Görge K. Hasselhoff: Dicit Rabbi Moyses. Studien zum Bild von Moses Maimonides im lateinischen Westen vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, 400 S., ISBN 978-3-8260-2692-8, EUR 49,80
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Moderne europäische Gelehrsamkeit, wie sie sich seit der Frühen Neuzeit herausgebildet hat, geht wesentlich auch auf Wissenschaft des islamischen Raums zurück, in der wiederum alt-griechische Autoren rezipiert und weiterentwickelt wurden. Über lateinische Übersetzungen wurden die arabische Kommentarliteratur zu Werken antik-griechischer Wissenschaften sowie eigenständige Traktate seit dem 11. Jahrhundert in Europa bekannt und dort noch lange nach Abschluss der Übersetzungsphase intensiv diskutiert. Eine wichtige Rolle kommt den Juden im Wissenschaftsbetrieb der islamischen Kulturwelt zu, die ihre Texte in der Regel - so sie nicht direkt jüdische Bereiche betrafen - in Arabisch, der Wissenschaftssprache des Orients während des Mittelalters, verfassten. Der im europäischen Mittelalter berühmteste Gelehrte jüdischer Zugehörigkeit ist Moses Maimonides. Passend zum 800. Todestag des großen jüdischen Autors legte Görge Hasselhoff seine 2003 in Heidelberg eingereichte kirchengeschichtliche Promotionsschrift in überarbeiteter Fassung vor. Hasselhoffs Augenmerk gilt weniger inhaltlichen Fragen zum Werk des Maimonides als vielmehr den Rezeptionslinien des jüdischen Philosophen und Arztes im lateinischen Westen, die er in klarer und differenzierter Weise aufzeigt und nachzeichnet.
Schon in seinem Vorwort verweist der Autor darauf, dass sich die Maimonidesrezeption im lateinischen Westen nicht - wie häufig geschehen - auf Philosophie oder Halakha oder Medizin reduzieren lässt. Vielmehr kann man unterschiedliche Bereiche der Rezeption mit den ihnen jeweils eigenen Verwendungstypen unterscheiden, die sich wechselseitig ablösten und teilweise bedingten. Nach einer knappen, aber aussagekräftigen Darstellung zum Stand der Forschung (Kapitel 1.1, 11-16) werden die einzelnen Epochen der Rezeption mit ihren verschiedenen Interessensschwerpunkten an Rabbi Moyses vorgestellt (Kapitel 1.2, 16-22).
In Bezug auf sein methodisches Vorgehen stellt der Autor hier zunächst noch einmal klar, dass es ihm angesichts der oft nur marginalen Unterschiede der maimonidischen theologischen Lehren zu denen anderer Verfasser primär nicht darum ging, einzelne Autoren im Hinblick darauf zu untersuchen, wie sie von der Lektüre des Maimonides beeinflusst wurden (zu Thomas von Aquin und Meister Eckhart liegen im übrigen bereits derartige Untersuchungen vor). Vielmehr verfolgt der Autor das Ziel, Stellen der namentlichen Nennung des Maimonides festzuhalten unter Berücksichtigung der Bilder, die sich die scholastischen Gelehrten von Rabbi Moyses machten. Dadurch, d.h. nicht durch tief greifende Analysen auf Rezeptionsinhalte hin, sollen die Linien der Maimonidestradierung aufgezeigt werden. Diese veranschaulicht der Autor bereits in der Einleitung mit detaillierten Hinweisen auf unterschiedliche Maimonidesdarstellungen im Bild je nach Zeit und Raum. Den Untersuchungszeitraum grenzt der Autor ein auf die Lebensdaten des Maimonides auf der einen Seite und die im 15. Jahrhundert entwickelten Drucktechniken auf der anderen, durch die - bedingt durch das neue Interesse an jüdischen Quellen - eine neue Art des Maimonidesbildes verbreitet wurde. Den Einleitungsteil beschließt ein bio-bibliographischer Überblick (Kapitel 1.3, 22-36) zum historischen Maimonides. Ergänzt werden diese Ausführungen durch eine "Zeittafel der Übertragungen [ins Lateinische]" (327), die die maimonidischen Texte nebst - soweit möglich - Übersetzungszeit und -ort und Übersetzer auflistet.
Der Hauptteil setzt ein mit der literarischen Verwendung des Maimonides als astronomus (Kapitel 2.1, 37-60) und exegeticus iudaicus (Kapitel 2.2, 61-88), auf die eine breite Rezeption als philosophus (Kapitel 2.3, 88-221) sowie als Hebraeus in der interreligiösen Kontroversliteratur (Kapitel 2.4, 221-280) folgt, die im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts abebbt und von der des medicus (Kapitel 2.5, 280-316) abgelöst wird, bis dann im 15. Jahrhundert der philosophus wieder entdeckt wird (dazu ausblickartige Ausführungen in Kapitel 3, 323-326).
Am Hofe Friedrichs II. lassen sich erste Rezeptionsspuren des Maimonides im lateinischen Westen festmachen: Erstmals namentlich genannt wird Rabbi Moyses in einem astronomischen Werk des Astrologen Michael Scotus, das auf den Beginn der 1230er Jahre zu datieren ist. Friedrich II. selbst hat Maimonides als Autorität zu exegetischen Fragen im weitesten Sinne angeführt.
