Martin Schmid / Ortrun Veichtlbauer: Vom Naturschutz zur Ökologiebewegung. Umweltgeschichte Österreichs in der Zweiten Republik (= Österreich - Zweite Republik. Befund, Kritik, Perspektive; Bd. 19), Innsbruck: StudienVerlag 2006, 98 S., ISBN 978-3-7065-4241-8, EUR 9,90
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Der Titel mag enzyklopädische Erwartungen wecken. Aber der Umfang des schmalen Bandes lässt ahnen, dass hier kaum die im Untertitel angekündigte "Umweltgeschichte Österreichs in der Zweiten Republik" geschrieben werden kann. Vielmehr handelt es sich um einen in drei Essays präsentierten Aufriss verschiedener umwelthistorischer Aspekte der österreichischen Geschichte seit 1945. Eine vorläufige und pragmatische Bewältigungsstrategie, da es, wie das Autorenteam Martin Schmid und Ortrun Veichtlbauer feststellt, der derzeitige Forschungsstand zur österreichischen Umweltgeschichte trotz einiger wichtiger Beiträge noch gar nicht erlaubt, ein komprimiertes Handbuch vorzulegen (18). Aber ein Zwischenbericht ist in Zeiten des Booms weltgeschichtlicher Perspektiven umso erfreulicher, als immer noch Mangel an nationalen umwelthistorischen Synopsen herrscht.
Die Felder, die Veichtlbauer und Schmid für ihre Sondierungen ausgesucht haben, umfassen Kraftwerksbauten, Landwirtschaft und Abfall. Jedes Feld soll auf umwelthistorische Fragen zu "Konsum und Produktion, der Energieversorgung, der Industrialisierung und Technisierung, des Ausbaues infrastruktureller Netzwerke, der Umweltpolitik und Herrschaftsverhältnisse, der Eingriffe in terrestrische und aquatische Ökosysteme, der Landschaft und deren Wahrnehmung in der Zweiten Republik" untersucht werden. Der inhaltliche Kitt der drei Erzählungen ist die Frage nach dem nach 1945 vorherrschenden "Denkmuster des Fortschritts und der Modernisierung" (19), nach der umwelthistorischen Lesart Veichtlbauers und Schmids vor allem eine gesellschaftliche Änderung des Verhältnisses zur Natur. Modernisierung stellt sich demnach als ein Prozess dar, in dem die Gesellschaft zunehmend von naturalen Systemen abhängig wird, die zwar per Technik und Wissen überformt werden, sich aber einer endgültigen Kontrolle entziehen. Die resultierenden Risiken werden von der Gesellschaft als "Umweltprobleme" wahrgenommen, auf die wiederum mit Eingriffen reagieren werden muss (20).
Im ersten Essay untersuchen Veichtlbauer und Schmid zwei Kraftwerkprojekte, an denen sich paradigmatisch der Wandel der gesellschaftlichen Bewertung technischer Vorhaben ablesen lässt. Die Entstehungsgeschichten der Wasserkraftwerke Kaprun und Hainburg, so Veichtlbauer und Schmid, gehören zum "Mytheninventar" der Zweiten Republik (27). Der Bau des in den Alpen gelegenen Speicherkraftwerks Kaprun, von Zwangsarbeitern im Rahmen des großdeutschen Energiewirtschaftsplanes begonnen, wurde mittels des Marshallplanes fortgesetzt und 1955 in Betrieb genommen. Es entwickelte sich zum positiven Sinnbild für den Sieg der Technik über die Natur, der nicht zuletzt die Entstehung einer österreichischen Konsumgesellschaft qua Elektrifizierung ermöglichte. Ganz anders als das Kapruner Konsensprojekt verlief die Debatte über das Anfang der 1980er-Jahre in den Wiener Donauauen geplante Wasserkraftwerk Hainburg. Der folgende heftige Konflikt um dessen Bau sollte die "politische und ideologische Landschaft" Österreichs nachhaltig verändern (37). Deutlich tritt zutage, wie sich die ökologische Wende der 1970er-Jahre mit ihrer neuen Rhetorik und ihrer "apokalyptischen Grundierung " (40) in der westlichen Welt auswirkte. Der erfolgreiche Kampf gegen den Bau des Kraftwerks Hainburg fungierte als identitätsstiftender Gründungsmythos und Gedächtnisort der grünen Bewegung (40).
