Gregson Davis / Sergio Yona: Afterlives of the Garden. Receptions of Epicurean Thought in the Early Empire and Late Antiquity (= Cicero. Studies on Roman Thought and Its Reception; Vol. 8), Berlin: De Gruyter 2023, VIII + 182 S., ISBN 978-3-11-102192-8, EUR 79,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Francesca Longo Auricchio / Giovanni Indelli / Giuliana Leone et al.: La Villa dei Papiri. Una residenza antica e la sua biblioteca, Roma: Carocci editore 2020
Simone Vezzoli: Arcesilao di Pitane. L'origine del platonismo neoaccademico, Turnhout: Brepols 2016
Robin Waterfield: Plato of Athens. A Life in Philosophy , Oxford: Oxford University Press 2023
Der vorliegende Sammelband enthält sieben Beiträge zur Rezeption des Epikureismus in der frühen Kaiserzeit und Spätantike, wobei die späte Republik mitberücksichtigt ist, mithin Lukrez, Philodem und die (frühen) "Augusteer". Der Fokus liegt auf lateinisch schreibenden Autoren. Das Buch umfasst ohne Bibliographie 147 Seiten und ist eine willkommene Ergänzung zu einschlägigen Werken, welche die Auseinandersetzung mit dem Epikureismus in der post-hellenistischen Epoche thematisieren. [1] Drei Beiträge sind der erotischen Liebe in lateinischer Dichtung vor dem Hintergrund der epikureischen Philosophie gewidmet (Davis / Hanses / Winters); Hedrick analysiert die Schlusspartie der Äneis, Piergiacomi den pseudo-vergilischen Aetna unter epikureischen Vorzeichen. Das von Verde verfasste Kapitel hat die Polemiken vier griechischer Autoren gegen den Epikureismus zum Gegenstand. In Erlers Beitrag wird das Verhältnis von Augustinus zum Epikureismus näher beleuchtet. Jedes Kapitel erstreckt sich über ungefähr 20 Seiten; das Buch schließt mit einer gemeinsamen Bibliographie und dem Index locorum.
Gregson Davis erläutert zunächst die Intention des Sammelbandes und gibt einen kurzen Inhaltsüberblick (Introduction: Afterlives of the Garden, Modalities of Reception of Epicurean Thought in Proto-Imperial and Imperial Rome; 1-11), welcher recht nachlässig endredigiert wurde. [2]
Im ersten eigentlichen Kapitel versucht Davis für drei Horaz-Stellen nachzuweisen [3], dass diese von der epikureischen Affekt-Lehre, besonders derjenigen von der Kontrolle der Liebesleidenschaft, beeinflusst sind (Amator miser: Epicurean Aspects of the Portrayal of Infelicitous Amor in Horatian Lyric; 13-33). Der (potentiell) unglückliche Liebhaber soll durch epikureische Konzepte geschützt oder getröstet werden. Die subtile Argumentation ist oft schlüssig, wenngleich epikureische Gedanken kaum allen analysierten Versen exponiert zugrunde liegen dürften.
In Kapitel 2 ventiliert Robert Hedrick III einen neuen Gedanken zur viel diskutierten Frage, wie der Zorn des Äneas und die Tötung des Turnus am Ende von Vergils Epos zu bewerten seien (Evidence and Anger: Epicurean Cognition in the Finale of the Aeneid; 35-54). Er verweist auf die epikureische Epistemologie und das Konzept der ἐνάργεια: Äneas werde die Ermordung des Pallas nochmals so deutlich vor Augen geführt, dass dieser unweigerlich eine Art natürlichen Zorn / Wut empfinden muss, wie ihn die Epikureer auch konzedieren [4], und folglich Turnus tötet. Dieser akzeptiere seinen Tod nicht mit epikureischem Gleichmut als etwas Natürliches (indignari - Kontrast zu Luc. 3,1045-1046).
Erin M. Hanses (A Woman's Pleasure: Sulpicia and the Epicurean Discourse of Love; 55-77) argumentiert, dass sich bei Sulpicia (Corpus Tib. 3,8-18) einige Anklänge auf die bei Lukrez im Zusammenhang mit dem sexuellen Erleben von Frauen erwähnten mutua voluptas und communia gaudia finden (Luc. 4,1192-1196). Anders als die Dichterin erachtet der Epikureer diese aber nicht als erstrebenswert. Während Anleihen aus Lukrez lexikalisch-inhaltlich gewiss plausibel sind, ist die von Hanses zu einigen Epigrammen Philodems gezogene Verbindung (philosophierende Xanthippe) eher fraglich. Auch manche Folgerung ist weitreichend, etwa dass Sulpicia gleichsam eine am epikureischen Diskurs partizipierende Philosophin oder Autorin war.
