Christina von Hodenberg: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973 (= Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts; Bd. XII), Göttingen: Wallstein 2006, 512 S., ISBN 978-3-8353-0029-3, EUR 46,00
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Stellungnahme von Christina von Hodenberg mit einer Replik von Peter Hoeres
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Die starke politisch-kulturelle Wandlung, welche die alte Bundesrepublik in den "langen" 1960er-Jahren erfahren hatte und die zu ihrer "Umgründung" (Manfred Görtemaker) geführt haben, wird in der Forschung mit unterschiedlichen Paradigmen zu erklären versucht: mit einer kulturellen Amerikanisierung, mit einer politischen Verwestlichung ("Westernisierung") oder mit einem vorwiegend auf die innergesellschaftlichen Wurzeln zurückgehende Liberalisierung durch die generationelle Ablösung der konservativen Eliten.
Letzterem Ansatz von Dirk Moses und dann Ulrich Herbert ist Christina von Hodenberg in ihrer Geschichte der Medienöffentlichkeit der Bundesrepublik verpflichtet. Natürlich ist Ihre Studie keine Geschichte "der" westdeutschen Medienöffentlichkeit bis 1973. Die Tagespresse, das Zweite Deutsche Fernsehen, die Nachrichtensendungen, die Publikumsreaktionen und das Kino bleiben weitgehend unberücksichtigt. Im Mittelpunkt stehen Wochenblätter, Magazine und Illustrierte (Stern und Quick) sowie die politischen Fernsehmagazine, insbesondere Panorama. Zudem bietet die Autorin ein schönes ideengeschichtliches Kapitel zur Diskussion um den Begriff und die normative Bedeutung von Öffentlichkeit um 1960.
Von Hodenberg folgt der Phaseneinteilung der neueren Zeitgeschichtsschreibung und einem auf Personen fokussierten, bewusst gegen die Ausblendung des Subjekts in der Diskursanalyse gerichteten Ansatz. Demnach folgte auf die Phase der alliierten Neustrukturierung der Presselandschaft eine "konservative Integration" seit 1947. Diese Wendung soll an Stelle des veralteten Restaurationsbegriffs der Tatsache Rechnung tragen, "dass die Integration der Belasteten ein notwendiger Schritt für den jungen Weststaat war" (444). In den "kurzen" Fünfzigerjahren orientierten sich die 1880 bis 1900 geborenen "Wilhelminer" an einer autoritären Staatsidee, die sich in einem antikommunistischen Konsensjournalismus niedergeschlagen habe. An die Stelle des Kalten Krieges als Erklärungsmodell für eine konservative Wende setzt von Hodenberg den Rückstrom älterer Journalisten in die Redaktionen, ohne deutlich zu machen, warum dies quellenmäßig überzeugender abgesichert werden könnte.
Abgelöst wurden die "Wilhelminer" und ihre Epigonen von der für die Liberalisierung der Öffentlichkeit entscheidenden Generation geborener Flakhelfer, jener "45er", welche die "langen" 1960er-Jahre bereits vor 1968 zu einem Reformjahrzehnt machten. Konflikt, Kritik und Pluralität wurden nun mittels einer Skandalisierung der Politik umgesetzt; die SPIEGEL-Affäre war nur ein Element dieser vor allem durch die wirkmächtigen Illustrierten und die Fernseh-Magazine umgesetzten Strategie. Die 68er setzten den Aufbruch nur fort, intellektuell ausgestattet mit Öffentlichkeitsvorstellungen, die "als Rückschritt hinter den Stand der frühen Sechzigerjahre betrachtet werden" müssten (76). Bei der Deutung der 68er ist von Hodenberg trotzdem selbst stark an einem Konsensmodell orientiert: den in letzter Zeit verstärkt erforschten Stasi-Einfluss [1] versucht sie ebenso zu marginalisieren wie die weder demokratisch noch gar pluralistisch ausgerichteten Leitbilder sowie die machiavellistischen Durchsetzungsstrategien.
Überhaupt schreibt von Hodenberg eine allzu eindimensionale Mediengeschichte, die sich an einem rein fiktiven idealisierten Modell von westlicher Öffentlichkeit orientiert: so behauptet sie, "der letzte Wert, den 'der Westen' absolut" setze, sei die Forderung, "Werte nicht absolut zu setzen" (460). Dies mutet angesichts der keineswegs erst seit George W. Bush religiös konnotierten, bisweilen geradezu manichäischen (Detlef Junker) Politik und Öffentlichkeit in den USA seltsam an, und für die Praxis verweist sie an einer Stelle selbst auf die ihrem Modell von liberaler Westlichkeit entgegenstehende McCarthy-Ära. Dass die Preisgabe eines bildungsbürgerlichen Journalistenideals, wie es in Deutschland gängig war, zudem auch eine Verlustgeschichte ist, lehrt jeder Vergleich des anspruchsvollen Radioprogramms der Fünfziger- und Sechzigerjahre mit dem heutigen Programmangebot auch des öffentlich-rechtlichen Radios. Vollends hilflos steht von Hodenberg konservativen Journalisten wie Hans Zehrer gegenüber. Den Stern-Kolumnen des jüdischen Publizisten William S. Schlamm weiß sie nur mit dem denunziatorischen Etikett "rechtsextrem" beizukommen. [2]
Leider schlägt sich von Hodenbergs Begeisterung für als westliche angenommene Öffentlichkeits-(ideale) auch im Sprachgebrauch nieder: schlimm genug, dass man landläufig die Wendung "das macht Sinn" hört, in ein wissenschaftliches Buch gehört sie definitiv nicht. Fazit: Es liegt eine komplexitätsreduzierende Teilmediengeschichte der frühen Bundesrepublik vor, die dennoch streckenweise spannend zu lesen ist.
Anmerkungen:
[1] Von Hodenbergs selbst sitzt leider immer noch den Kampagnen gegen Theodor Oberländer und Heinrich Lübke auf, die sie auf "meist zutreffende Informationen" (388) basieren sieht. Vgl. dagegen Philipp-Christian Wachs: Der Fall Theodor Oberländer (1905-1998). Ein Lehrstück deutscher Geschichte, Frankfurt am Main 2000, und Rudolf Morsey: Heinrich Lübke. Eine politische Biographie, Paderborn 1996.
[2] Wesentlich differenzierter, aber auch kritisch zu Schlamm jetzt Susanne Peters: Zwischen Ideologie und Demagogie. William S. Schlamm und die Qual des Friedens, in: Frank-Lothar Kroll (Hg.): Die kupierte Alternative. Konservatismus in Deutschland nach 1945, Berlin 2005, 299-322. Zu Zehrer vgl. ebenda (125-178) den weiterführenden Aufsatz von Hans B. von Sothen.
Peter Hoeres