Bernd Roeck: Das historische Auge. Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit. Von der Renaissance zur Revolution, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, 375 S., 66 Abb., ISBN 978-3-525-36732-2, EUR 29,90
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Interdisziplinarität leidet gelegentlich unter den Spätfolgen der babylonischen Sprachverwirrung. Erfahrungsgemäß ist das wissenschaftliche Miteinander in erster Linie eine Frage der gegenseitigen Verständigung. Nicht immer einfach scheint es auch, die Geschichte mit der Kunstgeschichte und damit zwei Disziplinen ins Gespräch zu bringen, die oftmals die gleiche Fakultät teilen, deren Verhältnis zueinander dann und wann aber das einer einseitigen Liebe annimmt: Auch ohne genaues Zahlenmaterial zu kennen, wird man wohl sagen dürfen, dass bereits in den Studienjahren mehr Kunsthistoriker den Weg in die Seminare der Nachbarwissenschaft finden als umgekehrt. Und selbst die 'ausgewachsene' Geschichtswissenschaft scheint sich lange Zeit eine gewisse Reserviertheit gegenüber Bildern - und dem anderen Fach - bewahrt zu haben, glaubt man der Kritik aus ihren eigenen Reihen, die der Disziplin zuletzt eine regelrechte "Ikonophobie" [1] bescheinigt hat. Just gegen diese Skepsis haben aber auch einige angeschrieben. Gerade in den letzten zwei Jahrzehnten ist die Zahl derer gewachsen, die nicht nur verstärkt die Arbeit mit Bildern und Werken der Kunst als spezifische Form des Geschichtszeugnisses für ihre Arbeiten entdeckt und miteinbezogen, sondern auch auf zweierlei Weise für eine methodologische Reflektion darüber gesorgt haben: Zum einen sind hier diejenigen Vertreter des Fachs zu nennen, die mögliche Wege aufzuzeigen vermochten, wie Bilder zu fruchtbaren Erkenntnisquellen der Geschichtswissenschaften werden können, so etwa namentlich der Schule machende Reiner Wohlfeil oder seine englischen Kollegen Peter Burke und Francis Haskell. [2] Zum anderen ist zu beobachten, dass eine jüngere Forschergeneration mit einer methodengeschichtlichen Reflektion einsetzt hat, die Vorbehalte und Schwierigkeiten des Fachs bildlichen Überlieferungen gegenüber ihrerseits historiografisch wie hermeneutisch verortet. [3] Beide Linien zugleich verfolgt nun das neue Buch des in Zürich lehrenden Historikers Bernd Roeck, das mit 'historischem Auge' der Frage nach den Bildern und ihrem Ort in der Geschichte nachgeht, und damit geeignet sein könnte, den wissenschaftlichen Dialog zwischen den Fächern neu zu eröffnen.
Dass seine Gedanken aktuell allgemein auf fruchtbaren Boden fallen dürften, liegt an dem Trend der derzeitigen Wissenschaftsdiskussion hin zum Bild, den man schon gar nicht mehr mit Namen nennen möchte, so oft wird er bemüht. Ihn kennzeichnet nebenbei bemerkt auch, dass er der Kunstgeschichte von allen Seiten kalten Wind entgegen trägt, reklamieren beim derzeitigen Verteilen des Kuchens die verschiedensten Disziplinen doch für sich die Deutungshoheit über die Bilder just gegenüber derjenigen Wissenschaft, zu deren ureigenstem Gegenstandsbereich sie gehören und die einen langen Weg zurückgelegt hat, um brauchbare Methoden im Umgang mit ihnen zu entwickeln. Auch in Roecks Buch könnte man Sedimente solcher Vorbehalte vermuten, etwa wenn man folgenden Satz liest: "Es kann ziemlich desillusionierend sein, wenn ein Historiker, der sein Handwerk versteht, die Gedankenflüge der Kunstgeschichte mit dem harten Quellenbefund konfrontiert." (85). Doch ist dieser hier ganz bewusst aus dem Zusammenhang gerissen. Vielmehr geht aus dem Kontext hervor, dass die gemeinsame oder wechselseitig ergänzende Arbeit am historischen Befund durchaus Ziel des Autors ist, wie er es bereits in zahlreichen weiteren Publikationen - zuletzt in Zusammenarbeit mit einem Kunsthistoriker [4] - bewiesen hat.
