Jamil Hasanli: At the dawn of the Cold War. The Soviet-American Crisis over Iranian Azerbaijan, 1941 - 1946 (= The Harvard Cold War Studies Book Series), Lanham: Rowman & Littlefield 2006, xiii + 409 S., ISBN 978-0-7425-4055-2, GBP 49,00
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Gisela Schwarze (Hg.): Die Sprache der Opfer. Briefzeugnisse aus Rußland und der Ukraine zur Zwangsarbeit als Quelle der Geschichtsschreibung, Essen: Klartext 2005
Bereits 1980 hatte Bruce Kuniholm in einer bahnbrechenden Studie die Aufmerksamkeit der Forschung auf die Bedeutung des Nahen Ostens für frühe Entwicklungen des Kalten Kriegs gelenkt. Allerdings konnten erst post-sowjetische Archivrecherchen die Vielschichtigkeit der vermeintlich monolithischen sowjetischen Iranpolitik aufzeigen, in der nicht nur Moskau, sondern auch Parteigrößen der aserbaidschanischen Sowjetrepublik ihre Rolle spielten. [1] Deren erster Anknüpfungspunkt war die nationale Verbundenheit mit den Aserbaidschanern unter iranischer Herrschaft. Teherans Nationalitätenpolitik zeichnete sich unter dem Shah weder durch kulturelles noch materielles Entgegenkommen gegenüber den Minderheiten aus. Von daher besaßen die Zustände im sowjetischen Aserbaidschan, von außen betrachtet und durch Propaganda weich gezeichnet, nicht nur für überzeugte Kommunisten durchaus attraktive, vorbildliche Züge. Diese komplexen regionalen Bedingungen vermengten sich unweigerlich mit den Auseinandersetzungen des beginnenden Kalten Kriegs, die sich im Iran an Öl- und Sicherheitsinteressen der Großmächte entzündeten.
Jamil Hasanli, Professor an der Staatsuniversität von Baku und Parlamentsabgeordneter, fächert sein Bild der Irankrise von 1945/1946 entsprechend weit auf. Er legt den Schwerpunkt auf das iranisch-aserbaidschanisch-sowjetische Beziehungsdreieck. Die vom Autor intensiv genutzten Dokumente aserbaidschanischer Archive einschließlich der Materialien der kurzlebigen Regierung von 1945/1946 geben wichtige Aufschlüsse über Partei-, diplomatische, wirtschaftliche und sicherheitsdienstliche Beziehungen. Die Archivwahl gibt indes zugleich eine gewisse einseitige Perspektivierung vor: Die für die sowjetischen Kernentscheidungen letztlich ausschlaggebenden Moskauer Überlegungen bleiben mitunter undeutlich, und die für den Kalten Krieg natürlich nicht minder wichtigen amerikanischen bzw. britischen Schachzüge werden insgesamt nur stiefmütterlich behandelt. Die Studie löst daher das im Untertitel gegebene Versprechen, die "sowjetisch-amerikanische Krise" im Iran darzustellen, nur mit Abstrichen ein. Da Hasanli zudem generell vergleichende Seitenblicke auf parallele Auseinandersetzungen etwa in Europa oder Ostasien vermeidet, hängt auch eine Grundthese des Autors, dass der Kalte Krieg in "Südaserbaidschan" begann, in der Luft. Diese Fokussierung geht mit einer problematischen Nationalisierung des Geschichtsbilds einher, wenn die Ereignisse in den "great path of national struggle" der einheimischen Bevölkerung eingepasst werden (XI). Der nationale Überschwang Hasanlis (94, 111, 376), kombiniert mit einer unreflektierten Nutzung ursprünglich sowjetischer, doch offenbar aktuell kompatibler Sprachbilder und -kategorien - so wimmelte es unter den Opponenten der im Nordiran installierten Pishavari-Regierung nur so von "reaktionären Elementen" - verwischt mitunter die Grenze zwischen nachvollziehbarer Analyse und nationenbildender Geschichtsdeutung. Der sowjetische Einfluss auf die Unabhängigkeitsbewegung im Nordiran wird auf diese Weise keinesfalls negiert und in seinen Motiven zu Recht ausdifferenziert, in seinem Ausmaß aber nicht eindeutig bestimmt.
Ungeachtet dieser Schwächen erweist sich die Fallstudie als wichtiger Beitrag zu brisanten Entwicklungen des frühen Kalten Kriegs. Hasanlis Monografie bricht populäre Beziehungsmuster von Großmacht und Kleinstaat gleich mehrfach auf. Innerhalb der Sowjetunion lassen sich bei aller Zentralisierung der Entscheidungsgewalt deutlich konkurrierende Ansätze nicht nur verschiedener Ministerien aus Wirtschaft, Diplomatie und Staatssicherheit, sondern auch unterschiedliche Motive und Denkprozesse in Moskau und den interessierten Republiken erkennen. Im Iran waren autonome Regungen ungleich einflussreicher, doch auch auf unvermuteten Feldern von Bedeutung: Selbst die in Teheran basierte kommunistische Tudeh-Partei tat sich mit der Gründung der von der UdSSR gewollten eigenständigen aserbaidschanischen Volkspartei sehr schwer. Im Teheraner Zentrum wiederum beeinflussten persönliche Ambitionen und Machtspiele in hohem Maße innen- wie außenpolitische Entscheidungen. Die Kurswechsel des Premiers Qavam in der Frage aserbaidschanischer Autonomie oder sowjetischer Ölkonzessionen beispielsweise waren von pro-westlichen Einstellungen des Premiers bzw. des Shahs, nationalem Selbstbehauptungswillen, nationalistischen Hegemonialansprüchen, persönlichem taktischen Machtkalkül oder ausländischem Einfluss bedingt, ohne dass sich diese überlappenden Faktoren eindeutig gewichten lassen.
