Rezension über:

Thomas Arnold: "Mit ihnen Mensch, für sie Christ". Herausforderungen für den Katholizismus im Bistum Dresden-Meißen nach 1945. Eine pastoral-zeitgeschichtliche Studie (= Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa; Bd. 52), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2022, 374 S., ISBN 978-3-412-50415-1, EUR 60,00
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Rezension von:
Josef Schmitt
Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Josef Schmitt: Rezension von: Thomas Arnold: "Mit ihnen Mensch, für sie Christ". Herausforderungen für den Katholizismus im Bistum Dresden-Meißen nach 1945. Eine pastoral-zeitgeschichtliche Studie, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 3 [15.03.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/03/37614.html


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Thomas Arnold: "Mit ihnen Mensch, für sie Christ"

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Im Mittelpunkt der Veröffentlichung von Thomas Arnold stehen zwei zentrale Herausforderungen für den Katholizismus in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR: die Flüchtlingsintegration und die Jugendweihe. Dabei fragt er nach dem Einfluss dieser beiden Themenfelder auf die Entstehung eines spezifisch mitteldeutschen Katholizismus.

Arnold beleuchtet durch umfangreichen Rückgriff auf bereits veröffentlichte Quellen und Literatur die für seine Arbeit wesentlichen Ereignisse im jeweils relevanten Untersuchungszeitraum. Er analysiert und vergleicht Konzepte, Verhaltensweisen und Prägungen, die er anschließend einordnet. Außerdem interviewte er 13 Personen aus dem Bistum Meißen zur Jugendweihe. Die Interviews sind für die Untersuchung jedoch kaum von Bedeutung, sodass der Nutzen der Oral-History-Methode für diese Arbeit fraglich bleibt. Sicherlich hätte die Veröffentlichung der Interview-Transkripte im Anhang für den Leser einen Mehrwert bieten und Anstoß für weitere Projekte sein können.

Neben der Forschungsliteratur zieht Thomas Arnold Quellenbände hinzu und - besonders mit Blick auf die Jugendweiheproblematik - auch unveröffentlichte Quellen aus kirchlichen und staatlichen Archiven. Abgesehen von bereits publizierten Akten ließ er jedoch die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) aus arbeitsökonomischen Gründen und unter "Rücksichtnahme auf die noch längst nicht abgeschlossene archivarische Erschließung der umfangreichen Aktenüberlieferungen des MfS" (25) außer Acht.

Für die Jahre der Flüchtlingsintegration nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Bistum Meißen unterstützt Thomas Arnold das von Wolfgang Tischner entwickelte Modell der Subgesellschaft [1], obwohl einzelne Elemente (zum Beispiel ein Vereinswesen) fehlten. Den Grund dafür, dass diese Zuordnung dennoch erfolgen kann, sieht er in der Herkunft der Flüchtlinge, die mehrheitlich aus Regionen stammten, in denen ein katholisches Milieu bestand. Sie schufen sich im Bistum Meißen "die dort mögliche Minimalform des bisher vertrauten Milieus". (167) Daraus leitet er außerdem den überproportionalen Weiterzug von Katholiken in andere Besatzungszonen ab. "Sie suchten eben nicht nur die Nähe zur Familie, sondern auch zu anderem Vertrauten, das für viele in dem ihnen bekannten Milieu bestand". (167) Zudem folgt er der Auffassung von Reinhard Grütz [2], der das beschriebene Modell nur für die 1940er und 1950er Jahre gelten lassen wollte.

