Jürgen Dierkes: "Ménage à trois" im Ost-West-Konflikt. Städtepartnerschaften zwischen westdeutschen, französischen und ostdeutschen Kommunen von den 1950er Jahren bis zum Fall der Mauer (= Schriftenreihe des Deutsch-französischen Historikerkomitees; Bd. 20), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2024, 580 S., 5 Farb-, 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-13563-4, EUR 98,00
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Dirk Petter: Auf dem Weg zur Normalität. Konflikt und Verständigung in den deutsch-französischen Beziehungen der 1970er Jahre, München: Oldenbourg 2014
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Schon seit dreißig Jahren untersucht die Zeitgeschichtsforschung die Rolle von Städtepartnerschaften in den westdeutsch-französischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ostdeutsch-französische Partnerschaften blieben von ihr weitgehend ausgeblendet. Die von Dietmar Hüser und Hélène Miard-Delacroix betreute Dissertation von Jürgen Dierkes trägt dazu bei, den blinden Fleck ins Bewusstsein zu rufen und zu tilgen. Auf der Basis einer "qualitativ-hermeneutischen Analyse der Quellen" (22) aus sage und schreibe 34 Archiven untersucht der Verfasser die Zweierbeziehungen zwischen dem Industrieort Vierzon im Département Cher und der sachsen-anhaltinischen Industriestadt Bitterfeld, zwischen Grand-Couronne nahe Rouen und dem brandenburgischen Velten, zwischen Châtillon in der Pariser Banlieue und Merseburg sowie zwischen Amiens und Görlitz. Bei der Auswahl ließ er sich von geografischen, strukturellen und zeithistorischen Kriterien, vor allem aber von einem forschungsimmanenten Faktor leiten. Denn da ihm ein bloß ostdeutsch konturiertes Spiegelbild vorhandener regionalgeschichtlicher Studien nicht ausreichte, wählte Dierkes solche französischen Gemeinden aus, die zugleich eine Partnerschaft zu westdeutschen Städten mit der Eignung zur systematischen Vergleichbarkeit pfleg(t)en. Als handlungsleitende Maxime geht seine Pionierstudie unter Rückgriff auf das von Ulrich Pfeil für die staatliche Sphäre zwischen der Bundesrepublik, Frankreich und der DDR entwickelte Konzept der "asymmetrischen Dreiecksbeziehung" [1] der Frage nach, inwieweit die Verbindungen innerhalb der vier "Ménages à trois" auf der kommunalen Mikroebene eine "Abbildung" der asymmetrischen Dreieckskonstellation auf der staatlichen Makroebene darstellen (17).
Nach einem umfangreichen Kapitel über "strukturelle Rahmungen deutsch-französischer Städtepartnerschaften im Kalten Krieg" (38) behandelt Dierkes zunächst zwei in der "Hochphase des Kalten Krieges" geschlossene Dreiecksbeziehungen von "Mittelstädte[n] mit gewisser, zumindest regionaler Bedeutung" (21): die 1955/59 vereinbarte Partnerschaft zwischen dem schleswig-holsteinischen Rendsburg mit Vierzon und Bitterfeld sowie die 1959/63 besiegelte Verbindung der Stadt Wangen mit Châtillon und Merseburg. Sodann wendet er sich dem 1968/69 vertraglich fixierten Verhältnis zwischen Grand-Couronne, Velten und Seelze unweit von Hannover zu, das insofern ein Spezifikum darstellt, als die ostdeutsch-französische Beziehung vor der westdeutsch-französischen entstanden war. Die letzte Fallstudie betrifft die in der "Phase relativer Entspannung" (21) begründete "Ménage à trois" der Großstädte Amiens, Görlitz und Dortmund.
Über die mannigfachen Detailerkenntnisse in Bezug auf die vier bi- respektive trilateralen Verbindungen hinaus erscheinen fünf Ergebnisse der empirisch gesättigten Analyse besonders bemerkenswert.
