Claire Gantet: La Guerre de Trente Ans 1618-1648, Paris: Tallandier 2024, 637 S., ISBN 979-10-210-5504-9, EUR 26,90
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Sabine Eickhoff / Franz Schopper (Hgg.): 1636 - Ihre letzte Schlacht. Leben im Dreißigjährigen Krieg, Stuttgart: Theiss 2012
Christiane Neerfeld (Bearb.): Die französischen Korrespondenzen. 1647-1648, Münster: Aschendorff 2010
Johannes Arndt: Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648, Stuttgart: Reclam 2009
Stefan Ehrenpreis (Hg.): Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Berg und in seinen Nachbarregionen, Neustadt a.d. Aisch: Verlagsdruckerei Schmidt 2002
Peter H. Wilson: Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie, Stuttgart: Theiss 2017
Guido Metzler: Französische Mikropolitik in Rom unter Papst Paul V. Borghese (1605-1621). Vorgelegt von Wolfgang Reinhard, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2008
Ulrich Niggemann: Immigrationspolitik zwischen Konflikt und Konsens. Die Hugenottenansiedlung in Deutschland und England (1681-1697), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008
Bettina Scherbaum: Die bayerische Gesandtschaft in Rom in der frühen Neuzeit, Tübingen: Niemeyer 2008
Claire Gantet: La paix de Westphalie (1648). Une histoire sociale, XVIIe-XVIIIe siècles, Paris: Éditions Belin 2001
David El Kenz / Claire Gantet: Guerres et paix de religion en Europe aux 16e - 17e siècles, Paris: Armand Colin 2003
Claire Gantet: Der Traum in der Frühen Neuzeit. Ansätze zu einer kulturellen Wissenschaftsgeschichte, Berlin: De Gruyter 2010
Der Dreißigjährige Krieg, der Europas und namentlich Deutschlands Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur zwischen 1618 und 1648 - und auch weit über das Kriegsende hinaus - prägte, stellt in der deutschsprachigen und internationalen Historiographie ein stets aufs Neue behandeltes Thema dar. Schon die Zeitgenossen befassten sich in ersten zeitgeschichtlichen Darstellungen mit diesem zu einem Sinnbild für das eiserne 17. Jahrhundert gewordenen Konflikt; über Schiller bis in unsere Gegenwart hinein war er - mit oftmals wiederholten alten wie auch immer wieder neuen Deutungsansätzen - gewissermaßen ein historiographischer Dauerbrenner, dessen Interpretation häufig sehr eng mit dem aktuellen Zeitgeschehen verknüpft war.
So weist Claire Gantet zu Beginn ihrer hier zu besprechenden Geschichte des Dreißigjährigen Krieges zu Recht darauf hin, dass dieser Konflikt Generationen von Leserinnen und Lesern immer wieder fasziniert habe und er insbesondere in der aktuellen Politikwissenschaft geradezu als ein Spiegel gegenwärtiger Konfliktsituationen betrachtet werde. Als Inspirationsquelle eher denn als Modell diente er tatsächlich in den letzten zehn Jahren sowohl Nahost-Expertinnen und Experten als auch verschiedentlich politischen Entscheidern. [1] Um das 400. Gedenkjahr des Kriegsausbruches, das 2018 mit zahlreichen wissenschaftlichen Veranstaltungen begangen wurde, erschien eine Reihe - inhaltlich wie umfangsmäßig - gewichtiger Gesamtdarstellungen des Dreißigjährigen Krieges, in denen alte Debatten fortgeführt und durchaus auch neue Akzente gesetzt wurden. Die wichtigsten einschlägigen Publikationen erschienen in deutscher und englischer Sprache. [2]
Neue Akzentsetzungen gelingen auch der in der Schweiz lehrenden französischen Historikerin Claire Gantet, die schon seit ihrer Dissertation als herausragende Kennerin des Westfälischen Friedens und seiner sozialgeschichtlich-kulturellen Dimension sowie als Expertin für die Geschichte der internationalen Beziehungen gilt und mit wegweisenden Veröffentlichungen zum frühneuzeitlichen Reich hervorgetreten ist. Mit dem Dreißigjährigen Krieg und dem ihn in Mitteleuropa beendenden Westfälischen Frieden beschäftigte sich Claire Gantet auch bereits mehrfach in Form von Aufsätzen, in denen sich ein souveräner Überblick über die Forschung mit genuin eigenen und neuen Ansätzen verbinden, etwa in der Frage, ob sich aus dieser größten Kriegskatastrophe in der deutschen Geschichte bis zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts mit (trotz der beachtlichen - vor allem regionalen - Unterschiede als unstrittig geltenden) dramatischen Auswirkungen auf die Bevölkerung ein generationenübergreifendes Trauma entwickelte.
Anders als in der deutsch- und englischsprachigen Forschung lag in der französischen Historiographie bislang keine auf der Höhe der internationalen Forschung argumentierende, auf einem soliden Gesamtüberblick über die Historiographie basierende und eigene Forschungen präsentierende Synthese vor. Frühere Gesamtdarstellungen des Dreißigjährigen Krieges sind entweder deutlich schlanker und vermögen insofern keinen veritablen Gesamtüberblick über den komplexen Konflikt zu bieten [3], beeindrucken trotz Detailreichtums eher mit Masse als Klasse [4] oder wenden sich vom Level her in erster Linie an ein Publikum von Bachelor-Studierenden. [5]
Geradezu einen Quantensprung im Bereich der französischsprachigen Gesamtdarstellungen des Dreißigjährigen Krieges markiert vor diesem Hintergrund das 635 Seiten starke, mit acht Karten und acht Schwarz-weiß-Abbildungen illustrierte, durch Genealogien, eine Chronologie und ein Glossar ergänzte, einerseits auf höchstem wissenschaftlichen Niveau argumentierende und andererseits auch für ein breiteres studentisches und gebildetes Publikum gut lesbare Werk aus der Feder Claire Gantets.
