Rezension über:

Heike Krösche / Andrea Brait / Claus Oberhauser (Hgg.): Neue Aufgabenkultur im Geschichtsunterricht? Theoretische Zugänge und empirische Befunde (= Reihe der Gesellschaft für Geschichtsdidaktik Österreich; Bd. 3), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2023, 287 S., ISBN 978-3-7344-1617-0, EUR 34,90
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Rezension von:
Oliver Mayer-Simmet
Didaktik der Geschichte, Universität Augsburg
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Mayer-Simmet: Rezension von: Heike Krösche / Andrea Brait / Claus Oberhauser (Hgg.): Neue Aufgabenkultur im Geschichtsunterricht? Theoretische Zugänge und empirische Befunde, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 4 [15.04.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/04/39436.html


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Heike Krösche / Andrea Brait / Claus Oberhauser (Hgg.): Neue Aufgabenkultur im Geschichtsunterricht?

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Dieses Buch greift die seit etwas mehr als zehn Jahren innerhalb der Geschichtsdidaktik intensiv geführte Diskussion um Aufgaben im und für den Geschichtsunterricht auf. Dabei soll - wie die Einleitung der Herausgeber betont - das Fragezeichen im Titel für eine anhaltende Kontroverse stehen: Was ist das Neue an der neuen Aufgabenkultur? Der vorliegende, auf die Jahrestagung der österreichischen Gesellschaft für Geschichtsdidaktik (GDÖ) 2021 zurückgehende Sammelband enthält insgesamt 16 theoretisch, pragmatisch und empirisch ausgerichtete Beiträge, wobei letztere deutlich überwiegen. Der Band erhebt den Anspruch, auf zentrale aktuelle Diskussionsstränge zum aufgabenbasierten Geschichtsunterricht zu verweisen, wobei hier insbesondere die Herausgeber die Verschränkung der Aufgabenkultur mit den Chancen und Herausforderungen digitalen Unterrichts sowie die Auseinandersetzung mit Aufgabenformaten und sprachsensiblen Gesichtspunkten verstehen. Die abschließenden Arbeiten sind eher klassisch auf Aufgaben im Geschichtsschulbuch ausgerichtet.

Den Rahmen für den Band bilden im Sinne der Fragestellung die Aufsätze von Wolfgang Buchberger, Christian Heuer, Jörgen Wolf und Thomas Stornig. Auch sie basieren auf empirischen Studien. Die Beiträge greifen die Diskussionen um zeitgemäße Aufgaben für historisches Lernen auf und umreißen Funktionen und Qualitätskriterien im Sinne eines kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts. Buchberger kritisiert, dass nicht alle Prozesssegmente des historischen Denkens in österreichischen Schulbüchern durch Aufgaben gefördert würden. Christian Heuer plädiert zurecht für eine dezidiertere Erforschung aller Phasen einer Aufgabenkultur, angefangen von der Aufgabeneinführung bis hin zur Aufgabenreflexion. Mehr Kenntnisse über das praktische Wissen und Können von Lehrkräften im Bereich der Aufgabenstellung mahnt Jörgen Wolf an. Eine Sonderrolle im Band nimmt der Beitrag von Thomas Stornig ein, der sich für eine stärkere Förderung von historischen Aufgaben zur Umweltproblematik im Sinne der aktuellen BNE-Diskussion stark macht.

