Markus Trunk: Die 'Casa de Pilatos' in Sevilla. Studien zu Sammlung, Aufstellung und Rezeption antiker Skulpturen im Spanien des 16. Jahrhunderts. Mit Fotos von Peter Witte (= Madrider Beiträge; Bd. 28), Mainz: Philipp von Zabern 2002, 321 S., 22 s/w-Abb., 89 Tafeln, ISBN 978-3-8053-2889-0, EUR 86,00
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"Quien no ha visto Sevilla, no ha visto maravilla", besagt ein altes spanisches Sprichwort. Es lässt sich ohne weiteres auf die "Casa de Pilatos" beziehen. Doch im Vergleich zur Anziehungskraft, die der Renaissancepalast seit jeher auf Touristen ausübte, war das Interesse der Forschung an dem Bauwerk, und noch mehr an der Kunstsammlung, bislang nicht übermäßig. Mit der vorliegenden Arbeit könnte sich das allerdings ändern. Wenngleich in das Gewand einer archäologischen Arbeit gehüllt, beansprucht sie doch wesentlich mehr als "nur" einen Bestandskatalog der antiken Skulpturen. Im Vordergrund steht die Sammlungsgeschichte, die in der Tat in Spanien ihresgleichen sucht. Wie Trunk zeigen kann, ist sie die erste und vielleicht auch bedeutendste Sammlung antiker Skulpturen auf der iberischen Halbinsel. Als Besonderheit kommt hinzu, dass sich die Sammlung großteils in situ erhalten hat. Sie setzt sich aus Porträts und Porträtstatuen, Idealplastik und Reliefs zusammen. Hinzu kommen moderne Skulpturen nach antiken Vorbildern. Ein besonderes Kennzeichen vieler Skulpturen sind die Ergänzungen des 16. Jahrhunderts, die interessante Einblicke in das Antikenverständnis der Renaissance geben.
Am Beginn der Untersuchung steht eine ausführliche Beschreibung der Baugeschichte des Palastes, der, von wenigen Veränderungen abgesehen, noch heute das Erscheinungsbild des 16. Jahrhunderts bewahrt hat. Entscheidend für die Gestaltung war Per Afán de Ribera, der 1558 zum Herzog von Alcalá ernannt wurde. Im selben Jahr erhielt er zudem den Posten des Vizekönigs von Neapel. Dort trug er die umfangreiche Sammlung antiker Skulpturen nach italienischem Vorbild zusammen, verschickte sie nach Sevilla und gab Anweisungen zur genauen Aufstellung der Skulpturen in seinem dortigen Palast. Er selbst sah sein Lebenswerk allerdings nie, da er 1571 in Neapel verstarb.
Im folgenden Abschnitt widmet sich Trunk zunächst den Skulpturen des "Patio grande". Neben den vier Statuen in den Ecken des Hofes befinden sich in Tondonischen entlang der vier Seiten des Hofes 24 Bildnisbüsten berühmter Männer der Antike, wobei die zugehörigen Inschriften jedes einzelne Stück bezeichnen. Aus heutiger archäologischer Sicht passt manche Inschrift nicht zu dem zugehörigen Bildnis. Darin ein Manko zu erkennen, wie dies bisweilen geschah, führt allerdings am eigentlichen Ziel der Bildnisserie vorbei. Richtig betont Trunk deshalb, "daß die Namensinschrift letztlich entscheidender war als das eigentliche Bildnis" (47). Es lässt sich zwar kein allumfassendes Programm erkennen, jedoch erfolgte die Zusammenstellung keineswegs rein zufällig beziehungsweise hinsichtlich dekorativer Kriterien. Die Skulpturen des "Patio grande" bilden, wie Trunk betont, "ein spätes Äquivalent zu der gemalten Galerie berühmter Geistesgrößen der Antike" (57), die Don Fadrique, der Onkel von Per Afán, in den Jahren 1539 hatte anlegen lassen. Beide zusammen nehmen Bezug auf die römische Geschichte. Eine eindeutige chronologische Abfolge wird nicht beachtet, aber Romulus und Kaiser Karl V. bilden die beiden zeitlichen Eckpunkte der Büstenserie. Dass Karl V. hier unter die antiken Herrscher aufgenommen wird, darf nicht erstaunen, da dieser Rückverweis auf die römische Geschichte in Spanien häufiger auftritt. Gerade in Sevilla, das gerne auch als "Neues Rom" bezeichnet wurde, ist der Verweis auf römische Geschichte zu spüren. Grundlage bildete nicht zuletzt der wirtschaftliche Aufschwung durch den Handel mit Amerika, der es erlaubte, sich umfangreich den humanistischen Studien zu widmen.
