Marc Trachtenberg: The Craft of International History. A Guide to Method, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2006, X + 266 S., ISBN 978-0-691-12569-5, GBP 12,95
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Generationen deutscher Historiker wuchsen mit Ahasver von Brandts "Werkzeug des Historikers" (1958, mittlerweile in 16. Auflage) auf, auch von Marc Bloch wurde der anspruchsvolle Titel 1949 publiziert: Apologie pour l'histoire ou Métier d'historien, was im Englischen 1953 mit "The Historian's Craft" wiedergegeben wurde. Marc Trachtenbergs Handwerkszeug zur Internationalen Geschichte liegt dazwischen. Es ist weder ein reiner hilfswissenschaftlicher Überblick geworden, noch eine grundlegende methodische Reflexion; er liegt auf einer anderen Ebene und ist doch beides zugleich.
Der renommierte Historiker Internationaler Geschichte von der University of California legt ein Buch vor, wie es dies für seinen Schwerpunkt bislang noch nicht gegeben hat. Damit trägt es zur Einführung und Verbreitung der Internationalen Geschichte wesentlich bei. Trachtenberg, der bereits 1991 unter dem Titel "History and Strategy" eine kluge Aufsatzsammlung von Fallstudien vorlegte, brillierte 1999 mit einer Gesamtgeschichte der ersten Hälfte des Kalten Krieges in Europa: "A Constructed Peace". Nunmehr legt er ein Buch vor, das aus vierzigjähriger einschlägiger Lehre erwachsen ist, gerade Anfänger bis zu Doktoranden an die Hand nimmt, aber auch ein zweites, am Rande angesprochenes Publikum anvisiert: die einschlägig arbeitenden Politikwissenschaftler, denen er ein besseres Verständnis für die Probleme wahrhaft Internationaler Geschichte ans Herz legt. Gerade ein Schriftwechsel zwischen Bernard Brodie und Thomas Schelling, zwei führenden Strategen des Kalten Krieges, macht deutlich: sie dachten schon an historische Fälle, wenn sie die Gegenwart analysierten, so etwa an die deutschen politisch-militärischen Entscheidungen in den letzten Tagen der Juli-Krise von 1914. Aber sie fanden die von Barbara Tuchman - einer brillanten Journalistin und damit auch ernsthaften Historikerin - geschilderten Vorgänge einfach zu komplex und vielleicht auch zu wenig bewiesen; Schelling ließ das lieber weg, aber sein Verständnis zeigte, dass sein Argument in Veröffentlichungen die komplexe Situation zur Vereinfachung im Rahmen seines gegenwartsbezogenen Denkens bereits verdreht hatte.
Trachtenbergs Buch will einen Grund bei den einfachsten Dingen legen, fundamental im Ansatz sein. Es ist somit wenig modisch und für manchen Diskursanalytiker vielleicht bereits dadurch hoffnungslos veraltet. Der Autor spannt zwischen Carl Hempel 1942 und R.G. Collingwood 1956 einen Bogen der historischen Erkenntnismöglichkeiten, öffnet sich den Chancen des Konstruktivismus von Thomas S. Kuhn bis Hayden White, um auch schließlich an Foucault einige Gedanken zu verwenden. Am spannendsten finde ich Kapitel 2, das sich "Diplomatic History and International Relations Theory" widmet. Diplomatic History ist in den USA ja längst über die reine Analyse von "one clerk said to another" breit in die kulturelle und soziale Fundierung von Außenpolitik hinein gewachsen und so zeigt auch Trachtenberg, wie sehr historische Analyse von Brodies und Schellings Denkweisen der Politikanalyse dennoch profitieren kann. Wie kann man von derartigen methodisch zugespitzten Ansätzen aus Hypothesen bilden, Forschungsansätze entwickeln?