Freilich ist der Band keine propädeutische Schule des Sehens, und schon gar keine 'Kunstgeschichte für Anfänger', die einführt in die Epochen der Kunst oder die Probleme der Bildinterpretation. Vielmehr handelt es sich um eine theoretisch konzipierte, auf methodische Grundsatzfragen ausgerichtete Stellungnahme zum Problem. Im Zentrum steht eine Sozial- und Kulturgeschichte, die Bilder als gleichberechtigte Überlieferungen eines gesamtkulturellen Symbolvorrats begreift und mentalitäts- sowie ideengeschichtlich argumentiert, vor allem aber die Frage ins Zentrum stellt, wie dabei dem spezifischen Charakter der 'Quelle' Kunstwerk Rechnung getragen werden kann und muss.
Anders als der bereits genannte Rainer Wohlfeil, der sich bemüht hatte, ein aus Panofskys Ikonologie weiterentwickeltes und selbstständiges Interpretationsmodell zu etablieren, entwirft Roeck keine neuartige Methode, sondern zielt vor allem darauf ab, im eigentlichen Wortsinn den Blick des Historikers für diese besondere Quellengattung zu schärfen. Entsprechend leitet er seine Ausführungen mit einem weit gefassten Überblick über kunst- und kulturwissenschaftliche Methoden zum Umgang mit Kunst und Bildern ein, die man auch dem Kunstgeschichtsstudenten als Einführung in die Methodik des eigenen Fachs anempfehlen möchte. Und anders als der generalistischer angelegte, letztlich aber skizzenhaft verbleibende Entwurf Burkes beschränkt sich Roeck klugerweise mit seinen Ausführungen auf die Frühe Neuzeit und auf zentrale Fragestellungen (und Thesen) der aktuellen Frühneuzeitforschung: Entstehung des Individuums, Säkularisierung, Konfessionalisierung, höfische Repräsentation oder das Theorem der Diskursrevolution. Wie und ob Bilder Auskunft geben über die jeweiligen Zusammenhänge (Teil II: Die Welt im Kunstwerk) oder in welchen Kontexten, mit welcher Funktion und mit welcher (Aus-)Wirkung sie in den genannten Prozessen der frühneuzeitlichen Welt anzutreffen sind (Teil III: Das Kunstwerk in der Welt) wird dabei ebenso verhandelt, wie schließlich in einem letzten Punkt die vielleicht schwierigste Frage, nämlich wie sich die "geschichtliche Realität" zur "Realität des Kunstwerks" (11), wie sich das Werk in seinem Wesen als Kunstwerk verhält. So vereinen sich grundlegende Überlegungen zum Verhältnis 'Bild und Geschichte' mit einem Querschnitt durch die gegenwärtigen Interessen der Forschung, dokumentiert in dem auf Aktualität setzenden Literaturverzeichnis.