Nach der Untersuchung der Skulpturen im "Jardín grande" und Ausführungen zu den neuzeitlichen Ergänzungen verschiedener Werke richtet Trunk den Blick auf andere Antikensammlungen der iberischen Halbinsel. Er liefert damit viele interessante Einblicke in das Antikenverständnis des 16. und 17. Jahrhunderts. Lohnend scheint aber auch der Vergleich mit rein neuzeitlichen Ausstattungsprogrammen, die auf die Antike Bezug nehmen. Insbesondere die Reihe der 24 berühmten Männer der Antike lässt sich auch anderenorts antreffen, wenngleich jeweils abgewandelt. Ein Beispiel wäre die einige Jahre früher als die "Casa de Pilatos" entstandene Serie von Büstenmedaillons für die Fassade des Konventes San Marcos in León (1533-37), die ebenfalls auf die antiken "hombres ilustres" verweist. Es handelt sich um 24 Bildnisse wohl aus der Werkstatt Juan de Junis, die den Bogen noch ungleich weiter spannen, als dies in Sevilla der Fall ist. Die Reihe führt von Priamos über Herkules, römischen Imperatoren (Julius Caesar), biblischen Königen (David), tugendhaften Frauen (Lucretia, Judith) zu den Helden der Reconquista (El Cid), den katholischen Königen bis schließlich zu Karl V. Dieses frühere Beispiel verdeutlicht, was auch Trunk zusammenfassend zur "Casa de Pilatos" konstatiert: "Im Zuge einer solchen Instrumentalisierung der Antike für ideologisch motivierte Programme mußte zwangsläufig das einzelne antike Originalwerk an Bedeutung verlieren" (150).
Welche Wirkung von der umfangreichen Antikensammlung in Sevilla ausging, kann sicherlich noch genauer untersucht werden. Immerhin liefert Trunk bereits mit dem Hinweis auf die meist der Werkstatt des Diego de Pesquera zugeschriebenen Reliefs des "Antecabildo" der Kathedrale ein treffendes Beispiel. Auch die nach Entwurf von Juan Bautista Vázquez el Viejo entstandene Bronzefigur der "Fides", die als Wetterfahne den Glockenturm der Kathedrale bekrönt, könnte ihr antikisierendes Erscheinungsbild dem Studium der Skulpturen der "Casa de Pilatos" verdanken. Für das Sevillaner Geistesleben im 17. Jahrhundert kann die Kunstsammlung der Herzöge von Alcalá kaum überschätzt werden. Der Maler und Kunsttheoretiker Francisco Pacheco lobt sie ausführlich in seinem Traktat "Arte de la pintura". Sein Schwiegersohn Velázquez dürfte den ersten Kontakt mit dem klassischen Kulturerbe bereits in Sevilla gehabt haben, nicht etwa erst am Königshof in Madrid oder gar auf seinen beiden Italienreisen. Eine andere wichtige Figur, der Dichter Juan de Arguijo, dessen Wohnhaus in Sevilla mit einer mit mythologischen Themen versehenen bemalten Decke ausgestattet ist, könnte ebenfalls aus der reichen Skulpturensammlung Inspiration empfangen haben. In seinem dichterischen Werk finden sich Gedichte, die im Sinne der Ekphrasis womöglich antike Skulpturen beschreiben. Hier wäre ein Vergleich mit den Skulpturen in der "Casa de Pilatos" sicherlich erhellend.
Dass sich auch außerhalb Sevillas Spuren von der Wirkungskraft der Antikensammlung finden lassen, belegt Trunks Hinweis auf Jusepe de Riberas Gemälde "Triumph des Bacchus", das zwar 1734 beim Brand des Alcázar in Madrid bis auf wenige Fragmente zerstört wurde, aber in einer Kopie überliefert ist. Es bezieht sich eindeutig auf das so genannte "Ikarios-Relief", das in mehreren Versionen überliefert ist. Eine davon befindet sich in der "Casa de Pilatos". Wenngleich Ribera von dem Stich in Antonio Lafrérys "Speculum Romanae Magnificentiae" (1549) ausgegangen sein mag, so könnte ihm das Sevillaner Relief durchaus über den 3. Herzog von Alcalá, der von 1629-1631 Vizekönig von Neapel war, bekannt gewesen sein.
Der Katalog der antiken Skulptur nimmt den zweiten Teil des Buches ein und beschreibt eingehend die 86 Werke, darunter auch einige Skulpturen, die heute in anderen Sammlungen aufbewahrt werden, sich aber ursprünglich in der "Casa de Pilatos" befanden. Die 2001 als Habilitation in der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität zu Berlin vorgelegte Arbeit sollte also nicht nur den Archäologen interessieren. Trunk liefert neben der Erfassung der in Sevilla vorhandenen antiken Skulpturen eine fundierte Studie zu Antikensammlungen und Antikenrezeption in Spanien. Dieses bislang nur wenig erforschte Terrain erhält mit der vorliegenden Arbeit eine solide Basis, die für weitere Forschungen zur Auseinandersetzung mit dem klassischen Erbe in Spanien von großer Bedeutung ist.
Justus Lange