Rezension über:

Stephan Klecha: Der treue Funktionär Otto Buchwitz. Vom traditionellen Sozialdemokraten zum überzeugten Unterstützer der SED, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2024, 264 S., ISBN 978-3-8012-4292-3, EUR 29,90
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Rezension von:
Andreas Malycha
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Malycha: Rezension von: Stephan Klecha: Der treue Funktionär Otto Buchwitz. Vom traditionellen Sozialdemokraten zum überzeugten Unterstützer der SED, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 1 [15.01.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/01/38981.html


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Stephan Klecha: Der treue Funktionär Otto Buchwitz

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In seiner Studie beschreibt Stephan Klecha den Lebensweg sowie die Karriere eines Politikers, der als überzeugter Sozialdemokrat in der Weimarer Republik loyal zur SPD-Führung stand und in den Jahren 1945/46 zu einem enthusiastischen Fürsprecher der Sozialistischen Einheitspartei wurde. Er blieb Zeit seines Lebens der Vorzeige-Sozialdemokrat, der als SPD-Vorsitzender in Sachsen nach eigenem Bekunden missionarisch um die Erfüllung seiner Lebensaufgabe, die "Einheit der Arbeiterklasse" gekämpft und damit angeblich die richtigen Lehren aus der Geschichte der Arbeiterbewegung gezogen hatte. Buchwitz zahlte für seine Karriere innerhalb der SED wie viele ehemalige Sozialdemokraten den Preis, sich an Politik, Ideologie und Machtanspruch der aus der KPD kommenden Führungskader anpassen zu müssen und traditionelle sozialdemokratische Ideale aufzugeben. Er blieb in der SED politisch einflusslos, wurde dafür aber in den 1950er Jahren mit repräsentativen Funktionen entschädigt. Buchwitz eröffnete am 8. November 1950 die konstituierende Sitzung der Volkskammer als Alterspräsident, eine Aufgabe, die er bis zu seinem Tod 1964 ausfüllte.

Klecha sucht in der vorliegenden Biografie nach jenen Aspekten, die Buchwitz unmittelbar nach dem Kriegsende zum bedingungslosen Befürworter der Einheitspartei werden ließen. Zugleich greift er Motive auf, die Buchwitz trotz wachsender Vorbehalte ganz offenbar zum Verbleiben in der SED bewogen haben. Allerdings ist die Quellenlage für eine umfassende Biografie alles andere als optimal. Die überlieferten Unterlagen aus dem unvollständigen Nachlass bzw. aus den über verschiedenen Archiven verstreuten Teilnachlässen bieten insbesondere keine hinreichende Grundlage für die Beantwortung der Frage, wie Buchwitz vom "traditionsbewussten Sozialdemokraten zum einheitssozialistischen Fackelträger" (19) wurde. Auch die überlieferten Zeugnisse aus der Zeit vor 1945 erlauben nur begrenzte Einsichten in seinen biografischen Werdegang. Daher hat Klecha noch einmal gründlich die autobiografischen Überlieferungen sowie bisherige Veröffentlichungen über Buchwitz durchforscht und einem Faktencheck unterzogen. Auf diese Weise versucht er, die Stichhaltigkeit der biographischen Selbstzeugnisse oder der Darstellung seiner Biografen zu prüfen.

Klecha kommt zu dem Schluss, dass Buchwitz keineswegs den Kampf um die Einheitspartei als eine Lebensaufgabe verfolgte. Bis Anfang der 1940er Jahre war Buchwitz demnach noch fest im sozialdemokratischen Denken verwurzelt und rechtfertigte zugleich den politischen Kurs des Prager Exilvorstandes der SPD. Erst die von Buchwitz erlebte Solidarität im Zuchthaus Brandenburg-Görden habe in ihm die Idee von einer sozialdemokratisch-kommunistischen Einheitspartei reifen lassen. Er ließ von dieser Idee auch nicht ab, als sich im Laufe der KPD-Einheitskampagne 1945/46 deutlich abzeichnete, dass es der KPD-Führung hauptsächlich um den uneingeschränkten Machtanspruch im Nachkriegsdeutschland ging, der sich dann lediglich in der Sowjetischen Besatzungszone mit Hilfe der Besatzungsmacht durchsetzen ließ.