Das Kapitel zur Digitalität eröffnet Lena Liebern mit ihrem Vorschlag zur Bestimmung des Anforderungsniveaus von (digitalen) Lernaufgaben. Dabei muss die Verfasserin zwar letztlich einräumen, dass das gewählte Analyseraster kaum die Aufgabenqualität hinsichtlich des historischen Lernens messen kann, erstaunlich ist aber dann doch, dass die Chancen eines digitalen Vermittlungsmediums - hier in Form der weithin bekannten Plattform SEGU - kaum genutzt werden, und über 50% der Aufgaben - analog zu vielen Schulbuchuntersuchungen - nur reproduktiver Natur sind. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommt auch Gabriele Danninger. Sie erhob in einer empirischen Untersuchung Erfahrungen und Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe während der Corona-Pandemie. Im Ergebnis betonen die Lernenden zwar viele Vorteile des Homeschooling, gleichwohl initiierten aber selbst in den Augen der Lernenden die an sie gerichteten Aufgaben nur selten problemlösende und auf historische Urteile abzielende Denkprozesse. Dass es auch anders geht, skizziert der Beitrag von Moritz Pöllath. Er lenkt den Blick auf ein Geschichtsprojekt über die Bayerische Verfassungsgebende Landesversammlung des Jahres 1946, das in einem Archiv - wenn auch in digitaler Form - über ein halbes Jahr dreiphasig durchgeführt wurde. Interessant sind hier die Beobachtungen, wie Thema und Aufgabenformate korrelieren und wie Schülerinnen und Schüler durch gut ausgewählte Quellen und offene wie gelenkte Aufgaben durchaus an eine selbstständige historisch-politische Urteilsbildung herangeführt werden können. Dass die Hürden häufig zu hoch sind, legt der Beitrag von Theresa Hiller nahe. Sie führte ein Lernmodul der Plattform "MiBLabor" (Menschen im Bergbau) mit Schülerinnen und Schüler der 11. Jahrgangsstufe einer Gesamtschule in NRW durch, dessen auf Interviews mit Zeitzeugen basierende Aufgabenfolge nach dem LUKAS-Prinzip aufgebaut auf eine historische Leitfrage zielte. Aus der Varianz der Lösungen der Lernenden schließt Pöllath, dass es trotz entsprechender Aufgabenstellung nur wenigen gelang, theoretisch-methodische Aspekte auf das konkrete Interview zu übertragen.

Mit einem Beitrag zu Operatoren als Ausdruck sprachlichen Handelns eröffnet Charlotte Husemann das dritte Kapitel. Durch leitfadengestützte Interviews vor und nach einer Intervention zur Förderung fachsprachlicher Handlungsfähigkeit kann sie an den Operatoren "Beschreiben" und "Erklären" zeigen, dass das Sprachhandlungswissen der überwiegend mit einem Migrationshintergrund versehenen Schülerinnen und Schüler einer 6./7. Jahrgangsstufe einer NRW-Gesamtschule alltagsprachlich und fachunspezifisch geprägt ist. Im Einklang mit Jonas Bartholomé und Franziska Rein spricht sie sich dafür aus, dass Lernenden von einer expliziten Vermittlung sprachlicher Strukturen im Fachunterricht durchaus im Sinne des historischen Lernens profitieren können. Bartholomé und Rein verweisen in ihrem Aufsatz über kategorien- und konzeptorientierte Lernaufgaben auf kognitive und sprachliche Entwicklung als eng verbundene Phänomene. Die Autoren lenken den Blick auf eine fachspezifische Wortschatzarbeit mittels themenspezifischer Wortgerüste, welche durch entsprechende Lernaufgaben gelenkt wird und die individuellen Biografien, Präkonzepte und Konzepte der historisch Lernenden berücksichtigt. In ähnlicher Weise rückt Johannes Brzobohaty das Textverstehen von Schülerinnen und Schülern im Hinblick auf Aufgabenstellungen und mit ihnen verbundene Quellen und Darstellungen in den Mittelpunkt einer kleinen, nicht repräsentativen Studie. Die Auswertung der Fragebögen, welche zur Evaluation eingesetzt wurden, ergab, dass aufgrund des geringen deutschen Wortschatzes die Lernenden nicht-deutscher Muttersprache die Arbeitsaufträge kaum verstehen konnten. Auch Brzobohaty spricht sich für eine Erarbeitung in kleinen Schritten und eine Vorabklärung von Wortbedeutungen aus.

