Rezension über:

Toni Pierenkemper: Unternehmensgeschichte. Eine Einführung in ihre Methoden und Ergebnisse (= Grundzüge der modernen Wirtschaftsgeschichte; Bd. 1), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2000, 328 S., 15 Diagr. und Tabellen, ISBN 978-3-515-07674-6, DM 37,16
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Rezension von:
Harald Wixforth
Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Michael C. Schneider
Empfohlene Zitierweise:
Harald Wixforth: Rezension von: Toni Pierenkemper: Unternehmensgeschichte. Eine Einführung in ihre Methoden und Ergebnisse, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2000, in: sehepunkte 1 (2001), Nr. 2 [15.02.2001], URL: https://www.sehepunkte.de
/2001/02/2132.html


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Toni Pierenkemper: Unternehmensgeschichte

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Die Unternehmensgeschichtsschreibung hat in Deutschland im Augenblick Konjunktur. Die Ursache dafür ist zum einen in bereits erschienenen oder angekündigten Studien zu suchen, die im Kontext "Unternehmen im Nationalsozialismus" angefertigt wurden oder entstehen. Zum anderen sind in den letzten Jahren, befördert durch zahlreiche Firmenjubiläen und durch ein wachsendes Interesse der Forschung am Phänomen "Unternehmen", zahlreiche ambitionierte Arbeiten publiziert worden, die im Gegensatz zu früheren Studien den Entwicklungsweg eines Unternehmens in einen breiteren sozio-ökonomischen Kontext stellen und zudem versuchen, durch Anwendung klar umrissener Theorieangebote Unternehmensgeschichte aufzuarbeiten. Weniger Weihrauch, sondern mehr Wissenschaft lautet daher die Forderung, die von Verfechtern einer theoriegeleiteten and anspruchsvollen Unternehmensgeschichte erhoben wird. Die intensive Methodenreflexion über die Geschichte von Unternehmen ist sicherlich zu begrüßen, zeigt sie doch Defizite und Desiderate auf, die lange Zeit in diesem Genre auch von renommierten Forschern akzeptiert wurden und daher an der Tagesordnung waren.

Eines der Defizite, welches in diesem Zusammenhang zu benennen ist, ist fraglos in einer lange Zeit nicht vorhandenen systematischen Einführung in den Forschungskomplex "Unternehmensgeschichte" zu sehen. Das hier angezeigte Buch von Toni Pierenkemper ist sicherlich ein wesentlicher Beitrag, diese Lücke zu füllen. Pierenkemper bemerkt zu recht, dass die Unternehmensgeschichte vielfältige Wurzeln besitzt, die eine klare Ab- und Eingrenzung dieses Forschungsfeldes erheblich erschweren. Ein systematischer Zugriff ist daher erforderlich, um die einzelnen Fassetten der Unternehmensgeschichte zu strukturieren und zu einem präzisen Gesamtbild zusammenzufügen.

Pierenkempers Buch untergliedert sich in drei Hauptteile. Im ersten werden die Grundlagen der Unternehmensgeschichte und ihre Einordnung in verschiedene Forschungstraditionen vorgestellt. Nach einer kurzen und präzisen Einführung des Begriffs "Unternehmen" skizziert Pierenkemper die bisherigen Spielarten von Unternehmensgeschichte in Deutschland und den USA. Zu recht verweist er darauf, dass es in Deutschland zwar eine lange Diskussion über die Ursprünge und den Entwicklungsweg modernen Industrieunternehmen gibt, dass sich die Unternehmensgeschichtsschreibung aber ebenso lange auf die Anfertigung relativ unkritischer Firmenfestschriften und Unternehmerbiographien konzentriert hat.

Auf die Ausnahmen, die nicht diesem Muster folgten, geht Pierenkemper kurz ein, ebenso auf die für die Unternehmensgeschichtsschreibung relevanten Fachzeitschriften. Als Alternative zu dieser in Deutschland traditionellen Sichtweise verweist Pierenkemper auf das Konzept der "Business History" in den USA, das vor allem von dem Historiker Norman S. B. Gras entwickelt wurde. Gras verstand darunter vor allem die Geschichte des Geschäftslebens, weniger die Geschichte eines Unternehmens als Organisationsform - ein Konzept, das Pierenkemper zu recht als zu eng für eine moderne Unternehmensgeschichte charakterisiert.

