William Glenn Gray: Trading Power. West Germany's Rise to Global Influence, 1963-1975 , Cambridge: Cambridge University Press 2023, xiii + 498 S., ISBN 978-1-108-42464-6, GBP 34,99
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Der an der Purdue University lehrende Historiker William Gray hat sich 2003 einen Namen gemacht mit einem Band über die Konkurrenz der beiden deutschen Staaten im Globalen Süden oder vielmehr über Bonns immer weniger erfolgreiche Versuche, Ost-Berlins Anerkennung dort zu hintertreiben [1]. Seither hat er in zahlreichen Beiträgen sein Thema erweitert und damit die Grundlagen für diese umfassende Studie gelegt.
Die Hauptthese ist bereits im Titel und Untertitel angekündigt: der Aufstieg der Bundesrepublik zu globalem Einfluss. Aber die Monografie beschränkt sich nicht darauf. Sie wechselt immer wieder, von Kapitel zu Kapitel, den thematischen Schwerpunkt und den methodischen Ansatz. Sie ist einzigartig in der Dichte der Quellenerschließung, wenn sie neben den bekannten Akteneditionen, vor allem der Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland und der Foreign Relations of the United States, umfassend die Archive deutscher Ämter und Parteien, aber auch US-Archive einbezogen hat und somit direkt aus der Perspektive und Interaktion der Protagonisten schreibt. Bisweilen sind lange Passagen den Verhältnissen im Bundeskabinett und in den Parteien gewidmet, vielfach werden die Protagonisten anschaulich als individuell charakterisierte Personen und handelnde Akteure dargestellt.
Der Perspektivwechsel bedingt es, dass mal die Europapolitik, dann das transatlantische Verhältnis in den Fokus rückt. Besonders in Bezug auf die Ostpolitik wird immer wieder eine kritische Sicht auf die bundesrepublikanische Politik von Seiten der Westmächte, vor allem aus ungedruckten Archivbeständen, etwa aus Berichten des US-Botschafters in Bonn, deutlich. Gerade der Globale Süden als relativ neues Forschungsgebiet findet Beachtung, ebenso die Haltung zum Nahen Osten und die Ostpolitik. Bemerkenswert ist es, dass neben der genuinen Machtpolitik die Handels- und Währungspolitik wie auch die mentalen und historischen Grundlagen - Wiedergutmachung, Erinnerung - gleichberechtigt vorgeführt werden. Dieser integrale Blick auf (fast) alle Komponenten bundesdeutscher Außenpolitik ist neu, anspruchsvoll und insgesamt gut gelöst.
Bringt man die Ergebnisse Grays auf den Punkt, dann war die Bundesrepublik seit 1966/67 zum "pivotal continental member of the Atlantic Alliance" geworden (122). 1968 sei nicht wegen der Studentenbewegung oder anderen sozialen Unruhen bemerkenswert gewesen: die Überwindung der Währungskrise im November 1968 "marks the single most important inflection point for Germany's international standing in the entire span from Adenauer to Schmidt" (196). Die Bundesrepublik avancierte in dieser Sicht nicht nur zu einem angesehenen Akteur unter vielen anderen, sondern prägte zunehmend und entscheidend das gesamte internationale, weltweite System. Damit geht einher, dass die sonst meist im Vordergrund stehende "deutsche Frage", die Frage nach einem Primat des westdeutschen Staatsziels Wiedervereinigung ebenso wie die europäische politische Integration als solche in den Hintergrund rückt.
Nach Grays Urteil waren alle Kanzler zwischen Adenauer und Schmidt schwach und konnten sich nur unvollkommen gegen starke Kräfte im eigenen Kabinett wie in der Öffentlichkeit durchsetzen. Auf der anderen Seite wird gerade die Bundesbank einleuchtend als starker Akteur eigenen Rechts und eigener Aktivitäten herausgestellt. Alle diese Personen und Institutionen arbeiteten mehr oder weniger effektiv am Aufbau der Handelsmacht Deutschland mit. Die Bundesrepublik wurde so zu einem die Strukturen gestaltenden Faktor der Welthandelspolitik. Das wird am Ende des Bretton-Woods-Systems 1973 und den seither floatenden Wechselkursen festgemacht.
Was hat Gray im Einzelnen zu bieten? Adenauers Politik der deutsch-französischen Sonderbeziehungen und scharfer Abgrenzung von Moskau war angesichts anglo-amerikanischer Ostpolitik 1963 konzeptuell gescheitert. Erhard entwickelte zwar vage Pläne zum industriellen Ausbau der Sowjetunion, jedoch ohne Folgen. Festgemacht an seinem Besuch bei Präsident Johnson in Texas diente er sich als Juniorpartner der USA an, behielt jedoch darin eine Sonderrolle, keine Soldaten in Auslandseinsätze zu schicken ("German exceptionalism", 60). Gerade die Nahostpolitik mit Waffenlieferungen an Israel und dem Verlust der bisherigen Stellung in der arabischen Welt zeugten von "inept diplomacy" (93). "Usual naiveté" wird dem zweiten Kanzler vorgeworfen. Positiv sticht davon die Politik der Bundesbank ab.
