Görge K. Hasselhoff / Otfried Fraisse (eds.): Moses Maimonides (1138-1204). His Religious, Scientific and Philosophical Wirkungsgeschichte in Different Cultural Contexts, Würzburg: Ergon 2004, 634 S., ISBN 978-3-89913-333-2, EUR 55,00
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Im Jahr 2004 begingen Judaisten, Theologen, Philosophie- und Medizinhistoriker den 800. Todestag des bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Mittelalters: Moses Maimonides. Aus diesem Anlass erschienen wie schon bei früheren Jubiläen zu Maimonides diverse Publikationen, darunter der von G. K. Hasselhoff und O. Fraisse herausgegebene Sammelband zur "Wirkungsgeschichte" des großen Gelehrten in verschiedenen kulturellen Kontexten.
Der mit 643 Seiten außerordentlich umfangreiche Band bietet neben der in Deutsch formulierten Einleitung zehn deutsche und 18 englische Beiträge führender Gelehrter zu theologischen, philosophischen und medizinhistorischen Aspekten in Maimonides' Werk. Sie sind nicht Ergebnis einer Tagung zum Thema, sondern gehen zumindest teilweise auf Vorträge zurück, die dem Herausgeber Hasselhoff im Rahmen der Veranstaltungen des Sonderforschungsbereichs 534 "Judentum - Christentum: Konstituierung und Differenzierung in Antike und Gegenwart" der Universität Bonn (1999-2003) zu Gehör kamen.
Der Band verfolgt das Ziel, jüdischen, islamischen wie christlichen Rezeptionsfeldern Gewicht zu verleihen. In ihrer Einleitung "Acht Jahrhunderte Maimonides-Lektüren: Eine Ortsbestimmung" (9-28) begründen die Herausgeber die anhaltende Aktualität des Maimonides mit dessen spezifischer Wissenschaftlichkeit: Wurden seine Werke in Europa wie im Orient gelesen, diskutiert, respektiert oder auch abgelehnt, so ist ihnen doch eigen, dass sie über den jeweiligen kulturellen, speziell den inner-jüdischen Kontext hinaus auch für andere nicht nur interessant, sondern auch verwertbar schienen. Der Herausarbeitung dieser "Mehrwertigkeit" gelten die Beiträge des Bandes.
Dem Leser hilfreich ist der weitere Fortgang des Einleitungskapitels, in dem die einzelnen Beiträge in ihren Kontext eingeordnet und kurz vorgestellt werden. Einer "Skizze der Biographie des Maimonides" (10-17) folgt eine "Skizze der Wirkungsgeschichte" seiner Werke (17-28). Dabei schlagen die Herausgeber einen beeindruckenden Bogen von der Geburt des jüdischen Gelehrten in Córdoba, die zwischen 1135 und 1138 datiert wird, bis zu seiner Verwendung als Vorbild für Harry Kemelmans Figur des kriminalistischen Rabbi David Small in einer neu-englischen Kleinstadt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Das halakhische Wirken des Maimonides ist als erste, ununterbrochene Wirkungslinie herauszustellen. Der Beitrag von M. Perani bietet einen Katalog mit Fragmenten aus dem Gesetzeskodex des Maimonides in den Dokumenten der italienischen "Geniza" und beleuchtet damit ein wichtiges Gebiet im aschkenasischen Bereich (137-172). M. S. Schroll belegt in einer exemplarischen Darstellung eindrucksvoll die bis heute andauernde Relevanz des Maimonides bei medizinethischen Fragen wie bei Gutachten zum Status eines Ungeborenen, zur Organtransplantation, zum Down-Syndrom, zur Verwendung nicht-koscherer Medikamente oder zur Frage der Schabbatarbeit für einen Arzt (607-614). Die Ausführungen von S. S. Kottek verweisen auf den philosophischen Zug im medizinischen Werk des Maimonides (65-81), und M. Zonta ergänzt das medizinische Schrifttum des jüdischen Gelehrten um einen Text aus dem Bereich der Naturwissenschaften, nämlich um eine möglicherweise Maimonides zuzuschreibende Sammlung von Exzerpten aus De animalibus von Aristoteles (83-94).
Im islamischen Osten wurde nicht nur das halakhische, sondern auch das philosophische und exegetische Werk des Maimonides im Kontext der Sufimystik ausgelegt, ein Umstand, der bei der Interpretation des Maimonides verstärkt Beachtung finden sollte, wie P. B. Fenton ausführt (95-112). Für den Westen befasst sich der Beitrag von E. R. Wolfson mit dem Werk des Maimonides im Hinblick auf die dortige jüdische Mystik, wobei der Autor entgegen gewöhnlich anderer Meinungen eine Nähe zwischen Philosophie und Kabbala postuliert (209-237). Christliche Kabbala am Beispiel des Agrippa von Nettesheim thematisiert B. Roling (239-269).
