Frank Bösch: Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik, München: C.H.Beck 2024, 622 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-81339-9, EUR 32,00
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Die Geschichte der Außenpolitik der Bundesrepublik ist schon oft erzählt worden, allerdings noch nie aus der Perspektive, die Frank Bösch für sein neues Buch wählt. Wie der Untertitel andeutet, geht es ihm um ein neues Narrativ dieser Geschichte, bei dem nicht die klassischen Themen wie Westintegration, Europapolitik, Neue Ostpolitik sowie das deutsch-deutsche Verhältnis im Mittelpunkt stehen. Dagegen erscheint die Bundesrepublik als ein Staat, der seit den 1950er Jahren mit Diktaturen und autoritären Regimen enge Beziehungen unterhielt, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen; Verletzungen von Menschenrechten in diesen Staaten hätten für sie dabei nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
Bösch bietet ein breites, chronologisch angelegtes Panorama dieser Beziehungen von den 1950er bis zu den 1990er Jahren, wobei zu seinen Akteuren nicht nur die Bundesregierung und voran das Auswärtige Amt, sondern auch ausgewählte Organisationen aus der Zivilgesellschaft, insbesondere Amnesty International, zählen. Dabei konzentriert er sich auf rechte Diktaturen und autoritäre Regime, deren Beziehungen zur Bundesrepublik insbesondere auf der Grundlage der Akten des Auswärtigen Amts dargestellt werden. Er beginnt mit Äthiopien unter Haile Selassie, behandelt die Politik gegenüber dem Iran unter dem Schah und wendet sich anschließend dem Verhältnis zu Spanien und Portugal unter Franco und Salazar sowie Griechenland unter dem Obristenregime zu. Neues erfährt man überdies zu den Beziehungen zur südkoreanischen Militärdiktatur, zu Chile unter Pinochet, zu den lateinamerikanischen und den subsaharischen afrikanischen Diktaturen in den 1970er Jahren, zu Gaddafis Libyen und zu China unter Deng Xiaoping. Das Verhältnis der Bundesrepublik zur Sowjetunion und zu den osteuropäischen Diktaturen behandelt er sehr viel knapper und auf der Basis der publizierten Quellen und der dazu vorliegenden umfangreichen Literatur. Der Tenor ist durchgehend der Gleiche: Obwohl in diesen Staaten zum Teil skandalöse Menschenrechtsverletzungen stattfanden, hielt die Bundesrepublik an den Beziehungen zu ihnen fest und kam ihnen in Einzelfällen auch auf problematischen Feldern wie der Lieferung von Waffen weit entgegen.
Ein Wendepunkt im Umgang mit den genannten Diktaturen war für Bösch im Umgang mit Griechenland Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre erreicht, da sich die Bundesregierung genötigt sah, auf einen neuartigen, zivilgesellschaftlichen Protest gegen diese Beziehungen zu reagieren, an dem sich sowohl griechische Emigranten als auch Deutsche beteiligten. Als "Durchbruch des Einsatzes für die Menschenrechte" (260) schätzt Bösch die bundesdeutschen Reaktionen auf die Pinochet-Diktatur in Chile ein. Auch hier war es eine breite Protestbewegung, insbesondere aus dem linksalternativen Milieu, die Bonn dazu veranlasste, gegenüber Santiago partiell auf Distanz zu gehen. Eine besondere Rolle spielte bei all dem Bösch zufolge die deutsche Sektion von Amnesty International, der er ein ganzes Kapitel widmet. Während er mit der Bundesrepublik in ihrem engen Umgang mit den Diktaturen dieser Welt hart ins Gericht geht, erscheint Amnesty International, die sich für die Menschenrechte primär in rechten, weit weniger aber in sozialistischen Diktaturen einsetzte, als heimliche Heldin, die "eine eher unpolitische, potentiell überparteiliche Kultur der Empathie" gestärkt habe (259).
Bei all dem bleibt jedoch die Frage, ob wirklich ein Wandel im Verhältnis der Bundesrepublik zu diktatorischen Systemen eintrat. Gewiss, ähnliche Kooperationen wie die zwischen dem iranischen Geheimdienst und einzelnen Bundesbehörden, um gegen iranische Studenten in Westdeutschland vorzugehen, gab es nach den 1960er Jahren nicht mehr. An dem Grundproblem, weiter mit diktatorischen Regimen - ungeachtet von deren Menschenrechtsverletzungen - umgehen zu müssen, änderte dies jedoch nichts. Das Beispiel China zeigt dies eindrucksvoll, auch wenn hier die ernsthaften Bemühungen von Außenminister Klaus Kinkel um einzelne inhaftierte Dissidenten mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Insgesamt macht es sich Bösch zu einfach, wenn er von der "exportorientierte[n], moralisch indifferente[n] Nachkriegsgeschichte" der Bundesrepublik spricht (423).