Unter der Großen Koalition Kiesinger-Brandt wurde die Balance zwischen Washington und Paris besser gehalten, es gab erste Ansätze zu einer aktiveren Ostpolitik, bei der sich CDU und SPD intern aber immer stärker blockierten. Das galt zumal beim atomaren Nichtverbreitungsvertrag, der erst zu Beginn der sozialliberalen Koalition unterzeichnet werden konnte. Hier spielte sogleich die Ostpolitik eine zentrale Rolle. Deutlich werden nicht nur die Differenzen von Egon Bahr mit der CDU und zu den meisten bundesdeutschen Diplomaten schon zu Zeiten der Großen Koalition, sondern Gray wird nicht müde, Bahrs "impatient style" zu geißeln (205). So habe das (öffentlich durchgestochene) Bahr-Papier vom Mai 1970 ganz die sowjetischen Positionen übernommen, der Moskauer Vertrag habe mit viel Mühe den Wiedervereinigungsvorbehalt enthalten, aber nicht die eigentlich zentralen Fragen wie den Zugang nach Berlin, der dann kompliziert zwischen den vier Mächten ausgehandelt werden musste, was sich letztlich bis in die Ratifizierungsdebatte 1972 niederschlug. Ebenso habe der Warschauer Vertrag die wichtige Frage der Vergangenheitspolitik und etwaiger Entschädigungen zu Lasten späterer langwieriger Diskussionen ausgeklammert: "Bahr's approach to diplomacy was deeply flawed" (263). Vor allem das Viermächteabkommen zu Berlin von Ende 1971 habe viele Schlupflöcher offengelassen, derer sich die DDR in der Folgezeit mit Erfolg bedienen konnte. Brandts Treffen mit Breschnew in Oreanda habe die Bundesrepublik im Westen völlig isoliert. Die DDR-Politik nach den Ostverträgen sei ein "coldly rational rebuff" gegen Bahr und seinen "Wandel durch Annäherung" gewesen (384).
Selbst wenn Gray sich auch sonst in dem Band oft harter, kritischer (und oft treffender) Urteile über Politiker bedient, dürfte er in diesem Falle zu weit gehen. Die Annahme, dass geduldiges oder härteres bundesdeutsches Auftreten in den Verhandlungen der Ostpolitik alle relevanten Fragen gleichsam wasserdicht hätte bereinigen können, ist durch nichts bewiesen. Der Verfasser scheint hier den Grundgedanken der Ostpolitik, den Vertrauensgewinn, oder mit Bahr gesprochen das strategische Ziel, den Status quo anzuerkennen, um ihn langfristig zu überwinden, nicht hinreichend berücksichtigt zu haben. Positiv sticht demgegenüber bei Gray die Europapolitik der sozialliberalen Koalition hervor: der Haager Gipfel vom Dezember 1969 ist hier das wichtige Ereignis.
Gray arbeitet durchweg gekonnt gegensätzliche Positionen in der bundesdeutschen Politik heraus - so etwa in der Europapolitik Brandt und Katharina Focke vs. Karl Schiller oder im Hinblick auf den globalen Süden den Friedens- und Gesinnungspolitiker Erhard Eppler gegenüber den rein ökonomischen Positionen Schillers und des "Establishments", das sich letztlich durchgesetzt habe. Angemessener Raum erhält der internationale Terrorismus, wobei der palästinensische durch seine Entführungspolitik die Bonner Politik geradezu zur "cash machine" (323) seiner eigenen Finanzierung gemacht habe. Brandt erscheint zunehmend überfordert ("overwhelmed", 360), so dass das von Henry Kissinger 1973 ausgerufene Jahr Europas auch daran vom Ansatz her scheiterte.
Schon seit 1972 seien Helmut Schmidt und Hans Apel zentrale Personen in der Regierung gewesen, die ab 1974 als Kanzler und Finanzminister deren wichtigste Krisenmanager und auch international anerkannte Führungspersonen wurden. In ihrer Welthandelspolitik hätten sie sich ganz von ökonomischen, nicht moralischen Qualitäten leiten lassen. In den Jahren bis 1975 hätten sie erstmals wieder seit Adenauer durch ihre Methoden der Kommunikation eine zentrale Position in der wirtschaftlichen, militärischen und politischen Führung des Westens eingenommen. Das entspricht weitgehend dem zeitgenössischen Bild des Weltökonomen und Macher Helmut Schmidt.
Grays Stil ist immer nahe an den Quellen orientiert, wodurch er auch manche Facette der verwobenen nationalen Politik Bonns wie seiner Orientierung in der Welt innovativ zu erfassen vermag. Er scheut vor klaren, vor allem kritischen Aussagen und Etiketten nicht zurück, die auch aus internen US-amerikanischen oder französischen Quellen gespeist sind. Das macht das Buch zu einer anregenden und innovativen Lektüre. Die Rekonstruktion von den Mühen der politischen Alltagsarbeit im Kabinett wie in der großen Politik, ergänzt bisweilen durch den Adlerblick globaler Einordnung, stellen die zentralen Leistungen eines wichtigen Bandes dar.
Anmerkung:
[1] William Glenn Gray: Germany's Cold War. The Global Campaign to Isolate East Germany, 1949-1969, London 2004.
Jost Dülffer