Veit Elm: Die Revolution im Kirchenstaat. Ein Literaturbericht über die jüngere Forschung zur Vorgeschichte und Geschichte der Repubblica Romana (1798-1799) (= Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte; Bd. 13), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, 256 S., ISBN 978-3-631-38827-3, EUR 35,30
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Dieses Buch ist ein Zwitter. Auf der einen Seite wird das geboten, was der Titel verspricht: ein Literaturbericht über die römische Republik von 1798/99 und ihre Vorgeschichte. Auf der anderen Seite will Elm am Beispiel des Kirchenstaats die Frage beantworten, welche politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Faktoren darüber entschieden, ob die Republikanisierung nach französischem Muster abgelehnt wurde oder nicht (18). Begründet wird diese Doppelstöckigkeit in Anspruch und Intention mit der Reichweite der Frage: Weil deren Beantwortung "nichts weniger als eine 'histoire totale' der Republik" (Vorwort) erfordere, müsse sich die Arbeit auf die Auswertung der Forschungsliteratur beschränken.
Warum diese ambitionierte Frage am Beispiel des Kirchenstaats untersucht wird, leuchtet ein. Einerseits bietet sich der katholischste aller Staaten an, um mit dem militanten Widerstand gegen die Republikanisierung ein Phänomen zu analysieren, das sich auf die katholischen Regionen Europas konzentrierte und stets auf den "heiligen Glauben" berief. Für diesen Widerstand im Namen des katholischen Glaubens hat das Land der Päpste ein Musterbeispiel zu bieten, - die so genannte "Insorgenza", eine Aufstandsbewegung, die dem republikanischen Experiment nach nur 18 Monaten ein Ende bereitete. Andererseits stieß das französische Exportgut keineswegs in allen Provinzen des Kirchenstaats auf Ablehnung. Konfessionelle Kurzschlüsse sollten sich daher von selbst verbieten, weitere Faktoren müssten ebenso selbstverständlich in den Blick gelangen.
Skepsis weckt hingegen die Beschränkung auf die Forschungsliteratur. Wenn der Verzicht auf eigene Quellenstudien nicht nur arbeitsökonomisch attraktiv, sondern auch in der Sache sinnvoll sein soll, muss das Thema bereits intensiv erforscht und die Zeit für eine große Synthese reif sein. Nur dann lässt sich die Forschungsfrage durch einen Literaturbericht beantworten, nur dann kann das Experiment mit den zwei Ebenen gelingen. Um es vorwegzunehmen: Es ist gescheitert.
Als Literaturbericht hat das Buch durchaus seine Verdienste: Ausgewertet werden über 450 Titel, die zum überwältigenden Teil auf Italienisch erschienen sind und dank Elms Vermittlung die alpine Sprach- und Rezeptionsbarriere überwinden könnten. Die Gliederung des Berichtes ist zwar traditionell und gewiss nicht im Sinne der angekündigten "histoire totale" angelegt, aber übersichtlich. So folgen der knappen Einleitung (11-21) je ein Kapitel zur Verfassungsgeschichte (23-67), zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte (69-132) und zur Geistes- und Mentalitätsgeschichte (133-211). Die Präsentation der behandelten Arbeiten ist zuverlässig, mitunter sehr ausführlich und oft mit kritischen Kommentaren versehen. Allerdings lässt Elm den Leser nicht selten ratlos zurück. So werden widersprüchliche Thesen präsentiert, ohne dass zu erfahren wäre, welcher Interpretation die Forschung insgesamt oder der Berichterstatter denn nun den Vorzug gibt. Vor allem aber bestätigt sich, was von Anfang an zu befürchten stand: Die römische Republik und ihre Vorgeschichte sind bei weitem nicht gut genug untersucht, um die unterschiedlichen Reaktionen auf das republikanische Experiment zu erklären. Immer wieder mündet die Erörterung in die Mitteilung, die jeweilige Frage sei nicht hinreichend erforscht und müsse daher offen bleiben. Diese Formel begegnet nicht nur bei Details, sie trifft auch das eigentliche Anliegen des Buches: Wenn etwa "die Motive des Teils der adeligen und bürgerlichen Führungsschicht, der sich auf die Seite der Insorgenza stellte", in der Forschung schlicht "unklar" bleiben (211), kann ein Literaturbericht keine befriedigende Antwort auf Elms Ausgangsfrage liefern.