Im nächsten Kapitel wird der Autor konkreter, untersucht beispielhaft A.J.P. Taylor über die Ursprünge des Zweiten Weltkrieges, Fritz Fischer über die des Ersten: Welche Hauptthesen werden entwickelt, welche Belege werden herangezogen, wie weit decken diese die These? Wenn "evidence" und "conclusion" auseinander driften, ist der erste Schritt zur Eigenerkenntnis schon getan. Das dritte Beispiel ist hier die Skybolt-Krise und das westliche alliierten Setting um 1962/63. Wie ziehe ich andere Autoren heran, entwickle ein Gespür für eine Forschungskontroverse? Das ist unterrichtsnah, nimmt den Leser immer an die Hand. Jeder Schritt der weiteren Erkenntnis wird geduldig erklärt. Das sind kleine Forschungsüberblicke, die aber nicht autoritativ von oben gegeben werden, sondern dem Leser die Erkenntnisse des erfahrenen Forschers vermitteln und zum "do it yourself" anreizen. Zentral ist hierfür das Kapitel über den US-Kriegseintritt von 1941, das die konventionelle Narratio vorführt, dazu aber die sehr unterschiedlichen Schlüsse unterschiedlicher Autoren aus gleichen Quellen zeigt, den ostasiatisch-pazifischen Raum bemüht, die US-Seite zeigt, auch auf die japanische überwechselt, die US-Politik auch über Europa einbezieht, schließlich auch den deutsch-sowjetischen Krieg als Bezugspunkt behandelt.
"Working with documents" (Kapitel 5) bildet den Einstieg in ganz praktische Internetarbeit, beharrt aber aus guten Gründen auch auf der Buch- und Papierarbeit: Wie finde ich was, wie verknüpfe ich Suchmaschinen miteinander, um Spreu vom Weizen zu trennen, Überblicke zu bekommen? Da sind wir dicht am Werkzeugkasten dran, der mit Vorschlägen zur eigenen Projektentwicklung und zum wissenschaftlichen Schreiben bei einem hervorragenden Tutorium angelangt ist. Appendices listen die Findmöglichkeiten für Literatur und Quellen in allen zugänglichen Darbietungsformen ab.
Der Anspruch Trachtenbergs erstreckt sich auf die internationalen Beziehungen im gesamten 19. und 20. Jahrhundert. Zwei Einschränkungen sind jedoch zu machen, die sich aus den Beispielen bereits ablesen lassen. Bei der "Arbeit mit Dokumenten" insistiert er einmal: "the key point to bear in mind here ist that international politics is about conflict". (141) Das ist nicht eine Internationale Geschichte in der Erweiterung, die auch Kultur, Transnationalität, soft power, Transfers oder gar gekreuzte Geschichte zum Thema macht. Es bleibt vielmehr bei einer im angestrebten Bereich wohl informierten und glänzend argumentierenden Einführung. Zum anderen: das Buch richtet sich, aller europäischen oder gar deutschen Beispiele ungeachtet, ganz an amerikanische Leser und Benutzer. Durchgängig und einleuchtend werden ganz überwiegend amerikanische Webseiten, Datenbasen, die anderswo nur schwer zugänglich sind, angegeben - und natürlich haben die US-Presidential libraries etc. auch den Vorrang. Das kann aber auch jeder Historiker eines anderen Landes mutatis mutandis mit Gewinn zur Kenntnis nehmen, zumal der Autor selbst auch einige französische, deutsche, ja russische Werke nennt, selbst dann wenn sie nicht alle in Englisch vorliegen. Ein gelungener Einführungsband vom Tutorium bis zum Doktoranden, auch für Nachbarwissenschaften zu empfehlen, auch wenn deren Erkenntnisinteresse dennoch anders ist und wohl auch bleiben wird. Der Dialog sollte gerade mit Trachtenbergs "Craft" im geistigen Gepäck weiter geführt werden. Das muss ja nicht nur der Tornister des Sturmgepäcks der Kalten Krieger sein.
Jost Dülffer