Rezension über:

Olaf Kistenmacher: »Gegen den Geist des Sozialismus«. Anarchistische und kommunistische Kritik der Judenfeindschaft in der KPD zur Zeit der Weimarer Republik, Freiburg: ça ira-Verlag 2023, 155 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-86259-146-6, EUR 23,00
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Rezension von:
Philipp Dinkelaker
Berlin
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Philipp Dinkelaker: Rezension von: Olaf Kistenmacher: »Gegen den Geist des Sozialismus«. Anarchistische und kommunistische Kritik der Judenfeindschaft in der KPD zur Zeit der Weimarer Republik, Freiburg: ça ira-Verlag 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 4 [15.04.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/04/38671.html


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Olaf Kistenmacher: »Gegen den Geist des Sozialismus«

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Olaf Kistenmachers kleinformatiges, mit 156 Seiten angenehm kurzes Buch versteht sich als Einführung in die Geschichte des linken Antisemitismus aus Sicht dessen linker Kritikerinnen und Kritiker inner- und außerhalb der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in der Zwischenkriegszeit.

Kistenmacher beginnt chronologisch mit den Positionierungskämpfen um das Verhältnis der KPD zum Nationalismus und Antisemitismus im Krisenjahr 1923. Der Aufstieg des Faschismus und der völkischen Bewegung zwangen zu einer Auseinandersetzung mit deren Kernthemen. Kistenmacher betrachtet daher im zweiten von vier Hauptkapiteln die Strategie der KPD, nationalistische Kreise zu umgarnen. In der Tradition einiger sozialistischer Vordenker interpretierte man den Antisemitismus als einen unbewussten Antikapitalismus, den man nur in die richtigen Bahnen lenken müsse. Kistenmacher rekonstruiert also die linken Einwände gegen den linken Appell an den (antisemitischen) Affekt. Anhand von zeitgenössischen Analysen und publizistischen Interventionen von Personen wie dem Anarchosyndikalisten Rudolf Rocker und anderen zeigt er eindrucksvoll, dass die Öffnung der Mehrheits-KPD für antisemitisch unterfütterten Nationalismus weder unumstritten noch alternativlos war.

Hieran anknüpfend erläutert er im dritten Kapitel "Der Antizionismus der KPD" den dezidiert gegen eine jüdisch-nationale Selbstbestimmung gerichteten KPD-Kurs. Dieser brach sich im August 1929 anlässlich von arabisch-muslimischen Pogromen gegen die (teils alteingesessene) jüdische Bevölkerung im britischen Mandatsgebiet Palästina Bahn.

Im vierten Kapitel "Momentaufnahmen" geht Kistenmacher auf die Weimarer Endphase ein. In dieser oszillierte die KPD zwischen nationalistischer und antisemitischer Mobilisierung einerseits und der Bekämpfung der immer erfolgreicher agierenden Nationalsozialisten andererseits. Ein kürzeres Schlusskapitel behandelt die linke (Nicht-)Reaktion auf die Shoah und geht auf den rabiaten Antizionismus nach der israelischen Staatsgründung 1948 ein.

Der Sozialismus trug wie keine andere Bewegung zur kritischen Analyse des Antisemitismus und dessen Bekämpfung bei. Daher ist es erklärungswürdig, wie ausgerechnet Teile der Arbeiterbewegung Elemente dieses Ressentiments praktisch und theoretisch integrierten. Kistenmacher ergänzt die Kapitel mit historisch-theoretischen Exkursen, die diesen Kontext kenntnisreich aufbereiten. Die kritische Einordnung trägt zum besseren Verständnis der komplexen politischen Debatten der 1920er und 1930er Jahre bei. Dies macht das Buch auch für eine breite Öffentlichkeit zugänglich. So geht der Autor auf die antisemitischen Tendenzen in der Sowjetunion ein und erklärt die Auseinandersetzungen um den Begriff der nationalen Befreiung innerhalb der marxistischen Gesellschaftstheorie, ohne den Fokus auf die Ereignisse in Deutschland zu verlieren.

