Michele Sarfatti: The Jews in Mussolini's Italy. From Equality to Persecution. Translated by John and Anne C. Tedeschi (= Series in Modern European Cultural and Intellectual History), Madison, WI: University of Wisconsin Press 2006, XV + 419 S., ISBN 978-0-299-21734-1, USD 29,95
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Die - insbesondere gegen die jüdische Bevölkerung gerichtete - "Rassenpolitik" des faschistischen Regimes ist seit wenigstens zwanzig Jahren ein bevorzugtes Thema der Geschichtswissenschaft und darüber hinaus auch Gegenstand heftiger Debatten, wobei sich Historiografie und Politik wiederholt vermischten, wie das in Italien häufig geschieht. Bis heute wurden zahllose Arbeiten veröffentlicht, die sich von "oben" oder als Regionalstudien von "unten" mit zwei weithin akzeptierten Thesen Renzo De Felices auseinandersetzten, der diesen Problemkomplex als einer der ersten untersucht hat: Die Rassengesetze seien, erstens, vor allem wegen außenpolitischer Erwägungen erlassen worden, um das Bündnis mit Hitler-Deutschland zu stärken. Der Faschismus unterscheide sich, zweitens, grundsätzlich vom Nationalsozialismus, da er sich "außerhalb des Schlagschattens" der Ermordung der europäischen Juden befinde. Michele Sarfatti, der sich seit langen Jahren mit der Geschichte des italienischen Judentums beschäftigt, gehört zu den bekanntesten Kritikern dieser Sichtweise. Der Historiker aus Mailand fasst in seinem hier besprochenen Buch - die überarbeitete und übersetzte Fassung einer bereits im Jahr 2000 bei Einaudi erschienenen Monografie - die lange Geschichte der jüdischen Minderheit in Italien von der Einigung des Königreichs bis 1945 knapp, aber nichtsdestoweniger gründlich zusammen. Dabei stellt er immer wieder seine profunde Kenntnis von Quellen und Literatur unter Beweis. Wie viele Fachkollegen kommt er zu dem Ergebnis, dass die kleine jüdische Minderheit in vollem Umfang und ohne Misstöne am Prozess der Einigung und Modernisierung Italiens nach 1861 partizipiert habe. Diese intensive Beteiligung am öffentlichen Leben habe dazu geführt, dass sich nicht wenige Juden nach dem Ersten Weltkrieg der faschistischen Bewegung angeschlossen hätten, weil sie - wie viele andere Italiener auch - auf den von Mussolini versprochenen innen- und außenpolitischen Wiederaufstieg des Vaterlands hofften.
Zunächst geht es Sarfatti um die jüdischen Gemeinden, ihren Aufbau und ihr Innenleben. Dann beschreibt er ihre fruchtbare Interaktion mit der italienischen Gesellschaft, um schließlich zum faschistischen Regime zu kommen. Auch hier erweist sich der Autor als exzellenter Kenner des Materials und rekonstruiert Elemente rassistischen und antisemitischen Gedankenguts in der Bewegungs- und frühen Regimephase des Faschismus. Sarfatti betont diesen Punkt im Gegensatz zu De Felice und verweist auf den Prozess der Radikalisierung, der im Herbst 1938 zu den offen diskriminatorischen Rassengesetzen geführt habe, die in mancher Hinsicht strenger gewesen seien als die deutschen. Dabei arbeitet er - meines Erachtens zu Recht - die komplexe Dynamik heraus, die sich zwischen den antisemitischen Kräften im Faschismus und der internationalen Konstellation - geprägt von der deutsch-italienischen Annäherung seit 1935 - ergab. Dabei vernachlässigt er aber die innere Entwicklung des faschistischen Regimes keineswegs, das sich aus seiner Sicht in diesen Jahren immer stärker radikalisierte. Der koloniale Eroberungskrieg in Ostafrika wirkte dabei als rassenpolitischer Katalysator, was in einer Reihe von Anordnungen ihren Ausdruck fand, mit denen sexuelle Kontakte zwischen Italienern und Einheimischen verhindert werden sollten. Sarfatti scheint diesem Faktor allerdings geringere Bedeutung beizumessen, als dies andere Gelehrte in ihrem Bemühen getan haben, die Genesis der Rassengesetze zu erklären. Zumindest argumentiert er differenzierter und ordnet die diesbezüglichen Auswirkungen des Abessinienkriegs in einen größeren Rahmen ein.
Und Mussolini? Sarfattis Darstellung der Aktionen des Diktators in dieser entscheidenden Phase ist voll von Diskrepanzen und bleibt alles in allem undeutlich. Sicher, Mussolini war sich der Notwendigkeit bewusst, die in seinen Augen zögerliche, nicht seinen Erwartungen entsprechende italienische Gesellschaft aufzurütteln, zumal sich die internationale Lage immer stärker zuspitzte. Doch der Autor verfügt nicht über die Quellen, die die Motive für Mussolinis Entscheidungen überzeugend klären könnten.
Seine Darstellung der Aktionen des faschistischen Regimes und der Reaktionen der jüdischen Gemeinden, die unter immer schwierigeren Bedingungen zu retten versuchten, was zu retten war, ist dagegen besser dokumentiert. Der Entrechtung der Juden folgte nach der deutschen Besetzung Mittel- und Süditaliens die Bedrohung von Leib und Leben. Auch hier versucht Sarfatti auf engem Raum, sowohl das deutsche Vorgehen als auch die Kollaboration italienischer Institutionen herauszuarbeiten. Dabei kommt er auch auf das Verhalten der Bevölkerung, die ihre jüdischen Mitbürger vielfach unterstütze, sich in anderen Fallen aber auch an der Verfolgung beteiligte, sowie auf die Handlungsmuster der überlebenden Juden zu sprechen, von denen viele in den Reihen der Resistenza kämpften und fielen.
Sarfattis Buch bietet eine vorzügliche Gesamtdarstellung eines komplexen Problems, das in einigen Punkten noch der eingehenden Untersuchung harrt. So wissen wir beispielsweise noch zu wenig über die konkrete Beteiligung italienischer Funktionsträger an den Deportationen, auch was die Denunziationen betrifft, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Dem Autor ist es gelungen, die Geschichte des italienischen Judentums in den achtzig Jahren von der vollständigen Integration bis zur Verfolgung differenziert und facettenreich, aber gleichwohl gut verständlich zu erzählen. Es ist daher außerordentlich begrüßenswert, dass die Studie des Mailänder Historikers nun auch in englischer Sprache vorliegt und damit einem breiteren Publikum zugänglich ist.
Aus dem Italienischen übersetzt von Thomas Schlemmer.
Gustavo Corni