Das zweite Essay beschäftigt sich mit der Landwirtschaft, die aufgrund ihrer zunehmenden Technisierung und Industrialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg begann, großflächige Umweltprobleme zu verursachen. Die kontinuierlichen durch den Einsatz fossiler Energien ermöglichten Produktionssteigerungen einer industrialisierten Landwirtschaft entstanden quasi parallel zur Vermarktung Österreichs als Ferienland, das seine ästhetische Identität zunehmend aus einer Kulturlandschaft schöpfte, die auf einem traditionellen kleinteiligen Landbau basierte. Ein Dilemma, das bis heute nicht aufgelöst ist. Gleichzeitig macht das Beispiel der industrialisierten Landwirtschaft deutlich, wie die Modernisierung hinsichtlich der Minimierung von Risiken versagt: Die katastrophalen Ausmaße von Tierseuchen beispielsweise zeigen drastisch, "dass die Intensivierung kolonisierender Eingriffe in Natur die Gesellschaft inzwischen an die Grenzen ihres Organisationsvermögens gebracht hat." (58)
Das letzte Essay schließlich setzt sich mit dem Thema der materiellen Reste und der alltäglichen Praxis im Umgang mit Abfall auseinander: Hier sondieren Veichtlbauer und Schmid nach einem Überblick über die Müllentwicklung der Republik vor allem das Phänomen, das ein eigentlich kollektives Problem der Konsumgesellschaft in den Verantwortungsbereich der Verbraucher übertragen, also privatisiert wird. Wie hier in eine Umweltdebatte eine genderspezifische Dimension eingeflochten wird, zeigt sich plastisch an der Geschichte der Einwegwindel. Ein Produkt, das als Inbegriff von Modernität galt und in erster Linie Frauen von einem gewichtigen Teil der Hausarbeit befreite, wurde von der Umweltbewegung zur Ikone des Einwegwahnsinns der Konsumgesellschaft umgedeutet. Die "ökomoralisierende Wertung", die Müttern damit bei der Entscheidung für Ein- oder Mehrwegwindeln mitgegeben wird, zeigt wie "gesellschaftliche Probleme auf den hauptsächlich weiblichen versorgungswirtschaftlichen Bereich abgewälzt werden" (77).
Gab es also einen speziellen österreichischen Weg der Modernisierung nach 1945? Die Argumente, die Veichtlbauer und Schmid dafür ins Feld führen, scheinen für eine ganze Reihe westlicher Staaten zu gelten: Als zentralen Motor heben die Autoren die Einflussnahme der Alliierten hervor, die mit ihren Finanzierungsprogrammen die Weichen für die technische Modernisierung stellten. Eine weitere Besonderheit machen Autorin und Autor im Tourismus aus, der den grundlegenden Widerspruch in sich birgt, dass die Modernisierung die Entstehung touristischer Infrastrukturen ermöglichte, die ihrerseits die Konservierung einer pittoresken, eigentlich altmodischen Landschaft verlangt. Als weiteres Spezifikum der Umweltgeschichte der Zweiten Republik wird die Sozialpartnerschaft hervorgehoben, deren Konzept sich nicht zuletzt auch in Katastrophensituation als "Solidargemeinschaft gegen die Natur" (81) konstituierte. Erste Risse dieser Partnerschaft, so das Resümee, hätten sich erst in den Auseinandersetzungen um das Atomkraftwerk (AKW) Zwentendorf und das Kraftwerk Hainburg gezeigt. Hinsichtlich des Dilemmas zwischen industriellen und ästhetischen Ansprüchen an die Natur als auch der Bedeutung von feindlicher bzw. katastrophaler Natur für die Entstehung einer nationalen Solidargemeinschaft lassen sich jedoch zahlreiche Parallelen im europäischen Raum finden. Der Naturschutz beispielsweise hat im zumeist dicht besiedelten Europa fast überall mit den Widersprüchen zwischen Nutzung und Bewahren zu kämpfen. Auch die Technikkritik brach sich allgemein Bahn und schärfte sich an Auseinandersetzungen um technische Großprojekte wie z.B. in der Bundesrepublik Deutschland der Kampf um die Startbahn-West des Frankfurter Flughafens oder das AKW Brokdorf. Und nicht nur das schweizerische Nationalbewusstsein bezog immer wieder Energien aus Katastrophenerfahrungen und deren Bewältigung. Aus internationaler Sicht drängt sich hingegen die Frage auf, inwiefern sich die Eigenarten der österreichischen Entwicklungen im Verzicht auf Atomnutzung oder im Versuch, die Republik zu einer gentechnikfreien Zone zu machen, ausdrücken.
Wer sich auf den Titel des Buches versteift und auf Erkenntnisgewinn über das historische Verhältnis des tradierten Naturschutzes zur modernen Ökologiebewegung in Österreich hofft, mag enttäuscht sein. Diese Entwicklung wird eher kurz und streckenweise stereotyp dargestellt. Wer sich hingegen einen Eindruck verschaffen will, welche facettenreichen Potenziale in einer quergelesenen österreichischen Umweltgeschichte stecken, der bekommt hier eine spannende Skizze geliefert. Veichtlbauer und Schmid zeigen, welche konstruktiven Impulse die Berücksichtigung des Mensch-Natur-Verhältnisses für eine ganzheitliche Geschichtsschreibung bietet und wie anregend es zudem ist, sich bei der Umweltgeschichtsschreibung von anderen Disziplinen inspirieren zu lassen, was beispielsweise in den Ausführungen zur Mythenbildung und zu Geschlechteraspekten deutlich wird. Der Wunsch des Herausgebers der Buchreihe, "eine kritische Reflexion der Nachdenkarbeit über Österreich" anzuregen, wird jedenfalls erfüllt: Man bleibt mit Fragen zurück - und das ist für Forschende beileibe nicht das Schlechteste.
Anna-Katharina Wöbse