Wolfgang Behringer: Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 189), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002, 861 S., 31 Abb., 9 Diagramme, 18 Tabellen, 1 Karte, ISBN 978-3-525-35187-1, EUR 114,00
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Klassischerweise ist die Zeit die Fundamentalkategorie der Historiker, der Raum die der Geografen. Wolfgang Behringer hat sich in seiner hier zu rezensierenden Studie, einer Bonner Habilitationsschrift, der Beziehungen zwischen beiden Kategorien angenommen. In einer Zeit, in der durch die Musealisierung der Concorde eine Entschleunigung in den weltweiten Verkehrsbeziehungen einzutreten scheint, erlaubt die Studie einen faszinierenden Blick in die Frühmoderne, die als ganz modern im Sinne von einer zunehmenden Aneignung des Raumes durch beschleunigte Bewegung in Erscheinung tritt.
In der geografischen Schematisierung war "Deutschland", das heißt das Heilige Römische Reich, im Spätmittelalter in Länge und Breite jeweils zirka 900 Kilometer lang. Diese Entfernung konnte mit den Verkehrsmitteln der Zeit in etwa 30 Tagen zurückgelegt werden. Die Post optimierte die Bewegung im Raum, schnell waren Tag und Nacht gleichermaßen Bewegungszeiten, und nach Erschöpfung von Ross und Reiter wurde die Fracht direkt an den nächsten Boten weitergereicht, ohne dass eine Pause entstand. Ständig wurde an der Optimierung der Betriebsabläufe gearbeitet, Stundenzettel wiesen minuziös nach, ob und wo Verzug entstanden war. Bei der Post arbeitete man nach dem Leistungsprinzip bei ständigem Streben nach Produktivitätssteigerung - und das in einem Zeitalter, das ansonsten eher durch Kategorien wie Schlendrian und Patronage gekennzeichnet zu sein scheint. Schon im 16. Jahrhundert wurde eine durchschnittliche Beförderungsgeschwindigkeit von 7,5 Kilometer pro Stunde als Norm angepeilt und vielfach auch erreicht. Für die Durchquerung Deutschlands benötigte man - optimale logistische Organisation vorausgesetzt - nur noch fünf Tage.
Diese raumkontrollierende Beschleunigung war ein Werk der Post, zunächst getragen durch die Familie Taxis, dann, mit allerhöchstem kaiserlichen Segen und Privilegien versehen, der "Reichspost", die dabei aber unter familiärer Leitung blieb. Auf die Transportrevolution folgte, dies ist Behringers zentrale These, eine "Kommunikationsrevolution", weil durch die Beschleunigung der Transfers von Briefen und bald auch Postreisenden sich die Kontaktintervalle zwischen Menschen jeden Standes erheblich verkürzten.
Behringers Studie ist damit weit mehr als eine bloße Postgeschichte (die an sich schon verdienstvoll genug gewesen wäre). Der Autor hat nicht nur bereits 1990, zum 500. Jahrestag der Gründung der Thurn- und Taxis-Post, eine populäre Festschrift über dieses Familienunternehmen vorgelegt, sondern auch zahlreiche Aufsätze zur Postgeschichte publiziert. Er betont, dass er mit diesem Buch keine Institutionengeschichte verfassen will, weder eine Post-, Presse-, Verkehrs- noch Kartografiegeschichte: Ihm geht es, mit gehöriger Distanz zu system- und modernisierungstheoretischen Begriffsgebäuden, um die historiographische Perspektive, die nach den Akteuren fragt, nach ihren Absichten und Interessen und danach, was sie haben erreichen können (39). Dabei bevorzugt Behringer eine deduktive Methode, denn seine Zentralthesen sind bereits in der Einleitung formuliert (42) und werden im Schlusskapitel ausgeführt (684-688):
1. Die Frühe Neuzeit war eine abgeschlossene Epoche der Kommunikationsgeschichte, in deren Zentrum die neue Infrastruktur des Postwesens gestanden hat.
2. Spätere Medien - genannt werden Eisenbahn, Autobahnsystem, Flugverkehrsnetz einerseits und Telefon, Kabelnetz und Internet andererseits - bauten strukturell und bis ins organisatorische Detail hinein auf den Medien in der Frühen Neuzeit auf. Damit kommt der frühmodernen Medienentwicklung paradigmatische Bedeutung zu.
3. Das "immaterielle Erbe" des frühneuzeitlichen Kommunikationswesens hat die westliche Zeit- und Raumauffassung wesentlich mitgeprägt und in so entscheidender Weise zur Modernisierung der europäischen Kultur beigetragen, dass gerade diese Innovation im Zuge der Globalisierung von allen Zivilisationen übernommen werden musste.
Daraus folgt Behringers Generalthese, "daß die Kommunikationsrevolution der Frühneuzeit die 'Mutter aller Kommunikationsrevolutionen' gewesen ist" (42). Damit ist die beschleunigte Raumüberwindung und ihre kommunikativen Verdichtungsfolgen von ebenso entscheidender Bedeutung für die Herausbildung der Moderne gewesen wie die "Sozialdisziplinierung" im Sinne von Gerhard Oestreich oder die "Neumodellierung des Affektenhaushalts" im Sinne von Norbert Elias (688).