Die von Klecha genannte und von Buchwitz selbst immer wieder hervorgehobene Lagersolidarität während der Haftzeit war sicherlich ein wesentlicher Aspekt für das Engagement für eine Einheitspartei. Als zentrales Motiv kann dies jedoch nicht ganz überzeugen. Gewiss gehörten gemeinsame Hafterfahrungen von Sozialdemokraten und Kommunisten während der Nazizeit zu dem unverzichtbaren Gründungsmythos der SED. Doch andere ehemalige sozialdemokratische Mithäftlinge der Brandenburger Haftanstalt wie Gustav Dahrendorf - er war als Mitglied des Zentralausschusses der SPD der sowjetischen Zone unmittelbar nach Kriegsende ebenfalls ein früher Befürworter der Einheitspartei - distanzierten sich jedoch von dieser Idee als absehbar war, mit welchen Methoden Sozialdemokraten in die Einheitspartei gezwungen werden sollten. Buchwitz ließ sich als einer der zwei Landesvorsitzenden der SED auch dann nicht irritieren, als ehemalige Sozialdemokraten seit 1947/48 des Sozialdemokratismus geziehen, aus der SED ausgeschlossen und politisch verfolgt wurden.

Die Frage, warum Buchwitz trotz erheblicher Bedenken ab 1948 eine politisch herausgehobene Funktion in der Zentralen Parteikontrollkommission als einer zentralen Institution im Prozess der Stalinisierung der SED aufnahm und der SED bis zuletzt die Treue hielt, kann auf der Grundlage der verfügbaren Quellen nicht restlos beantwortet werden. Klecha nennt einige Aspekte, die für Buchwitz eine Rolle gespielt haben mögen: Dankbarkeit für die Befreiung aus den unmenschlichen Haftbedingungen des Konzentrationslagers sowie gewisse materielle Annehmlichkeiten als Parteifunktionär der SED. Klecha verweist zu Recht auf ein zentrales handlungsleitendes Motiv für viele innerparteiliche Skeptiker: Sie hielten voller Überzeugung am sozialistischen Gesellschaftsmodell sowjetischer Prägung fest, da sie die westdeutsche Entwicklung keineswegs als erstrebenswerte Alternative ansahen.

Somit bleiben die Erklärungen für die grundlegende Entscheidung von Buchwitz für die SED noch immer spekulativ. In seiner Biografie kann Klecha vielmehr aufzeigen, dass Funktionäre aus dem sozialdemokratischen Milieu angesichts des Machtanspruchs der Kommunisten über keinen nennenswerten politischen Gestaltungsraum in der SED verfügten. Darüber hinaus wird in der Studie erkennbar, wie Buchwitz nach 1945 seine eigene Biografie umdeutete, indem er sich nunmehr als entschiedener Gegner der "rechten Führer" (211) der Sozialdemokratie in der Weimarer Zeit darstellte. In diesem Kontext hat Klecha in seinem Resümee schließlich eine sehr überzeugende Erklärung für die Haltung von Buchwitz zur SED: "Die SED ermöglichte ihm dann eine weitergehende Idealisierung seines Lebenslaufs und ließ ihm eine Wertschätzung zukommen, die er vor 1933 in der SPD nie in einem solchen Umfang erfahren hatte und die ihm die Schumacher-SPD auch nicht gewährt hätte" (212).

Der Vorzug dieser biografischen Studie über Otto Buchwitz besteht zweifellos darin, dass sich der Autor mit der einschlägigen Literatur kritisch auseinandersetzt, diese einer kritischen Prüfung unterzieht und daraus streitbare Schlüsse zieht. Nicht nur die von ihm geschilderten und bislang unbekannten Details aus den Monaten des Jahres 1947, als nach dem rätselhaften Tod des sächsischen Ministerpräsidenten Rudolf Friedrichs die SED in Sachsen faktisch vor der Spaltung stand, sind außerordentlich lesenswert.

Andreas Malycha