Die Wertschätzung des Maimonides als Philosoph lässt zunächst noch etwas auf sich warten, da sein philosophisches Hauptwerk, der "Führer der Unschlüssigen", erst gegen 1242/1244 ins Lateinische übersetzt wurde. Den Kern von Hasselhoffs Untersuchungen bildet die Maimonidesrezeption im 13. und 14. Jahrhundert durch Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Meister Eckhart. Entsprechend der Zielsetzung des Autors geht es hier um die Fragen, ab wann Maimonides bei den genannten Gelehrten verwendet wird, und welches Bild sie von ihm zeichnen. Relativ viel Raum nimmt auch Maimonides im Zusammenhang mit interreligiöser Kontroversliteratur ein. Faszinierend, wenn auch, wie Hasselhoff selbst sagt, "rätselhaft" (251), sind wiederholte Hinweise mittelalterlicher Autoren, nach denen Maimonides die Zerstörung Israels als Folge der Messianität Jesu erklärt habe.
Bei der Vorstellung des Maimonides als Arzt schließlich gibt der Autor Informationen zu den einzelnen Übersetzungen der medizinischen Traktate und zu den Zentren der Maimonidesrezeption (die Universitäten Montpellier, Bologna und Padua). Mindestens sieben der zehn auf Arabisch abgefassten medizinischen Traktate wurden im 14. Jahrhundert - d. h. relativ spät - ins Lateinische übersetzt. Dass sie keine bedeutende Rolle in der mittelalterlichen Medizinerausbildung spielten, mag man dadurch erklären, dass sie mit den im 12. Jahrhundert durch Gerhard von Cremona in Toledo übersetzten Werken, darunter dem Canon des Avicenna, konkurrieren mussten.
Kapitel 3 (317-326) bietet eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie einen kurzen Ausblick. In seiner ersten These verweist der Autor auf die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen Halakhist, Philosoph und Mediziner bei einer Beurteilung des Maimonides, wobei es nicht wirklich erstaunt, dass sich das christliche Mittelalter für den Halakhisten nur am Rande interessierte, ebenso wenig wie der Umstand, dass - auch bedingt durch die zeitliche Abfolge der Übersetzungen - zunächst der Philosoph und erst später (seit dem 14. Jahrhundert) der Arzt Maimonides im Zentrum der intellektuellen Nachfrage stand. Außerdem korrigiert Hasselhoff eine These Kluxens, nach der Maimonides dem lateinischen Leser durch drei philosophische Schriften nahezu zeitgleich bekannt wurde.
Die zweite These differenziert die mittelalterlich-europäische Wahrnehmung des Juden Maimonides weiter aus mit dem berechtigtem aber in der Forschung häufig nicht berücksichtigtem Hinweis, dass aufgrund des selektiven Interesses mittelalterlicher Gelehrter am Rabbi Moyses sich schon durch die Auswahl der ins Lateinische zu übersetzenden Traktate im Vorfeld bestimmte "Rezeptionsfelder" ergeben, die nicht immer mit den in den jeweiligen Schriften angelegten Zielen konform gehen. Diese "Rezeptionsfelder" erstrecken sich auf die Bereiche Philosophie, auf einige für die christliche Theologie interessante Themen sowie auf Teilgebiete der Medizin. Der Halakhit Maimonides erfährt Bedeutung bei Fragestellungen der Astronomie im Hinblick auf theologische Fragen (die Himmelfahrt Christi), außerdem bei der Interpretation von Texten des Alten Testaments. Hervorgehoben wird die herausragende Rezeption des Maimonides als philosophus, dem im Folgenden das Bild des medicus als gleichwertig beigestellt wird.
In der dritten These geht der Autor ausblickartig auf eine Art Renaissance der Maimonidesrezeption verbunden mit den Errungenschaften und Auswirkungen des frühneuzeitlichen Buchdrucks seit dem 15. Jahrhundert ein. Für die Theologie werden der Karthäusermönch Dionysius von Rykel sowie Nikolaus von Kues genannt. Der letzte, das Buch beschließende Hinweis gilt Pico della Mirandola, dessen Interesse an Rabbi Moyses bereits in das Feld der gerade entstehenden christlichen Hebraistik fällt.
Das Buch umfasst insgesamt 400 Seiten und bietet dem Leser hilfreiche Anhänge wie eine Zeittafel der Übertragungen maimonidischer Texte (327), ein ausführliches Literaturverzeichnis (328-389) und ein nach Handschriften (390-393) und Personen (393-400) getrenntes Register. In der Einleitung präzisiert der Autor sein Vorhaben in vorbildlicher Weise. Er nimmt seine Ergebnisse vorweg, die im Hauptteil detailliert ausgeführt und erläutert werden, um im Schlusskapitel mit Thesen und Ausblicken eine Vervollständigung und Abrundung zu erfahren. Nicht zuletzt durch intensive Handschriftenstudien auch außerhalb Europas ist es Hasselhoff gelungen, ein fesselndes Bild mit seinen zeit- und raumabhängigen Schattierungen des Rabbi Moyses im mittelalterlichen Europa zu entwerfen und dabei manches Ergebnis älterer Forschung zu präzisieren oder zu korrigieren.
Raphaela Veit