Rezension über:

Sylvia Hahn / Reinhold Raith (Hgg.): Umwelt-Geschichte. Arbeitsfelder, Forschungsansätze, Perspektiven (= Querschnitte. Einführungstexte zur Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte; Bd. 8), München: Oldenbourg 2001, 240 S., ISBN 978-3-486-56584-3, EUR 24,80
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Rezension von:
Bernward Selter
Fachhochschule Lippe und Höxter, Höxter/Arnsberg
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Bernward Selter: Rezension von: Sylvia Hahn / Reinhold Raith (Hgg.): Umwelt-Geschichte. Arbeitsfelder, Forschungsansätze, Perspektiven, München: Oldenbourg 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 3 [15.03.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/03/1473.html


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Sylvia Hahn / Reinhold Raith (Hgg.): Umwelt-Geschichte

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Spätestens seit dem "Brundtland-Bericht" der UNO-"Weltkommission für Umwelt und Entwicklung" im Jahre 1987 erlebt der vor fast 300 Jahren von Forstleuten erstmals verwendete Begriff "Nachhaltigkeit" eine Renaissance und ist seit einiger Zeit fast zu einem Modewort avanciert. Dass die künftige nachhaltige Nutzung begrenzter natürlicher Ressourcen auch manches Mal den Blick in die Vergangenheit erfordert, ist mittlerweile anerkannt. Denn schon frühere Gesellschaften versuchten nach dem Grundgedanken zu leben, die natürlichen Lebensgrundlagen nicht über die Maßen zu strapazieren, sondern sie möglichst den kommenden Generationen zu erhalten.

Wie aber gingen die Menschen früher mit den natürlichen Ressourcen um? Auf der Suche nach den Aufgaben der Umweltgeschichte oder der historischen Umweltforschung trifft man besonders auf zwei grundlegende Fragen: Mündete die "historische" Ressourcennutzung stets in einer Ressourcenverschwendung, welche somit als anthropologische Konstante in der Mensch-Umwelt-Beziehung anzusehen wäre? Oder aber brachte erst der "Übergang vom Zeitalter der Kohle ins Zeitalter der Kohlenwasserstoffe" (9) eine neue Dimension in die Übernutzung natürlicher Ressourcen, die es vorher so noch nicht gegeben hatte? Für die Umweltgeschichte tut sich hier ein weites Feld für die historische Analyse der Wechselwirkungen zwischen den Menschen und der sie umgebenden Natur auf. Dass derartige Untersuchungen nur auf interdisziplinärer Ebene Erfolge verbuchen können, betonen die beiden Herausgeber des vorliegenden Buches zu Recht. Mit dem inzwischen achten Band in der Reihe "Querschnitte" möchten sie in das Thema "Mensch und Umwelt" in seiner zeitlichen Dimension anhand einer Vorstellung des Forschungsfeldes sowie bewusst interdisziplinär gewählter "Querschnitt"themen beispielhaft einführen.

Nach einem einleitenden Kapitel der Herausgeber folgt ein Beitrag von Christian Rohr, der sich dem Thema "Mensch und Naturkatastrophe" über einen "mentalitätsbezogenen Zugang" (16) nähert. Am Beispiel des Erdbebens in Villach 1348 zeigt er unter anderem, inwieweit im Spannungsfeld von alltäglicher Erfahrung und "göttlicher Prüfung" das mittelalterliche Katastrophenbild durch Wahrnehmung, Deutung und Bewältigung geprägt wurde. "Die Natur als Warenhaus" hat Günter Bayerl seinen Aufsatz betitelt. Er beleuchtet anhand zeitgenössischer Quellen, wie sich in der Frühen Neuzeit an der Schwelle von der alten Subsistenzwirtschaft in die neue "naturausbeuterische Wachstumsgesellschaft" (38) das Naturbild nachhaltig veränderte. Das 18. Jahrhundert erscheint somit als "Sattelzeit" (50), die im Sinne einer ökonomischen Nützlichkeit der technischen Nutzbarmachung der Natur besonders ab dem 19. Jahrhundert erst den Weg bereitete. Gerhard Pfeisingers "umweltgeschichtliche Anmerkungen zur Entstehung der Weltökonomie" sind ein Plädoyer für die Einbindung der Mensch-Natur-Beziehungen in die Untersuchungen zur Entfaltung der Weltökonomie. Anhand der europäischen Expansion nach Amerika weist er nach, wie sowohl beabsichtigte als auch nichtintendierte Folgen im Zuge der Eroberungen den ökologischen Zustand dieser Gebiete oft irreversibel veränderten. Als ein Beispiel führt er die "Europäisierung der Graslandschaften" (65) in der südamerikanischen Pampa durch die Ausbreitung europäischer Pflanzen- und Tierarten an.