1. Alle vier Dreiecksbeziehungen weisen das Charakteristikum auf, dass sie nach einem kommunistischen Machtwechsel in der französischen Stadt entstanden waren und die ostdeutschen Kommunen eine von der SED vorgegebene "politisch-ideologische Mission" zu erfüllen hatten (236).
2. In sämtlichen Fallstudien blieb das trilaterale Miteinander meist "ein theoretisches Konstrukt". (520) Während aus der westdeutsch-französischen Perspektive Dierkes zufolge der Begriff des "Nebeneinanders im Sinne einer 'friedlichen Koexistenz'" am ehesten zutrifft (523), muss seiner Meinung nach aus ostdeutscher Sicht eher von einem "Gegeneinander" mit je unterschiedlicher Intensität gesprochen werden (524).
3. Trotz zahlreicher Anzeichen eines "komplexen Geflecht[s] verschiedener, sich wechselseitig überschneidender Interdependenzen" (512) blieben die Abhängigkeiten zwischen der Mikro- und der Makroebene begrenzt, da jede Städtepartnerschaft "lokalen Besonderheiten" unterlag (513).
4. Gewisse Analogien zum "asymmetrischen Dreiecksverhältnis" in der staatlichen Sphäre erkennt Dierkes in den kommunalen Beziehungen zwischen Velten, Grand-Couronne und Seelze sowie zwischen Dortmund, Amiens und Görlitz. Von einer "Eins-zu-eins-Abbildung der Makroebene auf der Mikroebene" kann seines Erachtens jedoch auch dort nicht die Rede sein (513).
Vor diesem Hintergrund vermag Dierkes, fünftes, der von Christian Wenkel aufgestellten These einer Blütezeit ostdeutsch-französischer Kulturbeziehungen in den 1980er-Jahren in Bezug auf die Städtepartnerschaften auch deshalb "nur sehr bedingt bei[zu]pflichten" (521), weil das von ihm als "Einbahnstraßensystem in zwei Richtungen" (341) bezeichnete Charakteristikum der Reisebewegung von West nach Ost und dem Ideologietransfer von Ost nach West "bis zum Fall der Mauer niemals vollständig aufgehoben" wurde (521).
Der Rezensent stimmt den Gesamtbewertungen des Verfassers dezidiert zu und teilt auch dessen Grundannahme, dass im westdeutsch-französischen Aussöhnungsprozess der 1950er und frühen 1960er Jahre den politischen Akteuren eine "hohe", ja maßgebliche Bedeutung zukam, für die Durchsetzung dieses Kurses in der Folgezeit es aber "des aktiven Zutuns der Zivilgesellschaft" und des "Engagement[s] von Mittlern, Austauschdiensten und privaten Verständigungsorganisationen" bedurfte (68). Leise Kritik an der lesenswerten Studie meldet er an der Bewertung der politischen Entwicklungen sowohl in Bezug auf die von Dierkes anstandslos übernommene These Dietmar Hüsers über die "doppelte Deutschlandpolitik" Frankreichs in den späten 1940er Jahren [2] als auch hinsichtlich seiner Behauptung an, Westdeutschland habe "bereits zu Beginn der 1950er Jahre weitgehende Souveränität in der Außenpolitik erlangt". Wenngleich die Bundesrepublik im Vergleich zur DDR gewiss mehr als nur "marginalen eigenen Handlungsspielraum in der Außenpolitik" (44) besaß, kann doch von einer außenpolitischen "Souveränität" erst nach der Ablösung des Besatzungsstatuts 1955 die Rede sein, und auch dann nur mit Einschränkungen.
Anmerkungen:
[1] Corine Defrance / Ulrich Pfeil: Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945 bis 1963, Darmstadt 2011, 178.
[2] Dietmar Hüser: Frankreichs "doppelte Deutschlandpolitik". Dynamik aus der Defensive - Planen, Entscheiden, Umsetzen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen innen- und außenpolitischen Krisenzeiten 1944-1950, Berlin 1996.
Ulrich Lappenküper