Josef Meyer zu Schlochtern / Gerhard Franke (Hgg.): Die Jesuitenuniversität in Paderborn. Dokumente zur Gründung und Frühgeschichte der Academia Theodoriana (= Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte; Bd. 87), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2022, 576 S., 16 Farb-, 4 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-76046-3, EUR 49,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Patrizio Foresta: "Wie ein Apostel Deutschlands". Apostolat, Obrigkeit und jesuitisches Selbstverständnis am Beispiel des Petrus Canisius (1543-1570), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016
Richard Bösel / Herbert Karner: Jesuitenarchitektur in Italien (1540-1773). Teil 2: Die Baudenkmäler der mailändischen Ordensprovinz, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2007
Uwe Glüsenkamp: Das Schicksal der Jesuiten aus der Oberdeutschen und den beiden Rheinischen Provinzen nach ihrer Vertreibung aus den Missionsgebieten des portugiesischen und spanischen Patronats (1755-1809), Münster: Aschendorff 2008
Die Herausgeber des Bandes sind der Fundamentaltheologe Josef Meyer zu Schlochtern und der Theologe und Historiker Gerhard Franke. Die Edition bringt die vorliegenden Quellen durchgehend in einer lateinisch-deutschen Paralleledition, mit Übersetzungen von Gerhard Ludwig Kneißler. Den historischen Beitrag über die Frühgeschichte der Academia Theodoriana hat Hermann-Josef Schmalor übernommen als "Einführung zum historischen Umfeld". Sie stellt die Vorgeschichte der Universitätsgründung en détail vor.
Die Gründung der Universität Paderborn hatte eine klare gegenreformatorische Komponente. Seit 1577 waren die Paderborner Bürgerschaft und selbst der päpstlich nicht bestätigte Fürstbischof Heinrich von Sachsen-Lauenburg protestantisch. Seit 1580 wirkten in Paderborn Jesuiten, um nach dem Tod des protestantisch gesinnten Dompredigers Georg Holthaus durch die Übernahme der Dompredigerstelle für den Katholizismus zu arbeiten. Die institutionelle Verankerung und Verstetigung der Gegenreformation sollte dann der nächste Fürstbischof übernehmen. Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg reagierte in seiner Politik auf das Vordringen der Reformation und machte sich seit seinem Amtsantritt 1585 an die Rekatholisierung seines Herrschaftsbereichs.
Jesuiten konnten bereits 1585 die Leitung des Gymnasiums Salentinianum, des heutigen Theodorianum, übernehmen. Im Jahr 1604 stiftete Dietrich von Fürstenberg das Jesuitenkolleg, 1612 folgte seine Schenkung von 20.000 Gulden zur Einrichtung eines Noviziats für den Unterhalt von 25 Novizen. Am gleichen Tag, an dem Dietrich von Fürstenberg die Urkunde über die Fundierung eines Noviziats den Jesuiten übergab, legte der Fürstbischof den Grundstein für den Bau des Gymnasiums und 1614 gründete er schließlich die bald nach ihm benannte Universität. Sie war in enger Verbindung mit dem Gymnasium mit zwei Fakultäten, einer philosophischen und einer theologischen Fakultät, ausgestattet. Papst Paul V. bestätigte die Stiftungsurkunde am 2. April 1615, Kaiser Matthias am 14. Dezember 1615. Die beiden Dokumente werden heute in der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek Paderborn aufbewahrt und liegen in der Edition vor.
Als erste katholische Universität auf westfälischem Boden sollte die Academia Theodoriana für das Hochstift Paderborn und die anderen katholischen Territorien in Westfalen zuständig sein. Damit stand sie in Konkurrenz zu den evangelischen Universitätsneugründungen der Nachbarländer wie Burgsteinfurt, Rinteln oder Marburg. Die ersten Neugründungen von Universitäten mit jesuitischer Beteiligung auf Reichsterritorium waren Dillingen (1551) und Würzburg (1582); in Graz entstand 1586 eine ganz von Jesuiten geleitete Universität. Wenig später kam es zur Gründung der fürstbischöflich-straßburgischen Jesuitenuniversität in Molsheim (Elsass) 1618. Die Paderborner Hochschule reiht sich also in eine Strategie der Stärkung katholischer Kräfte auf universitärem Sektor ein. In anderen Universitäten waren die Jesuiten an prägender Stelle tätig, übernahmen aber nicht die gesamte Institution. So wurde ihnen in der 1472 gegründeten Ingolstädter Universität 1588 die gesamte Artistenfakultät übertragen, zur ausschließlichen Jesuitenuniversität ist Ingolstadt jedoch nie geworden.
Das Jahr 1616 wurde als offizielles Gründungsjahr der Paderborner Universität mit entsprechenden Eröffnungsfeierlichkeiten auch deswegen gewählt, weil der Fürstbischof und Gründer in dem Jahr sein 70. Lebensjahr vollendete. Er wollte damit auch sein Lebenswerk krönen und achtete darauf, dass auch in Zukunft eine Einflussnahme auf die von ihm gegründete Institution von außen erschwert wurde, indem er die Academia Theodoriana vollständig in die Hände der Jesuiten gelegt hat. Die Edition diskutiert, welche Statuten vorbildlich waren, es wird ein Einfluss derjenigen von Dillingen angenommen. Mit der Aufhebung des Jesuitenordens im Jahre 1773 wurde das Jesuitenkolleg aufgelöst, Universität und Gymnasium wurden in bischöflicher Trägerschaft weitergeführt.