Roeck bildet dabei - in souveränem Überblick - die kontroversen Positionen der Wissenslandschaft eher ab, als letztgültige Antworten zu präsentieren. Mit diesem Vorgehen kommt er den Eigentümlichkeiten einer Epoche entgegen, deren Widersprüchlichkeiten, Ungleichzeitigkeiten und Koexistenzen entgegen älterer, stärker teleologisch gefasster Modelle in den letzten Jahren zunehmend wahrgenommen und als Epochensignatur beschrieben wurden. So scheinen hinsichtlich so grundlegender Fragen wie der nach Individualität, (magischer) Bildmacht oder dem Verhältnis von Kunst und Konfessionen viele Ambivalenzen auf, die als solche auch stehen gelassen werden, denen man an der einen oder anderen Stelle freilich noch einige mehr hinzufügen könnte. Denn gelegentlich vernachlässigt Roeck die Komplexität des Problems zu Gunsten des Überblicks (z. B. auf Seite 137 in der Gleichsetzung protestantischer Kirchenräume mit kalvinistischen) oder folgt zu einseitigen oder auch festgefahrenen Wegen der kunsthistorischen Forschung, wie etwa in der Frage nach der Säkularisierung religiöser Kunst. Wenn etwa die Automatenbegeisterung des ausgehenden 16. Jahrhunderts als rein manieristische Kunstspielerei charakterisiert wird (289), übersieht dies die zur gleichen Zeit wertgeschätzte Sakral-Automatik, wie sie sich exemplarisch etwa in den Eremiten-Kapellen Herzog Wilhelms V. von Bayern bei Lustheim finden lässt, bei der der Sinn für technische Spielereien ein komplexes Wechselspiel mit Kreations- und Animationsmythen und mit ungewöhnlicheren Formen zeitgenössischerer Andachtspraxis eingeht.
In vielem jedenfalls liefert Roecks Buch und sein 'historischer' Blick auf die frühneuzeitlichen Bilder 'Gesprächsthemen', derer sich anzunehmen - und umgekehrt die eigenen, spezifischen Erkenntnisse zur Epoche in die Diskussion einzubringen - aus der Sicht der Kunstgeschichte viel versprechend erscheinen könnte. Ausreichend Perspektiven für den Austausch der Fächer dürften sich allemal bieten. Ob die Kunstgeschichte ihrerseits derzeitig den kontextorientierten bzw. kulturwissenschaftlichen Ansatz pflegen will, muss sie allerdings selbst entscheiden.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Habbo Knoch: Renaissance der Bildanalyse in der Neuen Kulturgeschichte, in: "Sichtbarkeit der Geschichte": Beiträge zu einer Historiografie der Bilder, hrsg. von Matthias Bruhn und Karsten Borgmann (= Historisches Forum, 5), Berlin 2005.
[2] Vgl. Rainer und Trude Wohlfeil: Landsknechte im Bild. Überlegungen zur 'Historischen Bildkunde', in: Blickle, Peter (Hrsg.): Bauer, Reich und Reformation. FS Günther Franz, Stuttgart 1982, 104-119 bzw. die Beiträge im Sammelband von Brigitte Tolkemitt/Rainer Wohlfeil (Hrsg.): Historische Bildkunde. Probleme - Wege - Beispiele (ZHF Beiheft 12), Berlin 1991; ausgebaut bei Heike Talkenberger: Historische Erkenntnis der Bilder. Zur Methode und Praxis der Historischen Bildkunde, in: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.): Geschichte. Ein Grundkurs, Hamburg 1998, 83-98; Peter Burke: Augenzeugenschaft, Bilder als historische Quellen, Berlin 2003 (engl. Originalausg.: Eyewitnessing: The uses of images as historical evidence, London 2001). Sowie Francis Haskell: Die Geschichte und ihre Bilder: die Kunst und die Deutung der Vergangenheit, München 1995 (engl. Originalausgabe: History and its Images: Art and the Interpretation of the Past, New Haven 1993).
[3] Vgl. Knoch (wie Anm. 1) bzw. Marcus Schalenberg: Bastardschwestern und Banausen: Wissenschaftshistorische Bemerkungen zum Verhältnis von Kunstgeschichte und Geschichte, in: "Sichtbarkeit der Geschichte".
[4] Bernd Roeck / Andreas Tönnesmann: Die Nase Italiens. Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino, Berlin 2005. Vgl. hierzu die Rezension von Matthias Schnettger in sehepunkte 5 (2005), Nr. 9; URL: http://www.sehepunkte.de/2005/09/8138.html
Gabriele Wimböck