Kistenmacher gelingt es auf wenigen Seiten, die Kernthesen überzeugend darzulegen. Zwar war der Antisemitismus der KPD und ihrer Spaltprodukte in der Zwischenkriegszeit mehr als eine Anbiederungsstrategie und nicht identisch mit dem rechtsextremen Judenhass. Andererseits demonstriert Kistenmacher anhand beklemmend nah an der späteren NS-Sprache formulierter Quellen wie die KPD am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme den völkischen Antisemitismus der NSDAP mit eigenen antisemitischen Narrativen spiegelte. Hinter der Nazi-Partei stehe das "jüdische Kapital" (56), weshalb die Kommunisten die eigentliche nationale Bewegung repräsentiere. Statt den NS-Antisemitismus zu dekonstruieren, verkehrte die stalinisierte KPD die marxistische Analyse in eine dezidiert antisemitische Gegenwartsdeutung. Kritikerinnen und Kritiker in- und außerhalb der Partei mahnten die unabsehbaren Folgen dieser Hinwendung zum Ressentiment frühzeitig und hellsichtig an.

"Gegen den Geist des Sozialismus" präsentiert keine neuen Ergebnisse und behauptet auch nicht, dies zu tun (11). Vielmehr stellt das Buch ein Kondensat von Kistenmachers Studie zur KPD-Tageszeitung "Die Rote Fahne" dar. [1] Daher hat das Werk vielfältige Anknüpfungspunkte zur Parteien- und Antisemitismusforschung sowie zur Geschichte der Arbeiterbewegung, der Weimarer Republik und des Zionismus bzw. der deutschen Wahrnehmung des Nahen Ostens zwischen den Weltkriegen. Durch den einführenden Charakter bleibt Kistenmacher hier notwendigerweise an der Oberfläche. Man vermisst die Auseinandersetzung mit der neueren Literatur, beispielsweise aus der Kommunismusforschung. So wird Marcel Bois' Studie zur linken KPD-Opposition trotz der thematischen Überschneidungen nicht erwähnt. [2]

Dagegen punktet Kistenmacher aber mit seinem fundierten Zugriff auf die marxistische Terminologie um die Begriffe Arbeit und Nation im Spannungsfeld sozialistischer Deutungen der "Judenfrage" (63). In den zitierten KPD-Quellen zeichnet sich ein spezifisches Amalgam aus vulgarisierter Theorie und praktischem Wahn ab, in dem zumindest stellenweise eine Art Judäo-Kapitalismus als verborgener Strippenzieher insinuiert zu werden scheint. Es wäre spannend gewesen, dies mit der Forschung zum in den völkischen Kreisen der Zwischenkriegszeit europaweit verbreiteten Verschwörungsnarrativ vom "Judeo-Bolshevism" zu vergleichen. [3]

Eine große Stärke des Buches besteht darin, dass Kistenmacher 1929 als den Kernmoment des linken, antisemitisch formierten Antizionismus identifiziert. Überzeugend zeigt er die ungleiche Rezeption der jüdischen und nicht-jüdischen nationalen Befreiungsbewegungen im Blick der KPD auf das britische Mandatspalästina. Die Parteinahme deutscher Kommunisten für die kurze Zeit später mit dem NS-Regime gegen die britische Völkerbund-Mandatsmacht kooperierenden arabischen Nationalisten ging mit der Verharmlosung ihres mörderischen Judenhasses einher. En passant entlarvt Kistenmacher so auch die seit dem 7. Oktober 2023 wieder zirkulierenden Mythen, erst die israelische Politik seit 1967 habe die Linke gegen Israel aufgebracht oder der arabisch-israelische Krieg 1948/49 sei der "Auslöser" des Nahostkonfliktes gewesen.

Eine weitere Stärke besteht in Stil und Gestaltung des Buches. So schreibt der Autor zwar deutlich erkennbar aus einer gesellschaftskritischen Position heraus - wofür nicht zuletzt der Ça Ira Verlag steht. Cover und Haptik des Bandes machen das Lesen dabei aber ebenso zum Vergnügen, wie Kistenmachers am journalistischen Schreiben und öffentlichen Vortragen gereifte, flüssige Sprache.


Anmerkungen:

[1] Olaf Kistenmacher: Arbeit und "jüdisches Kapital": Antisemitische Aussagen in der KPD-Tageszeitung Die Rote Fahne während der Weimarer Republik (= Die jüdische Presse - Kommunikationsgeschichte im europäischen Raum; Bd. 19), Bremen2016.

[2] Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin: Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik, Essen 2014.

[3] Paul A. Hanebrink: A Specter Haunting Europe: The Myth of Judeo-Bolshevism, Cambridge 2018.

Philipp Dinkelaker