Als dritte Form, den Entwicklungsweg von Unternehmen und Betrieben zu beschreiben, benennt Pierenkemper die DDR-Betriebsgeschichte, die auf Grund ihrer ideologischen Ausrichtung heute kaum mehr als "Königsweg" zur modernen Unternehmensgeschichte gelten kann, obwohl sie zahlreiche und fundierte Studien hervorgebracht hat, welche vor allem die Produktionsverhältnisse in der damaligen DDR analysieren. Im letzten Abschnitt dieses Teils stellt Pierenkemper mögliche Theorieansätze für eine moderne Unternehmensgeschichte vor, wobei seinem Plädoyer zuzustimmen ist, dass diese ein möglichst großes Forschungsfeld umfassen und auf präzise und theoriegeleitete Fragestellungen rekurrieren müssen. Zudem sollten sie Kriterien bereitstellen, mit denen sich der Kern unternehmerischen Handelns, nämlich komplexe Entscheidungssituationen, analysieren lässt.

Den zweiten Hauptteil in Pierenkempers Buch bildet ein "Parforceritt" durch die vor allem deutsche Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte im 19. Jahrhundert. Anhand von Faktoren und Kriterien, welche Gegenstand von strategischen Entscheidungen in Unternehmen sind - Wachstum und Finanzierung, Technikwahl, Rekrutierung von Arbeitskräften, Absatzstrategien, sektorale Differenzierung -, wird nicht nur auf die bisher vorhandene Literatur zu diesen einzelnen Punkten hingewiesen, sondern gleichsam als Synthese der Entwicklungsweg zahlreicher Unternehmen, aber auch der deutschen Wirtschaft insgesamt im 19. Jahrhundert nachgezeichnet. Der gleiche methodische Zugriff wird beim zweiten Abschnitt in diesem Teil - Personen und Gruppen in Unternehmen - gewählt, indem hier explizit und gut strukturiert auf die Literatur zu Unternehmern und Managern auf der einen und zu Angestellten und Arbeitern auf der anderen Seite eingegangen wird. Im dritten Abschnitt wird die Literatur zu unternehmerischen Interessenlagen und Marktregulierungen wie Kartellbildungen und Unternehmenskonzentration referiert und kritisch gewürdigt.

In seinem dritten Hauptteil geht Pierenkemper ausführlich auf die bisher entwickelten Konzepte und Ansätze ein, die auf eine umfassendere Theorie der Unternehmung zielen. Nachvollziehbar ist dabei, dass er das neoklassische Paradigma kritisiert und eher Erkenntnisgewinne für die Unternehmensgeschichte erwartet, wenn diese auf entscheidungstheoretischen, vor allem aber auf den Ansätzen der Institutionenökonomie basiert. Zum Schluss dieses Teils widmet sich Pierenkemper den Arbeiten, in denen bisher die politische Interessenartikulierung und -vertretung von Unternehmen in Form von Verbänden oder anderen industriellen Zusammenschlüssen behandelt wurde.

Insgesamt gesehen bietet Pierenkempers Buch eine ausgesprochen gut strukturierte und lesbare Einführung in das Forschungsfeld der Unternehmensgeschichte. Zum einen wird ein detaillierter Überblick über die bisherigen historiographischen Ansätze präsentiert, zum anderen die wesentlichen Kriterien und Forschungsfelder samt der publizierten Literatur benannt, die für eine ambitionierte Unternehmensgeschichtsschreibung relevant sind. Das Buch eignet sich hervorragend als Einstiegslektüre für alle, die bisher noch keine Gelegenheit fanden, sich mit der Unternehmensgeschichte zu befassen, sich nun aber mit diesem komplexen, aber auch spannenden Forschungsfeld beschäftigen wollen. Die deutsche Unternehmensgeschichtsschreibung verfügt nun über ein gut strukturiertes und griffiges Handbuch, auf dem weitere Forschungen zu dieser Thematik aufbauen können.

Harald Wixforth