Die Darstellung ist in vier Hauptteile und 32 Kapitel untergliedert. Vorangestellt ist die Einleitung, die von den Gegenwartsbezügen ausgehend die Frage nach dem Zweck einer Geschichte des Dreißigjährigen Krieges behandelt. Im Anschluss daran wendet sich das erste Kapitel differenziert der Frage nach den Kriegsursachen zu. Als eher klassisch, aber zweckmäßig darf die chronologische Anlage der vier Hauptteile gelten, die sich erstens der Eskalationsspirale von 1618 bis 1629 zuwenden, zweitens der Kriegswende in den entscheidenden Jahren um den schwedischen Kriegseintritt 1629 bis 1631, drittens dem Höhepunkt der Gewalt und der gleichzeitigen Suche nach Frieden 1631 bis 1648, viertens schließlich dem Westfälischen Friedenskongress und seinen unmittelbaren Nachwirkungen 1643 bis 1650. In der Kapitelgliederung zeigt sich jedoch bereits, dass diese Darstellung keineswegs als konventionell zu bezeichnen ist. So behandelt der letzte Hauptteil nur in zwei von insgesamt vier Kapiteln die Verhandlungen zum Frieden (Kap. 29) und deren Ergebnisse (Kap. 30), während ebenso viele Kapitel den Friedensfesten (Kap. 31) und der ihrerseits konfliktbeladenen Herausbildung einer Erinnerungskultur - oder genauer von Erinnerungskulturen im Plural (Kap. 32) - gewidmet sind, bevor die Schlussfolgerungen (gewissermaßen eine Klammer mit der Einleitung bildend) kritisch und relativierend wiederum den Gegenwartsbezug herstellen, etwa im Hinblick auf die Forschergruppe in Cambridge, die Parallelen zum Syrienkonflikt untersucht hatte. Mit den Problemen der Friedensfeste, Erinnerungskultur und potentieller Gegenwartsbezüge stellt die Verfasserin Fragenkomplexe in den Mittelpunkt, zu denen sie selbst beachtliche eigene Forschungsergebnisse erzielte und die in ihrer Darstellung keineswegs nur als Beiwerk zum Frieden erscheinen, sondern als integrierende Elemente der Herstellung und Implementierung sowie der Deutung des Friedens, der also keinesfalls auf ein Vertragswerk zu reduzieren ist, sondern als gesellschaftliche, kulturelle und auch - schon zeitgenössische, vielschichtige - historiographische Praxis erscheint.
In der französischsprachigen Forschung ist diese Darstellung einzigartig, im Vergleich zu den deutsch- und englischsprachigen Monographien darf sie als argumentativ überzeugend und originell gelten. Der Verfasserin gelingt es, den Dreißigjährigen Krieg sehr ausgewogen in seinen Dimensionen als deutschen und europäischen Konflikt darzustellen, während trotz der spanisch-niederländischen Auseinandersetzungen in Übersee die Einstufung als "conflit mondial" (438) zu Recht entschieden verneint wird. Durch die Multiperspektivität der Darstellung, welche - auch auf Grundlage eigener Quellenstudien - vielfältige Akteure und Akteursgruppen auf unterschiedlichen Handlungs- und Erfahrungsebenen und in diversen Kontexten (von politik- über wirtschafts- bis zu mediengeschichtlichen Zusammenhängen) durch eine methodisch geschickte Kombination makro- und mikrohistorischer Zugriffe miteinander verbindet, handelt es sich auch für die deutschsprachige Leserschaft um eine lesenswerte Ergänzung zu den existenten Synthesen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. etwa Patrick Milton / Michael Axworthy / Brendan Simms: Towards a Westphalia for the Middle East, London 2018.
[2] Neben anderen Werken sind hier besonders zu nennen Johannes Burkhardt: Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2018; Herfried Münkler: Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648, Berlin 2017; Georg Schmidt: Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, München 2018. Aus der anglophonen Historiographie weiterhin maßgebend Peter Wilson: Europe's Tragedy. A History of the Thirty Years War, London 2009; deutsche Übersetzung unter dem Titel: Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie, Darmstadt 2017. Vgl. auch den Forschungsbericht von Michael Kaiser: 1618-2018. Eine bibliographische Bestandsaufnahme zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges vor 400 Jahren, in: Zeitschrift für Historische Forschung 45 (2018), 715-797.
[3] Georges Livet: La guerre de Trente Ans. 6. Aufl., Paris 1994 (Que sais-je? 1083), zuerst 1963; Yves Krumenacker: La guerre de Trente Ans, Paris 2008.
[4] Henri Sacchi: La guerre de Trente Ans. 3 Bde. Nouvelle édition Paris 2003, zuerst 1991.
[5] Martin Wrede: La guerre de Trente Ans. Le premier conflit européen, Malakoff 2021.
Guido Braun