Wenn man so will, kann man den Band auch als Ergänzung zu der Darstellung der Geschichte der Universität auffassen, die einer der Mitherausgeber, Josef Meyer zu Schlochtern 2014 publiziert hat. [1]
Die Quellen lagen bereits in verstreuten Editionen vor, etwa in einer Publikation des heute noch bestehenden Gymnasiums Theodorianum, anlässlich des 375-jährigen Jubiläums der Institution 1987. Die Publikation von 1987 enthielt vier Urkunden zur Gründung des Paderborner Jesuitenkollegs: die Gründungsurkunde des Kollegs (1604), die Urkunde zur Gründung der Academia Theodoriana (1614) sowie die päpstliche und kaiserliche Bestätigungsurkunde (beide 1615) mit einer Einführung von Friedrich Gerhard Hohmann, die Texte der Urkunden in lateinischer Sprache.
Der umfangreichste Text der neuen Quellenedition ist der Panegyricus, eine Lobrede auf Dietrich von Fürstenberg mit umfangreichen historischen Kapiteln zur Geschichte Westfalens, Paderborns und zum Lob der Stadt und Region. Verfasser ist P. Johannes Horrion SJ. Er ist wohl identisch mit dem Mitglied des Paderborner Jesuitenkollegs, das laut Johannes Sander im Jahr 1614 im Kolleg in Paderborn eintraf und in den Listen der Mitglieder des Jesuitenkollegs bis einschließlich 1631 genannt wird. Das heutigen Lesern nicht mehr präsente Panegyricus-Genre hatte damals nicht nur die Funktion, in antiker rhetorischer Tradition die Leistungen einer öffentlich wirksamen Person herauszustellen, sondern diente als Stilübung auch dazu, elegantes Latein zu demonstrieren und indirekt wohl auch die Qualität der Ausbildung an den Stätten, wo derartige Autoren wirkten. Gedruckt wurde das Buch im Jahr 1616 von dem Paderborner Erstdrucker, Verleger und Buchhändler Matthaeus Pontanus. Der Panegyricus liegt in dieser Edition erstmals auch auf Deutsch in der Übersetzung von Gerhard Ludwig Kneißler vor.
Auch Leser, die weniger an den Originalquellen interessiert sind, sondern am konkreten universitären Leben, finden zahlreiche Hinweise in diesen Quellen etwa zum universitären Alltag. Über die Gründungsjahre finden sich Passagen aus der Chronik des Johannes Sander SJ, die bereits 2011 in einer Übertragung von Gerhard Ludwig Kneißler publiziert worden war. [2] Sander, geboren 1596 in Lichtenau, besuchte das durch Jesuiten geleitete Gymnasium in Paderborn und trat 1614 in den Orden ein, nach Noviziat und Tätigkeit am Gymnasium in Paderborn war er bis zu seinem Tod 1674 an anderen jesuitischen Institutionen tätig. Seine Chronik behandelt die Jahre 1580 bis 1659, verfasst wurde sie unter Zuhilfenahme eigener Erinnerungen, Berichten von Augenzeugen und der trotz der Wirren des Dreißigjährigen Kriegs noch vorhandenen Dokumente in den Jahren 1655 bis 1662.
Für die an universitärer Geschichte interessierten Leser sind die Quellen zur Gerichtsbarkeit der Universität, über die Promotionsordnung etwa im Briefwechsel zwischen Paderborn und den Universitäten in Dillingen und Trier aufschlussreich. Exemplarisch sei ein Dokument genannt: ein Urfehdebrief, in dem nach der Aberkennung des akademischen Grades und Verlust aller mit ihm verbundenen Rechte ein Heinrich Kröger 1661 schwört, sich nicht an seinen Richtern zu rächen. Leider ist nicht bekannt, welche Untat der Inkulpierte begangen hat und ob er infolgedessen relegiert wurde oder weiterstudieren durfte.
Die neue Quellenausgabe von Schlochtern/Franke kommt in einer Zeit, wo selbst lateinkundige Leser ältere lateinische Dokumente nicht immer flüssig zu lesen imstande sind, heutigen Bedürfnissen sicher entgegen. Hilfreich ist das kurze Glossar (553-558) von Josef Meyer zu Schlochtern, da nicht alle Begriffe zum damaligen universitären Leben heutigen Lesern noch geläufig sind.
Zahlreiche sehr ausführliche Bemerkungen zu den Texten, ihrer Graphie und dem Erhaltungszustand präsentieren die Dokumente. Die prächtig gestalteten Urkunden werden farbig abgebildet, auch weniger offizielle Dokumente exemplarisch in Schwarz-Weiß gezeigt wie Textseiten aus Protokollen zur Gerichtsbarkeit. Auch das Wirken des Gründers wird mit zeitgenössischen Illustrationen in die Bebilderung aufgenommen, so ein Kupferstichporträt des Gründers und Abbildungen der wichtigsten Bauten des Fürstbischofs (Schloss in Neuhaus, Wewelsburg und natürlich das Jesuitenkolleg, letztere alle aus dem erwähnten Panegyricus-Druck). Damit wird auch ein breiteres Publikum erreicht, das den Spuren der jesuitischen Geschichte im heutigen Stadtbild und seiner Architektur nachspüren will.
Anmerkungen:
[1] Joseph Meyer zu Schlochtern: Die Academia Theodoriana, von der Jesuitenuniversität zur Theologischen Fakultät Paderborn 1614 - 2014, Paderborn 2014.
[2] Johannes Sander: Geschichte des Paderborner Jesuitenkollegs. Textedition und Übersetzung von Gerhard Ludwig Kneißler, Anm. von Friedrich Gerhard Hohmann, Paderborn 2011.
Franz Obermeier