Mit einem unterschwellig skandalisierenden Gestus prangert der Autor an, dass "nicht das Ausmaß von Mord und Folter an Oppositionellen das deutsche Engagement [bestimmte], sondern die politische, ökonomische und kulturelle Nähe des Folterstaats zur Bundesrepublik" (495-496). Statt ex post die bundesdeutsche Außenpolitik an moralischen Standards zu messen, wäre es sinnvoller gewesen, den Stellenwert von Menschenrechten darin genauer zu bestimmen. Aus der Rolle der Bundesrepublik als einer im westlichen Staatenverbund fest verankerten, global agierenden politischen und wirtschaftlichen Mittelmacht ergaben sich deren primäre Interessen gegenüber dem Ausland. Hinzu kam in der Zeit der Teilung das elementare Bedürfnis, für die Belange der Deutschen in der DDR und im östlichen Europa einzutreten und langfristig das Ziel der Wiedervereinigung nicht aus den Augen zu verlieren. Schließlich gilt es, die innenpolitischen Einflüsse auf die Außenpolitik zu berücksichtigen und umgekehrt. Die Bundesrepublik musste vor diesem Hintergrund stets klug abwägen, wie sie sich gegenüber den anderen Mitspielern auf dem internationalen Parkett verhielt, um ihre Ziele zu erreichen. Die Menschenrechte spielten dabei eine unterschiedlich wichtige Rolle, die allerdings von Fall zu Fall genauer zu bestimmen ist.
Zu kritisieren sind darüber hinaus einige Fehler und Leerstellen, insbesondere in den Teilen zum Verhältnis zur Sowjetunion und Osteuropa. So war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion 1955 kein "einmaliger Bruch der Hallstein-Doktrin" (106) - diese wurde vielmehr erst infolge der Beziehungsaufnahme formuliert. Unverständlich ist, warum die auf die ostmitteleuropäischen Staaten ausgerichtete "Politik der Bewegung" von Außenminister Gerhard Schröder (CDU) in den 1960er Jahren überhaupt nicht erwähnt wird. Dass bei den Begegnungen zwischen Willy Brandt und Willi Stoph 1970 Menschenrechte kein Thema waren, trifft zwar zu, aber es ging dem Bundeskanzler sehr wohl um die menschlichen Beziehungen zwischen Ost- und Westdeutschen, etwa das Recht auf Freizügigkeit. Die KSZE-Verhandlungen zwischen 1973 und 1975 fanden nicht in Helsinki statt (wo nur der Abschlussgipfel tagte), sondern in Genf. Manches, was zur KSZE-Schlussakte (nicht KSZE-Akte) geschrieben wird, ist unpräzise, insbesondere die verkürzende Behauptung, dass die Menschenrechte Teil von Korb III, waren - sie gehörten vielmehr auch bereits zur Prinzipienerklärung in Korb I. Dass Helmut Kohl ab Oktober 1982 "keine direkten Kontakte zur Solidarność" suchte (407), trifft ebenfalls so nicht zu: 1983 nahmen Vertreter der polnischen Gewerkschaftsbewegung vertrauliche Gespräche mit der Bundesregierung auf. [1] Schließlich ist die Behauptung, dass die Bundesrepublik "die DDR-Bürger weiterhin privilegiert als bundesdeutsche Staatsbürger aufnahm" (414), nicht korrekt: Laut Grundgesetz gab es nur eine einheitliche deutsche Staatsbürgerschaft, auf die West- und Ostdeutsche gleichermaßen einen Anspruch hatten.
Frank Bösch kommt zweifellos das Verdienst zu, die westdeutsche Außenpolitik wieder zu einem zentralen Forschungsgegenstand erhoben zu haben. Und man erfährt in seinem Buch sehr viel über die politischen und gesellschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik zu Staaten, die normalerweise nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Aber statt in die Breite zu gehen, wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, einige Fälle exemplarisch herauszugreifen und unter Berücksichtigung der Gesamtheit westdeutscher Interessen und der jeweiligen Rolle der Menschenrechte genauer zu untersuchen. Außerdem würde eine entsprechende Analyse mehr Tiefenschärfe gewinnen, wenn ein vergleichender Blick auf andere westliche Staaten geworfen würde.
Anmerkung:
[1] Vgl. Dieter Bingen: Die Polenpolitik der Bonner Republik von Adenauer bis Kohl 1949-1991, Baden-Baden 1998, 225-226.
Hermann Wentker