Die Studie folgt in ihrem Aufbau strenger Symmetrie: Einleitung und Schlussteil setzen sich aus jeweils drei Kapiteln zusammen, während die beiden Hauptteile ebenfalls je drei Kapitel mit jeweils drei Unterkapiteln bilden. Im ersten Hauptteil "Netzwerk und Öffentlichkeit" nimmt Behringer zunächst eine Bestandsaufnahme der spätmittelalterlichen Stafettensysteme der politischen Mächte und der Kaufleute vor und beschreibt dann die Entstehung der Taxis-Post als Privatunternehmen mit habsburgischer Privilegierung sowie die Reaktionen auf die Postgründung. Im zweiten Kapitel geht es um die Etablierung des Postsystems, die so genannte "Postreformation" im ausgehenden 16. Jahrhundert, die der Transformation zur "Reichspost" vorausging und um das System der "Verzweigungen und Vernetzungen" der Poststrecken, die damit zu Wege- und Kommunikationsstrecken gleichermaßen wurden. Der Blick auf eine eingefügte Poststreckenkarte von 1764 (786-819) verblüfft den heutigen Betrachter, der viele heutige Hauptstraßenverbindungen oder Eisenbahnlinien anhand diese Planes leicht identifizieren kann. Im dritten Kapitel kommt der "moderne Staat" ins Spiel: Das Postregal war Postulat des Kaisers wie umstrittener Diskussionspunkt gleichermaßen, die Landesherren forderten ihr Recht auf eigene Postsysteme ein - und mussten doch schließlich eingestehen, dass Kommunikation nur miteinander, aber nicht in eigensüchtiger Abschottung funktionierte.
Der zweite Hauptteil "Medienrevolutionen" stellt im ersten Kapitel das Zeitungswesen vor, das nicht nur von der Post profitierte und überhaupt erst durch sie zur Frequenz der Tageszeitung (ab 1650) gelangen konnte, sondern vielfach aus der Post heraus als Postzeitungen betrieben wurde. Im zweiten Kapitel untersucht Behringer den Personenverkehr, ein Aspekt, der meist mit dem Begriff "Postkutsche" assoziiert wird, der aber noch bis ins letzte Viertel des 20. Jahrhunderts eine Rolle gespielt hat: Der Verfasser dieser Rezension ist selbst noch im Postbus zur Schule gefahren worden. Kartografie und Wegebau erhielten durch die Bedürfnisse der Post erhebliche Impulse. Das dritte Kapitel hat die innere Organisationsstruktur der Post im zeitlichen Verlauf zum Gegenstand.
Behringer schließt seine Untersuchung in einem dreigliedrigen Schlussteil. Darin stellt er zunächst die Metapher des Merkur vor, die ein Novum des 16. Jahrhunderts darstellte: Der Götterbote wurde funktional vielfach in Dienst genommen, nicht nur durch Kaufleute, Reisende und Diebe, sondern auch durch Postbedienstete und Zeitungsproduzenten. Die Ikonografie trug dem Rechnung, angestoßen durch die immer wieder kopierten Skulpturen des Florentiners Giambologna, dann aber aufgegriffen und popularisiert in der Druckgrafik, bis nicht nur viele Zeitungen und Zeitschriften den Merkur auf ihrem Titelblatt, sondern auch in ihrem Titel führten (Mercure historique, Mercure galant, Hanauischer Mercurius et cetera). Die beiden letzten Kapitel greifen die überragende Bedeutung auf, die das frühmoderne Postwesen für den Prozess der Kommunikation im gesamten abendländischen Kulturkreis besessen hat. Errungenschaften der schnellen und effektiven Übertragung von Daten aller Art und aller Herkunft, ohne Ansehen der Person, wurden später in andere Kulturkreise exportiert, die sie - unter Adaption an ihre eigenen Kommunikationstraditionen - gern aufgriffen.
Wolfgang Behringer hat eine wichtige Studie zu der kulturgeschichtlichen Frage vorgelegt, auf welche Weise Gesellschaften ihre Kontakte anbahnten, aufrechterhielten und ausbauten, wenn ihre Mitglieder sich nicht face to face gegenüberstanden. Nach der Lektüre ist die Verblüffung groß, wie dieser grundlegende Aspekt so lange eine Randbedeutung für das historische Wissen hat darstellen können. Zeitschriften- und Monografienreihen zur Postgeschichte und zur Zeitungsgeschichte haben die Zusammenhänge nicht erhellen können, die hier aufgezeigt werden. Vielleicht bedurfte es des Anstoßes durch die "Medienrevolution" des Internet und des Mobiltelefons, die wir alle erleben, um die Bedeutung des Wandels in den Kommunikationsbeziehungen der Frühmoderne zutreffend einschätzen zu können.
Der Studie - die mit einer Zeittafel (500 nach Christus bis 1995), 31 Abbildungen, 9 Diagrammen und 18 Tabellen nebst der genannten Postkurs-Karte sowie drei Registern ausgestattet ist - ist eine große Leserschaft zu wünschen, über den akademischen Bereich hinaus in allen gesellschaftlichen Bereichen, die sich mit Logistik und Kommunikation befassen.
Johannes Arndt