Dass zentrale Fragen offen bleiben, ist allerdings nicht allein der Forschungslage zuzuschreiben. Immerhin sind gerade in den letzten zehn Jahren mehrere Sammelbände und Monografien zum Thema erschienen, die nicht nur Teilaspekte erhellen, sondern auch Impulse für die Gesamtinterpretation der gescheiterten Republik liefern. Die meisten der seit 1990 veröffentlichten Arbeiten tauchen bei Elm zwar auf, aber nur im Literaturverzeichnis und in kursorischen Hinweisen in den Fußnoten. Im Text selbst werden sie hingegen nicht berücksichtigt. Dies führt zu mitunter skurrilen Verwerfungen. So sind einige der im Text als gänzlich unerforscht beschriebenen Fragen nach Aussage der Fußnoten mittlerweile umfassend beantwortet. Wie diese Antwort lautet, ist allerdings nicht zu erfahren (32, 155, 177, 186).
Ähnlich ambivalent fällt die Bilanz aus, wenn man Elms Werk nicht als Literaturbericht, sondern als Beitrag zur Erforschung des Kirchenstaats und der römischen Republik liest. Angesichts der widersprüchlichen Thesen und offenen Fragen fällt es zwar schwer, den Inhalt des Buches zusammenzufassen. Aber auch auf dieser Ebene sind durchaus Verdienste zu vermerken. Indem Elm den schon im Titel anklingenden Anspruch einlöst und die Republik stets im Licht ihrer Vorgeschichte analysiert, werden nicht nur die Brüche, sondern auch die in der Forschung gerne vernachlässigten Kontinuitäten deutlich. So illustriert der Blick auf die Verfassungsgeschichte nicht nur die hinlänglich bekannte Abhängigkeit der römischen Republik vom französischen Vorbild. Sichtbar werden auch die Kontinuitäten in Theorie und Praxis: An der Spitze des Staates übernahmen die Vertreter Frankreichs die Rolle des absolutistischen Monarchen; in den Provinzen provozierte die angestrebte Zentralisierung der Verwaltung den Rückgriff auf die traditionelle Alternative zum römischen Zentralismus: Der "municipalismo", das Streben der Städte nach Autonomie im Namen ihrer alten Freiheiten, erlebte eine neue Blüte. Auch im Blick auf die Wirtschafts- und Sozialgeschichte dominieren die Kontinuitäten. Die Republik vertrat zwar ein liberalistisches Programm, das die ausführlich geschilderten ökonomischen Schwierigkeiten des vorrevolutionären Kirchenstaats überwinden sollte. Aber wie der weitgehende Verzicht auf die geplante Enteignung des Kirchenguts oder die Wiederbelebung der zunächst abgeschafften Annona zeigen, konnte sich die Republik nicht ganz von den Traditionen des Kirchenstaats lösen. Ähnliches gilt für die Kirchenpolitik. Statt die vom Direktorium propagierte Trennung von Staat und Kirche zu übernehmen, betrieb die römische Republik eine Kirchenpolitik, die in der Tradition des italienischen Regalismus auf die Zusammenarbeit von Staat und Kirche zielte und insgesamt als moderat zu bezeichnen ist.
Insgesamt kann Elm plausibel machen, was er selbst als das Ergebnis der Studie bezeichnet: "daß der vom Direktorium in Rom instaurierte Staat unter französischer Aufsicht die Tradition der aufgeklärten Monarchen Italiens fortführte" (216). Elm räumt zwar ein, dass es diese Tradition in der Toskana oder der Lombardei, nicht aber im Rom der Päpste gab. Doch gerade dies zeigt für ihn, dass die Fortsetzung der reformistischen Tradition Italiens durch das revolutionäre Frankreich geeignet war, "die Disparitäten bei der Umsetzung der Aufklärung durch die italienischen Monarchien auszugleichen und ganz Italien an den Fortschritten des Nordens Anteil nehmen zu lassen" (216). Elms ungebremste Begeisterung für das Modernisierungstheorem mag Geschmackssache sein. Aber gerade seine fortschrittsfrohe Einschätzung zeigt, wie wichtig die von ihm selbst lediglich angemahnte Ausdehnung des Untersuchungszeitraums über 1799 hinaus wäre.
