Thomas Schlemmer (Hg.): Die Italiener an der Ostfront 1942/43. Dokumente zu Mussolinis Krieg gegen die Sowjetunion (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; Bd. 91), München: Oldenbourg 2005, VIII + 296 S., 12 s/w-Abb., 4 Karten, ISBN 978-3-486-57847-8, EUR 24,80
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Das hier zu besprechende Werk eröffnet mit einem kritischen Überblick über die Forschung, die sich bisher mit dem italienischen Beitrag zum Krieg gegen die Sowjetunion beschäftigt hat, wobei der Autor insbesondere auf deren erhebliche Schwächen hinweist. Tatsächlich hat sich die Historiografie fast ausschließlich auf den Rückzug der 8. italienischen Armee vom Don im Dezember 1942 / Januar 1943 mit all seiner Tragik konzentriert und die Frage nach der Rolle der italienischen Truppen in den Monaten davor und danach außer Acht gelassen. Das Buch besteht aus einer langen, quellengesättigten Einleitung, der sich eine reichhaltige Auswahl an größtenteils unveröffentlichten Quellen deutscher und italienischer Provenienz anschließt. Dabei handelt es sich nicht um eine zufällige, wenn auch sehr interessante Zusammenstellung von Dokumenten. Der Autor hat sich im Gegenteil das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Geschichte der Italiener an der Ostfront seit den Sommermonaten des Jahres 1941 zu schreiben, als die deutsche Führung dem Drängen Mussolinis nachgab und ihre Zustimmung zur Entsendung eines italienischen Expeditionskorps an die Ostfront erteilte. Die Ziele des 'Duce' waren eindeutig: Während die Propaganda den Krieg gegen die Sowjetunion zum Kreuzzug gegen den Bolschewismus stilisierte, wollte Mussolini auf diesem Kriegsschauplatz Präsenz zeigen, um nach den militärischen Fehlschlägen in Griechenland und Nordafrika verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen und um zu zeigen, dass Italien nach wie vor ein unverzichtbarer Bestandteil der Allianz war. Schließlich beabsichtigte der 'Duce', nach einem Sieg über die Sowjetunion das Schwergewicht des Krieges der 'Achse' in den Mittelmeerraum zu verlegen (24 f.).
Dann beschäftigt sich der Autor mit der Frage, ob die an die Ostfront entsandten Truppen des königlichen Heeres dieser Aufgabe überhaupt gewachsen waren. Obwohl Schlemmer kein Militärhistoriker ist, bewegt er sich auf diesem Feld souverän und ist alles in allem der Meinung, dass vor allem die Verbände des Expeditionskorps, aber später auch die der 8. Armee zumindest im Vergleich mit durchschnittlichen deutschen Infanteriedivisionen angemessen ausgerüstet waren. Freilich hatten sie unter einigen strukturellen Schwächen zu leiden, die mit dem allgemeinen Zustand des italienischen Heeres zusammenhingen. Das Fehlen von Transportmitteln, Flug- und Panzerabwehrkanonen sowie von fronttauglichen Panzern führte dazu, dass die italienischen Truppen ihre offensiven oder defensiven Kampfaufträge vielfach nur dann in vollem Umfang erfüllen konnten, wenn sie von deutschen Truppenteilen unterstützt wurden. Die weit verbreitete Überzeugung, die italienischen Soldaten an der Ostfront seien schlecht ausgerüstetes Kanonenfutter gewesen, gleichsam eine zerlumpte Armee (2), entspricht demnach nicht den Tatsachen - eine Schlussfolgerung, die auch von vielen der im zweiten Teil des Buches abgedruckten Dokumente untermauert wird. Schlemmer bilanziert daher: "Anders als es die Legende will, war das Expeditionskorps [...] keine Truppe des 19. Jahrhunderts." (15)
Überhaupt präsentiert der Autor eine neue Interpretation der Rolle, die die italienischen Truppen an der Ostfront spielten. So tritt er der Behauptung von den freundschaftlichen und harmonischen Beziehungen zwischen den italienischen Soldaten und der Zivilbevölkerung entgegen, die in der Literatur weit verbreitet ist und zumeist auf Aussagen von Veteranen zurückgeht. Schlemmer bedient sich dagegen auch unveröffentlichter Feldpostbriefe und Tagebücher, um zu zeigen, dass das Verhalten der italienischen Soldaten nicht selten von negativen Vorurteilen gegenüber den Völkern der Sowjetunion geprägt war. Auch sind Fälle von Repression gegen Zivilisten dokumentiert, die dem deutschen 'Vorbild' nicht nachstanden, wobei es allerdings nicht möglich ist, Aussagen darüber zu treffen, in welchem Ausmaß italienische Einheiten auch in die Verfolgung der sowjetischen Juden verwickelt waren (35). Die Quellen geben jedoch zumindest Aufschluss darüber, wie stark die Mentalität von Offizieren und Soldaten von antislawischem und antikommunistischem Gedankengut beeinflusst worden ist, obwohl dies - wie der verbreitete Nationalismus und die Treue zum Regime Mussolinis - nach dem Krieg weitgehend verdrängt wurde, als man sich nur noch an die Sehnsucht nach der Heimat und nach der Familie erinnerte.