Von größter Bedeutung in der achthundertjährigen Rezeptionsgeschichte des jüdischen Gelehrten war zweifellos sein Wirkungsfeld als Philosoph. Angeblich schon als 16jähriger verfasste Maimonides eine Abhandlung zur Logik, die von H. Kasher als grundlegend für sein späteres Werk im Hinblick auf die Zuverlässigkeit prophetischer Offenbarung bewertet wird (51-63). Maimonides' philosophisches Hauptwerk ist seine philosophisch-enzyklopädische Abhandlung "Führer der Unschlüssigen" (arab. Dalālat al-Ḥāʾirīn / hebr. More Nevukhim). Fragen zu Aufbau und Inhalt der Schrift wie zu den beiden hebräischen Übersetzungen in der inner-jüdischen Rezeption werden von D. Schwartz (29-50) und W. Drews (113-135) behandelt. Als einzigem lateinischen mittelalterlichen Autor ist Meister Eckhart ein Beitrag von Y. Schwartz gewidmet, der dessen späte Schriftauslegung als ein maimonidisches Projekt bezeichnet (173-208). Weitere Beiträge behandeln die Rezeption des Maimonides bei (früh-)neuzeitlichen Geistesgrößen wie Spinoza (Z. Levy, 271-287), Leibniz (G. Biller, 311-321), Isaac Newton (J. Faur, 289-309), dem Kantianer Salomon Maimon (A. Shear-Yashuv, 337-346, G. Freudenthal, 347-362) und Hegel (M. Brumlik, 385-395). Zu den Repräsentanten der Haskala in Berlin, bei denen Maimonides einen hohen Status als Vermittler der Tradition hatte, führt der Beitrag von I. E. Zwiep (323-336); in den Kontext der Haskala von Galizien gehen die Ausführungen von A. Lehnardt zu Nachman Krochmal (427-447), und für die Haskala in Rußland zeigt V. Dohrn, dass Mitte des 19. Jahrhunderts neue Leserkreise für die Mishne Tora erschlossen werden konnten, dank der hebräisch-deutschen Ausgabe von Leon Mandelʾštam (363-384). F. Surall erinnert an die Auseinandersetzung Abraham Geigers mit Maimonides (397-425), und O. Fraisse untersucht die Probleme, die Franz Rosenzweig damit hatte, einen Zugang zu Maimonides zu finden (525-547). Nachweise für die philosophische Relevanz des Maimonides im 20. Jahrhundert führt M. Zank für Leo Strauss (549-571), L. Kaplan für Joseph Soloveitchik (491-523), F. Albertini für Emmanuel Levinas (573-585) und M. Kellner für Steven S. Schwarzschild (587-606).
A. L. Ivry schließlich unternimmt einen Vergleich der von Salomon Munk 1856-1866 veröffentlichten arabisch-französischen Ausgabe der Dalālat al-Ḥāʾirīn mit der von Shlomo Pines 1963 (auf 23 fälschlich "1964") vorgelegten englischen Übersetzung (479-489). G. K. Hasselhoff verweist in seinem Beitrag auf die mit dem Werk des Maimonides verbundenen interreligiösen Aspekte, die u. a. von Moritz Steinschneider, Manuel Joel und Jacob Guttmann wieder entdeckt wurden (449-478).
In einem auf Englisch verfassten Postscript (633-634) im Anschluss an das Register (615-629) und die Danksagung (631) versucht der Herausgeber Hasselhoff, seine Motive für die Aufnahme des sperrigen deutschen Begriffs "Wirkungsgeschichte" in den englischen Titel des Bandes zu erklären. Bei allen von ihm aufgeführten guten Gründen liest sich der Titel aber doch gekünstelt, so dass sich die Frage stellt, ob man sich nicht besser doch für eine englische Übersetzung von "Wirkungsgeschichte" im Titel hätte entscheiden oder - bei einem Band mit deutschen wie englischen Beiträgen - einen zweisprachigen Titel hätte wählen können.
Die in dem Band behandelten, zumeist in den theologisch-philosophischen Bereich gehörenden Fragestellungen zeichnen sich durch hohe Qualität an ihren wissenschaftlichen Anspruch aus. Dem Leser wird eine Vielfalt an Facetten zur Wirkungsgeschichte des Maimonides in unterschiedlichen kulturellen Kontexten geboten, allerdings keine Gesamtschau in Form eines repräsentativen Überblicks. Dies hatten die Herausgeber jedoch auch nicht vor: Ihnen ging es um neue Aspekte und bislang weniger bekannte Träger der Wirkungsgeschichte, wobei sie Vollständigkeit weder anstrebten noch für wünschenswert erachteten. Diese Einschränkung ist angesichts der enormen Materialfülle zu Maimonides nicht nur erforderlich, sondern auch sinnvoll, allerdings vermisst man doch weitgehend die mittelalterliche christliche Rezeption, und auch der Bedeutung des Maimonides als Arzt wird der Sammelband nicht gerecht, indem er bei insgesamt 28 Beiträgen gerade zwei mit weitgehend medizinhistorischer Thematik bietet.
Letztlich fehlt eine das Gesamtwerk übergreifende Fragestellung oder eine plausible Erklärung dafür, warum der nur hier angesprochene Teil des Maimonides-Werks präsentiert wird. Dies begründet zugleich die Stärke wie auch die Schwäche des Bandes. Ein Verzicht auf eine eng umrissene Fragestellung ermöglichte die uneingeschränkte Aufnahme aktueller, für die Forschung relevanter Beiträge. Andererseits leidet darunter die Ausgewogenheit der Konzeption. Bei aller Kritik im Detail ist jedoch das Verdienst der Herausgeber hervorzuheben, die Redaktion dieses umfangreichen Bandes nicht gescheut zu haben.
Es bleibt abschließend festzuhalten, dass der Sammelband eine Reihe außerordentlich packender Beiträge zur Maimonides-Forschung bietet, die zweifellos Anstöße zu weiteren Forschungen um diesen faszinierenden jüdischen Gelehrten geben werden, so dass man gespannt sein darf, wie die seit nunmehr über achthundert Jahre andauernden Maimonides-Lektüren sich weiterentwickeln.
Raphaela Veit