Überdies bleibt eines festzuhalten: Die Ausgangsfrage nach den Faktoren, die über Annahme oder Ablehnung der Republik entschieden, ist damit noch nicht geklärt. Auch in dieser Hinsicht enthält das Buch zahlreiche Hinweise. So zeigt sich, dass die "Insorgenza" keineswegs eine rein religiös motivierte Aufstandsbewegung war. Vielmehr versammelt dieser Begriff eine ganze Reihe höchst heterogener Erhebungen auf dem Land, die schon lange vor 1798 begonnen haben und nach dem Ende der Republik ihre Fortsetzung fanden. Manche dieser Aufstände trugen nicht antifranzösische, sondern antipäpstliche Züge, einige waren reine Hungerrevolten, viele sprechen für einen antistädtischen Affekt der Landbewohner, der auch auf ein kulturelles Gefälle zwischen Stadt und Land verweisen könnte. Welche Rolle religiöse Motive spielten, ist selbst bei den "sanfedistischen", im Namen der "santa fede" geführten Erhebungen beim derzeitigen Forschungsstand kaum zu entscheiden. Ähnlich differenziert fällt das Ergebnis für die Städte aus. Deren Verhalten ist nur zu erklären, wenn neben den lokalen politischen Traditionen und ökonomischen Gegebenheiten auch die Spannungen zwischen den Städten und ihren Umlandgemeinden im "contado" sowie die unterschiedlichen Entwicklungen in Küsten- und Bergregionen berücksichtigt werden.
Allerdings ebnet Elm diese mühevoll differenzierten Befunde in seinem knappen Schlusswort (213-216) wieder ein. Dass sich das Volk "zur Verteidigung des Glaubens gegen den neuen Staat" erhoben habe (214), liest man nach den Darlegungen zur Vielfalt der "Insorgenza" und ihrer Motive mit leichtem Erstaunen. Und dass die Republik auch am "Traditionalismus der bürgerlichen und der adeligen Führungsschicht" gescheitert sei (215), ist zwar richtig, wird aber nicht hinreichend erklärt. Schuld daran ist eine Gewichtung der Faktoren, die der religiösen oder kulturellen Dimension weit mehr Bedeutung beimisst als sozioökonomischen Motiven. Vernachlässigt wird vor allem die Rolle der Privilegien. Wie Cesarina Casanova und eine ganze Reihe von Studien zu den Provinzen des Kirchenstaats gezeigt haben, waren Ausfuhrlizenzen und andere ökonomische Privilegien das Zahlungsmittel der Päpste für die Loyalität der Oberschicht. Casanovas These, diese Privilegienpolitik habe jede Reform im Kirchenstaat unmöglich gemacht, erwähnt Elm durchaus (86). Aber er lässt sie unkommentiert und ungenutzt. So wäre zu fragen, ob die Führungsschicht mit der alten Ordnung nicht nur den "heiligen Glauben", sondern auch und vor allem ihre irdischen Privilegien verteidigte. Weil Elm diese Frage übergeht, muss er zu dem Urteil kommen, in wirtschaftlicher Hinsicht habe die Republik für Adel und Bürgertum die bessere Alternative dargestellt (130). Wäre dem so gewesen, könnte die Ablehnung der neuen Staatsform tatsächlich nur auf mentale Faktoren zurückgeführt werden. Aber gerade das steht zu bezweifeln.
Insgesamt bietet Elm einen Überblick über den Forschungsstand bis etwa 1990, Hinweise auf aktuellere Literatur sowie eine Reihe von Informationen und Anregungen für die weitere Forschung. Eine befriedigende Antwort auf die Frage, welche Faktoren über die Reaktion auf die Republik entschieden, liefert er jedoch nicht.
Birgit Emich