Eine bisher nur geringe Beachtung des Bergbaus in umwelthistorischen Untersuchungen beklagt Helmut Lackner in seinem Beitrag über die Geschichte der Nutzung der mineralischen Rohstoffe der Natur. Er spannt in seinen Ausführungen einen Bogen von der Akzeptanz des Bergbaus an der Schwelle zur Frühen Neuzeit über Schilderungen zur Entwicklung und zu den ökologischen Folgen des Ober- und Untertagebaus bis hin zur Beschreibung von Katastrophen im Zusammenhang mit dem Bergbau. Dabei beschäftigt er sich vor allem mit der Grubenkatastrophe von Lassing 1998. Besondere Zäsuren in der bergbaulichen Entwicklung und der damit verbundenen Umweltbeeinflussung macht Lackner im Steinkohlenbergbau des 19. Jahrhunderts und in einem "globalen Wandel des Bergbaus vom Untertage- zum Obertagebergbau und der Verlagerung von Europa in außereuropäische Länder" (91) im 20. Jahrhundert fest. Der historischen Dimension des "Stoffwechsels" der vorindustriellen und industriellen Gesellschaft widmet sich Reinhold Reiths Beitrag über "Recycling - Stoffströme in der Geschichte". In eindrucksvoller Weise gelingt es Reith zu zeigen, dass sich wirtschafts- und umweltgeschichtliche Untersuchungen intensiver mit den historischen Stoffströmen beschäftigen sollten. Neben einer kurzen Einführung in die Begriffsgeschichte des Recyclings skizziert er vor dem Hintergrund von Kenngrößen - Rohstoffinput, Materialintensität des Lebensstils, Produktinnovation sowie Versuche der Wiederverwertung - den Umgang der Gesellschaften mit knappen materiellen Ressourcen.

Intensive Quellenrecherchen liegen der Fallstudie von Lisa Noggler über die "Wahrnehmung von Luft" am Beispiel der Stadt Innsbruck im 19. Jahrhundert zu Grunde. Den Beginn des Alpentourismus und die damit einhergehende Erschließung der Bergwelt durch Bergbahnen in der Schweiz und in Österreich zeichnet der Beitrag von Wolfgang König nach. Seine Ausführungen machen deutlich, dass sich der Tourismus bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert im Spannungsfeld von Naturschutz und Naturerschließung bewegt hat. Die Geschichte der Wasserversorgung und -entsorgung der Stadt Wien vor 1914 hat Gerhard Meißl erforscht. In seiner detailreichen Studie schildert er nicht nur den Aufbau der städtischen Wasserversorgung und der Abwässerbeseitigung samt deren innerstädtischen Differenzierung, sondern geht auch auf das einzigartige und noch heute in Betrieb befindliche System der alpinen Hochquellenleitungen ein.

Die österreichische Umweltpolitik der drei letzten Jahrzehnte hat Volkmar Lauber näher untersucht. Er kommt dabei unter anderem zu dem Schluss, dass Österreich nach "zähen" Anfängen der 1970er-Jahre in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren eine umweltpolitische Vorreiterrolle übernahm, die jedoch in den letzten Jahren wieder einer Entwicklung "vom Umweltmusterland zum neuen Minimalismus" (191) gewichen sei. Walter Scherrer spürt in seinem Beitrag Umweltthemen in einem Standardwerk der Ökonomie - Paul Samuelsons "Economics" - nach. Scherrer belegt, dass in dem während der letzten fünfzig Jahre mehrfach neu aufgelegten Werk der Darstellung umweltrelevanter Sachverhalte immer mehr Raum gewährt wurde. Abschließend gibt Peter M. Eckl aus naturwissenschaftlicher Sicht einen kurzen Überblick über das Auftreten und die Folgen so genannter "Umweltmutagene" - also von Gefahrenstoffen, die Mensch und Umwelt belasten und sich "im gehäuften Auftreten von Tumoren äußern" (229).

Das breite Themenspektrum und die verschiedenen Ansätze der mit Literaturhinweisen versehenen Beiträge lassen erkennen, dass die Herausgeber des Bandes bewusst auf eine Positionierung innerhalb der Umweltgeschichte verzichtet haben. Sie möchten lieber fachübergreifend Interesse an umwelthistorischen Themen wecken und zu Diskussionen anregen. Der hier vorgelegte Einblick in den Forschungsstand in Österreich untermauert noch einmal die Bedeutung der über die Geschichtswissenschaft hinausgehenden Kooperation in der umwelthistorischen Forschung.


Bernward Selter