Anschließend widmet er sich der Geschichte der Jugendweihe seit den Anfängen im 19. Jahrhundert. Danach kommt er zur Jugendweihe als Herausforderung für den Katholizismus. Er sieht weniger in der Jugendweihe selbst als vielmehr in den teils drastischen Konsequenzen für katholische Teilnehmer an der Jugendweihe durch die katholische Kirche, wie zum Beispiel im Ausschluss von der Kommunion, einen Beschleuniger der Entkirchlichung. Zwar fanden diejenigen, die bereit waren, Nachteile in ihrer schulischen oder beruflichen Laufbahn in Kauf zu nehmen, Rückhalt in den katholischen Gemeinden, allerdings neigten viele Eltern dazu, dem staatlichen Druck nachzugeben. Die damit einhergehende Reaktion von kirchlicher Seite führte zu mehr Entfremdung von der Kirche als der mit der Jugendweihe verbundene Vorbereitungsunterricht oder das Gelöbnis. Die in der DDR lebenden Katholiken entwickelten eine "staatsbürgerliche Loyalität ohne Assimilation an die Gesellschaft" (327). Für sie galt es, ihr Leben in ihrer Heimat zu gestalten, ohne auffällig zu werden und staatliche Angriffe zu provozieren. Arnold erkennt darin einen Aspekt der fortschreitenden Pluralisierung der katholischen Subgesellschaft ab den 1960er Jahren bis zum Ende der DDR.

In diesem Teil liegt eine besondere Stärke der Arbeit. Arnold stellt ausführlich die Haltungen und Überlegungen der Ordinariate zum Umgang mit den Teilnehmern an der Jugendweihe dar. Er schildert, wie sich diese Ansichten im Laufe der Jahre veränderten. Für besonderes Unverständnis unter den Katholiken in der DDR sorgte die unterschiedliche Behandlung der Ablegung des Fahneneids und des Jugendweihegelöbnisses durch die Vertreter der katholischen Kirche. Konsequent wäre ein ähnlicher Umgang gewesen. Dies hätte aber wohl schwerwiegende Reaktionen des SED-Regimes für die Verweigerer wie auch für die katholische Kirche bedeutet. Stattdessen musste in der Folge die Einstellung zur Jugendweihe überdacht und angepasst werden. Die Jugendweihe wurde für viele Katholiken zu einem jährlichen Fest, ohne dass diese die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen dabei ständig bedachten. Die Bischöfe legten zwar weiterhin Wert auf die Ablehnung der Jugendweihe, ab den 1970er Jahren beteiligten sich aber auch die Katholiken mehrheitlich an dem staatlich-atheistischen Ritual. In wenigen Fällen ist jedoch weiterhin ein drastischer Umgang katholischer Pfarrer mit Familien überliefert, die an der Jugendweihe teilnahmen.

Abgesehen von dem ein oder anderen formalen beziehungsweise sprachlichen Fehler, die die Qualität der Arbeit insgesamt nicht beeinträchtigen, zeichnet sich das Buch durch eine detaillierte Darstellung der beispielhaft gewählten Herausforderungen des Katholizismus aus. An manchen Stellen geht der Fokus auf das Bistum Dresden-Meißen verloren. Dies ist sicherlich hin und wieder notwendig, um die Entwicklungen in den Gesamtkontext einzuordnen. Gelegentlich möchte man aber noch mehr über die Spezifika des Katholizismus in Sachsen mit Blick auf die beiden besprochenen Bereiche erfahren. Die Untersuchung der Reaktionen der katholischen Kirche auf die Jugendweihe stellte bisher weitestgehend ein Forschungsdesiderat dar. Für die Geschichte des Bistum Dresden-Meißen und der Geschichte des Katholizismus in der DDR leistet Thomas Arnold einen wichtigen Beitrag, der zur weiteren Forschung anregt.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Wolfgang Tischner: Katholische Kirche in der SBZ/DDR 1945-1951. Die Formierung einer Subgesellschaft im entstehenden sozialistischen Staat, Paderborn 2001, S. 37-40 und S. 562 f.

[2] Vgl. Reinhard Grütz: Katholizismus in der DDR-Gesellschaft 1960-1990. Kirchliche Leitbilder, theologische Deutungen und lebensweltliche Praxis im Wandel, Paderborn 2004, S. 55-57.

Josef Schmitt