Auch was die Frage der deutsch-italienischen Beziehungen angeht, so waren diese nicht nur vom Misstrauen der Deutschen gegen die Italiener geprägt. Schlemmer ist im Gegenteil der Meinung, dass es durchaus auch gegenseitige Wertschätzung gegeben habe, die vor allem nach außen hin wiederholt gezeigt worden sei. Allerdings war dieses Fundament brüchig und basierte vor allem auf der Überzeugung, der Krieg im Osten würde mit einem Sieg der 'Achse' enden. Sobald die militärische Situation jedoch kritisch wurde, betrugen sich die Deutschen arrogant und überheblich, während die Italiener im Gegenzug empfindlich darauf bedacht waren, dass ihre militärische Ehre gewahrt blieb und anerkannt wurde. Insgesamt, so Schlemmers Fazit, sei "das Verhältnis zwischen Deutschen und Italienern an der Ostfront [...] zwar nicht spannungsfrei" gewesen, "aber auch nicht so schlecht, wie es später dargestellt worden ist" (51).
Das letzte Kapitel der Einleitung unter der Überschrift "Cannae am Don" ist dem Zusammenbruch der italienischen Armee im Winter 1942/43 gewidmet. Auch wenn man wie Schlemmer davon ausgeht, dass die italienische Präsenz an der Ostfront nicht auf dieses tragische Ereignis reduziert werden kann, ist es doch unstrittig, dass darin alle strukturellen Probleme und Krisenphänomene kulminierten. Der Autor rekonstruiert den Kontext - die gescheiterte deutsche Sommeroffensive gegen Stalingrad und den Kaukasus -, die Differenzen zwischen den Verbündeten in taktischen Fragen und die logistischen Probleme der italienischen Truppen in ihren überdehnten Verteidigungsstellungen. Als der sowjetische Druck zu stark wurde, brach die Front trotz hartnäckigen Widerstands an mehreren Stellen zusammen. Die Krise ließ die gegenseitigen Ressentiments zum Ausbruch kommen, wobei deutsche Offiziere versuchten, das Kommando über italienische Verbände zu übernehmen, deren moralische Schwäche sie kritisierten, und sich italienische Stäbe beleidigt zeigten. Doch die militärische Lage verschlechterte sich rasch. Mitte Januar 1943 begann der Angriff der Roten Armee gegen die ungarischen und deutschen Truppen nördlich und südlich des Alpinikorps, der dieses zu jenem dramatischen Rückzug zwang, der in Italien längst zur Legende geworden ist.
Schlemmer widmet dem Rückzug nur sechs Seiten - eine vielleicht etwas radikale Art zu zeigen, dass man sich nicht mehr oder weniger ausschließlich bei diesem Ereignis aufhalten kann, wie dies bisher zumeist geschehen ist. Nichtsdestotrotz gibt der Autor einen gut gegliederten Überblick und betont, dass die Deutschen nicht immer und überall ihre Verbündeten im Stich gelassen hätten, sondern dass es auch nicht wenige Fälle gegenseitiger Hilfeleistung gegeben habe. Zudem seien es zuweilen die Italiener gewesen, die das Feuer auf die Deutschen eröffnet hätten, um sich den Weg zu bahnen (73). Die Klagen der Italiener verbreiteten sich rasch und fanden auch in der Heimat Widerhall. Hier ist eine der Wurzeln für die einseitige Selbststilisierung der Italiener als Opfer des Krieges im Osten zu suchen. Der Rückzug vom Don war sicherlich ein "Wendepunkt" (74) in den Beziehungen zwischen den Verbündeten, der für die Italiener nicht zuletzt aufgrund der enormen Verluste an Menschen und Material besonders schmerzlich war. Von den rund 230.000 Soldaten der 8. Armee fanden rund 95.000 im Kampf den Tod, starben auf dem Rückzug oder gerieten in Kriegsgefangenschaft.
Obwohl Schlemmer keine umfassende Geschichte des italienischen Beitrags zum Krieg gegen die Sowjetunion geschrieben hat, räumt sein Buch mit in Historiografie und Öffentlichkeit tief verwurzelten Legenden auf und bietet so ausgesprochen wichtige Ansatzpunkte, um Mussolinis Krieg an der Ostfront in neuem Licht zu sehen.
Gustavo Corni