In diesem Geflecht hat sich offenbar auch Stalin verirrt. Die einvernehmliche Besatzung des Irans durch britisch-sowjetische Truppen sah deren Abzug innerhalb von sechs Monaten nach Kriegsende, das heißt bis Anfang März 1946, vor. Zielte das entsprechende Abkommen von 1942 noch vornehmlich auf die Unterbindung großdeutscher Aktivitäten und die Sicherung sowjetischer Nachschubwege, so gewann der Iran ab 1944 auch in sowjetischen Augen als Ölproduzent neue Bedeutung. Erste sowjetisch-iranische Verhandlungen über entsprechende Konzessionen scheiterten im Herbst 1944, da Teheran die asymmetrischen Machtbeziehungen nicht ad ultimo festschreiben wollte. In Moskauer Augen mochte eine weitere Stärkung und Anleitung aserbaidschanischer Autonomiebestrebungen, die seit Beginn 1944 von der sowjetischen Besatzungsmacht unterstützt wurden, auch Folgeverhandlungen in der Ölfrage erleichtern. Diese Politik eröffnete zugleich weitergehende Optionen, die je nach internationaler Situation aktiviert werden konnten.
Unmittelbar nach dem Kriegsende in Europa intensivierte die UdSSR ihre Wirtschafts-, Kultur- und politisch-militärischen Beziehungen zum iranischen Norden. Mit tatkräftiger sowjetischer Hilfe konstituierten sich in Tabriz ab Oktober 1945 die Demokratische Partei Aserbaidschans sowie ein Volkskongress, im Dezember 1945 genehmigte das Politbüro die Eröffnung einer Nationalversammlung. Der neue starke Mann, S. J. Pishavari, entwickelte Anfang 1946 indes Unabhängigkeitsideen, die Moskau - zu diesem Zeitpunkt? - schlicht zu weit gingen. Ende Januar 1946 behandelte der junge Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erstmals sowjetische Einmischungen in iranische Angelegenheiten - eine offene Konfrontation mit dem Westen über den Iran stand für Stalin nicht zur Debatte. In Teheran hatte sich derweil Qavam as-Saltanah mit den Stimmen der Tudeh-Partei zum neuen Premier wählen lassen. Seine ersten Verhandlungen mit Stalin in Moskau brachten noch keine bilaterale Einigung zustande, was den überfälligen Truppenabzug, das Schicksal des Nordirans oder die Ölkonzessionen anbelangte. Angesichts der drohenden Bloßstellung im Sicherheitsrat, sowjetischer Schwäche und iranischem Entgegenkommen justierte Stalin Ende März 1946 seine Iranpolitik neu: Die sowjetische Armee räumte ab 24. März 1946 ihre Stellungen, und Pishavari wurde der Ausgleich mit Teheran empfohlen. Im Gegenzug gestand Qavam der UdSSR am 4. April die langjährige Mehrheitsbeteiligung an einem iranisch-sowjetischen Ölunternehmen und gewisse Autonomiezugeständnisse für das iranische Aserbaidschan zu. In einem Schreiben an Pishavari begründete Stalin die neue Politik mit der fehlenden revolutionären Krise im Iran sowie allgemeinen Erfordernissen sowjetischer Befreiungspolitik in Europa und Asien.
Im Fazit erwiesen sich sowjetische Kalkulationen als falsch: Bis Dezember 1946 hatte die iranische Armee die Autonomiebewegung im Norden zerschlagen; rund 6000 Aktivisten fanden Zuflucht in der UdSSR. Das iranische Parlament verweigerte die Ratifizierung des von Qavam vorgeschlagenen iranisch-sowjetischen Ölabkommens. Die Doppelstrategie, sich im Iran sowohl über regionale als auch über zentrale Stellen Einfluss zu verschaffen, erwies sich angesichts der Unvereinbarkeit der Ziele und Positionen sowjetischer wie iranischer Beteiligter sowie der starken Gegenströmung aus dem Westen als Fehlschlag. Hasanlis Studie führt somit an einem frühen Beispiel die komplementäre Bedeutung internationaler, regionaler und innenpolitischer Entwicklungen für Genese und Entwicklung des Kalten Kriegs vor Augen.
Anmerkung:
[1] Bruce R. Kuniholm: The origins of the cold War in the Near East. Great Power conflict and diplomacy in Iran, Turkey, and Greece, Princeton 1980; Fernande Scheid Raine: Stalin and the creation of the Azerbaijan Democratic Party in Iran, 1945, in: Cold War History 2 (2001), 1-38.
Andreas Hilger