In Kapitel 4 (The Epicurean Project of the Ciris; 79-96) versucht Nicolas Winters zu zeigen, dass der Autor der pseudo-vergilischen Ciris seine epikureische Prägung nicht nur im Proöm zu erkennen gibt, sondern auch im mythologischen Teil selbst Elemente aus Epikurs Lehren integriert, etwa die Warnung vor amor insanus. Die topische recusatio zu Beginn dürfe nicht als Absage an epikureische Inhalte missverstanden werden, welche im Epyllion vielmehr dichterisch gekonnt transportiert würden.
Der Aetna, ein anderes Kleinepos aus der Appendix Vergiliana, wird von Enrico Piergiacomi in Kapitel 6 auf epikureischen Einfluss hin untersucht (Volcanos and Roman Epicureanism: Traces of Epicurean Theory in the Poet of the Aetna; 97-112). Er führt aus, dass der Tenor durchweg rationalistisch-epikureisch sei, die Erklärungen zum Ätna viel Lukrez verdankten und vermeintliche stoische Färbungen sich auch auf epikureische Vorstellungen oder Aussagen zurückführen ließen. Angebliche Widersprüche zu Epikur seien mit Blick auf dichterische Freiheit aufzulösen. Im Autor sei ein epikureischer Freund Vergils zu sehen. [5]
In Kapitel 7 präsentiert Francesco Verde vier Fallstudien, welche den Einfluss des Epikureismus in der Kaiserzeit auf andere Philosophierichtungen exemplifizieren sollen (Epicurus in the Roman Imperial Age: Four Case-Studies [Aristocles of Messene, Atticus, Dionysius of Alexandria and Plotinus]; 113-132). Die Wirkungsgeschichte des κῆπος in dieser Epoche sei bisher unzureichend erforscht. Aristokles von Messene kritisiert von peripatetischer Warte aus die epikureische Affektlehre als unzureichend für die Bestimmung des Telos (Eus. PE 14,21); der Mittelplatoniker Atticus attackiert die peripatetische Vorsehungsleugnung über einen Vergleich mit Epikur (Eus. PE 15,5); Bischof Dionysios von Alexandria setzt sich in seinem Περὶ φύσεως ausführlich mit der Naturlehre der Epikureer auseinander und verwirft sie (Eus. PE 14,23-27); [6] der Neuplatoniker Plotin bezieht sich in einer Invektive gegen die Gnostiker explizit auf Epikur (Plot. enn. 2.9.15.8) und spielt auch anderweitig auf epikureisches Vokabular an.
Im achten Kapitel untersucht Michael Erler die Haltung von Augustinus zum Epikureismus, welcher ihn als jungen Mann (Aug. conf. 6) durchaus ansprach (Augustine and Epicureanism; 133-147). Die Kenntnisse des Kirchenvaters beruhen vornehmlich auf Cicero und Lukrez. Er lehnte naturgemäß die meisten Aspekte der damals kaum noch präsenten Philosophierichtung ab (Hedonismus, Vorsehungsleugnung, Bildungsferne, Sterblichkeit der Seele) und übernahm stereotype Zerrbilder, konnte Epikur aber im Bereich der Ethik bisweilen Positives abgewinnen und nutzte ihn für Polemiken gegen andere. Wie Epikur sieht er den irdischen Staat mit seinen Gesetzen als Ausfluss utilitaristischer Erwägungen, nicht von (transzendenter) Gerechtigkeit. Beide setzen ein ähnliches, grundsätzlich positives Menschenbild voraus, anders als etwa der Sophist Glaukon in Platons Politeia.
Anmerkungen:
[1] Maßgeblicher Sammelband von Michael Erler / Robert Bees: Epikureismus in der späten Republik und Kaiserzeit, Stuttgart 2000. Ferner einschlägig: James Warren (ed.): The Cambridge Companion to Epicureanism, Cambridge 2009; Phillip Mitsis (ed.): The Oxford Handbook of Epicurus and Epicureanism, Oxford 2020 (vgl. S. 1); John Ferguson: Epicureanism under the Roman Empire, in: ANRW 36.4, hg. von Wolfgang Haase, S. 2257-2327 (besonders für Kirchenväter).
[2] So wird etwa auf S. 5 explizit von Davis' Beitrag als "chapter 2" (nach Hanses) gesprochen, aber dieser markiert das erste Kapitel im Buch. Generell deuten S. 5-7 auf Umstellungen hin, an welche die Einleitung nachträglich nicht adäquat angeglichen wurde.
[3] Hor. sat. 1,5; carm. 1,33; 2,9.
[4] Siehe hierfür Philodems De ira (David Armstrong / Michael McOsker (Übersetzer und Herausgeber): Philodemus, On Anger, Atlanta 2020).
[5] Mit Augusto Rostagni: Virgilio minore. Saggio sullo svolgimento della poesia virgiliana, Rom 1961, 310-334.
[6] Zum Werk siehe Kilian Josef Fleischer: Dionysios von Alexandria, De natura (περὶ φύσεως). Übersetzung, Kommentar und Würdigung, Turnhout 2016.
Kilian Fleischer