonialen Widerstand und die 1927, also in britischer Zeit, am Standort des Wissmann-Denkmals (!) in Dar es Salaam errichtete Figur eines Askari, stellvertretend für die im Ersten Weltkrieg im Kampf gegen die Deutschen gefallenen afrikanischen Soldaten, überraschend sein. Ein weiterer, sonst kaum beachteter Untersuchungsgegenstand wird von José Arturo Saavedra Casco dargeboten: zur Zeit der deutschen Kolonialherrschaft auf Suaheli verfasste Gedichte, die auch Wissmann thematisieren und - wenngleich es sich auch um Auftragsarbeiten handelt - keinesfalls in rein apologetischem Ton verfasst sind. Solche Gedichte, kurze Interviewpassagen und auch Bildquellen (darunter auch Reklamesammelbilder aus der "Bilderschule des Herrenmenschen") sind farblich unterlegt auch zwischen die Kapitel gefügt. Ein Interview mit dem tansanischen Lehrer und Aktivisten Mnyaka Sururu Mboro zu lokalen und familiären Erinnerungsschichten an die deutsche Kolonialzeit, mit einem Ausblick auf aktuelle Straßennamendebatten in Deutschland, schließt den Band.
Der sorgfältig lektorierte und opulent ausgestattete Band ist mit seinem materialgeschichtlichen, objektbiographischen Ausgangspunkt ein nachdrücklicher Aufruf gegen die Vereinzelung regionaler, kolonialbezogener Ergebnisse in Forschung und Vermittlung. Am Beispiel der 1909 gesetzten Wissmann-Statue wird deutlich, dass es sich dabei nicht nur um ein Hamburger Thema handelt, sondern diese ebenfalls für viele andere Orte und Kontexte von Belang ist.
Fabian Fechner