Das abschießende Kapitel wird eröffnet mit einem Beitrag von Nicola Brauch, welcher der Frage nachgeht, ob bzw. wie sich die Aufgabenkultur in den letzten Jahren verändert hat. Durch die Analyse eines Aufgabensets aus zwei unterschiedlichen Ausgaben desselben Lehrwerks kommt die Verfasserin zur Erkenntnis, dass zwar Empfehlungen aus der Geschichtsdidaktik durchaus aufgegriffen werden, dass Defizite aber in Bezug auf die Quellenarbeit weiterhin verbreitet sind. Philipp Mittnik lenkt den Blick auf Aufgaben zum Thema Holocaust in österreichischen Geschichtsschulbüchern. Insgesamt macht auch er noch großen Reformbedarf aus, wenn er etwa über 80 % der Aufgaben nur wenig Sinn für das historischen Lernen beimisst. Von den verbleibenden entfällt ein Großteil auf den Anforderungsbereich I sowie hälftig auf die Förderung von Sach- und Methodenkompetenz. Die Förderung von Orientierungs- und Fragekompetenz spielt in den untersuchten Aufgaben kaum eine Rolle. Bestätigen kann dies auch Jasmin Katzier. In den von ihr nach der Lehrplanreform von 2016 eingeführten österreichischen Schulbüchern konnte sie nur zu rund 15% Aufgaben zur Fragekompetenz ermitteln. Zieht man die allgemeinen Frageaufträge ab, verbleiben gar nur rund 4,5%. Immerhin konnte Katzier aber einen Zuwachs an Aufgaben zur historischen Fragekompetenz im Vergleich zu Schulbüchern vor der Reform feststellen. Mehr nach den unterschiedlichen Denkoperationen fragen Jonas Schobinger, Jan Scheller und Martin Nitsche. Wenn auch nur acht Probanden einbezogen wurden, so legt doch die Studie nahe, dass Experten und Expertinnen eher dazu neigen, eine historische Frage nach Sichtung des Gesamtmaterial zu stellen, um anschließend ihre Plausibilität im Medienvergleich zu überprüfen, während Schülerinnen und Schüler kleinschrittiger und auf die einzelnen Materialien fokussiert, ohne Medienvergleiche und eher zufällig die Operationen nutzend vorgehen. Mit der Frage, ob es in Deutschland und Österreich trotz der eng miteinander verbundenen geschichtsdidaktischen Forschung eine unterschiedliche Aufgabenkultur gibt, beschäftigt sich Sandra Müller-Tietz im abschließenden Artikel. Interessant ist, dass Quellenauszüge in den österreichischen Büchern häufig kürzer sind, hingegen die Aufgaben, die sich auf diese beziehen, häufig länger. Insgesamt zeichnen sich die untersuchten Schulbücher in Österreich auch durch eine stärkere Vernetzung der Elemente aus, während die deutschen Schulbücher eher klassisch in Darstellungsteil und Aufgabenteil getrennt sind.

Insgesamt diskutiert das Buch viele Facetten einer Aufgabenkultur für das historische Lernen. Die empirischen Untersuchungen zeigen, wie vielfältig die Aspekte sind, die noch näher durch die Geschichtsdidaktik erforscht und in die Unterrichtspraxis übersetzt werden müssen. Insofern handelt es sich um ein verdienstvolles Werk, das sorgfältige Analysen bereitstellt und eine interessante Lektüre ermöglicht. Besonders ertragreich erscheinen die Aufsätze in den beiden mittleren Kapiteln "Aufgabenkultur und Digitalität" und "Aufgabenkultur und Sprache". Partiell können die Studien auch bestätigen, dass die geschichtsdidaktische Forschung der letzten zehn Jahre durchaus Einfluss auf die Aufgabenkultur in Unterricht und Schulbuch hatte, wenngleich aber noch viel zu tun bleibt. Insgesamt kann der Band als ein Spiegelbild wichtiger Diskussionen verstanden werden, der aber nicht den Anspruch erheben kann, den ernsthaften Versuch unternommen zu haben, eine kritische Standortbestimmung vorzunehmen und tatsächlich nach dem "Neuen" an der Aufgabenkultur zu fragen.

Oliver Mayer-Simmet