Rolf Rilinger: Ordo und dignitas. Beiträge zur römischen Verfassungs- und Sozialgeschichte. Hrsg. v. Tassilo Schmitt und Aloys Winterling, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, 400 S., ISBN 978-3-515-08609-7, EUR 72,00
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Als der Bielefelder Althistoriker Rolf Rilinger 2004 im 62. Lebensjahr verstarb, war er durch einen Schlaganfall bereits zehn Jahre zuvor seiner Arbeitsfähigkeit beraubt worden. Vieles von dem, was er Studierenden und Mitforschern noch hätte geben können, blieb daher ungesagt und ungeschrieben. Mit dem vorliegenden Sammelband seiner Studien zur römischen Geschichte ist nun wenigstens leicht erreichbar, was er gegeben hat.
Als Rilinger seine wissenschaftliche Karriere begann [1], gab es in anderen Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft zugespitzte Positionskämpfe zwischen der "alten" Politik- und Verfassungs- und der "neuen" Sozialgeschichte. In der römischen Geschichte konnte sich diese Polarisierung nicht etablieren, weil schon früh durch die Arbeiten von Gelehrten wie Matthias Gelzer, Friedrich Vittinghoff und Jochen Bleicken klargestellt war, dass 'Politik' und 'Verfassung ' in Rom auf den sozialen Formierungen der Gesellschaft beruhten. Zwischen Macht und Einfluss einerseits, Leistung und Rang andererseits bestand dabei eine auch von den Römern selbst reflektierte enge Korrelation. Dieser Zusammenhang und dabei v.a. seine Wirkungen auf Subsysteme wie das Recht und das politische Denken war eines der Themen von Rolf Rilinger. Zu nennen sind hierfür seine Monographie "Humiliores - Honestiores. Zu einer sozialen Dichotomie im Strafrecht der römischer Kaiserzeit" (München 1988) sowie vier Aufsätze der vorliegenden Sammlung: "Ordo und dignitas als soziale Kategorien der römischen Republik" (1991), "Moderne und zeitgenössische Vorstellungen von der Gesellschaftsordnung der römischen Kaiserzeit" (1985), "Zum kaiserzeitlichen Leistungs- und Rangdenken in Staat und Kirche" (publiziert 1995) sowie "Zeugenbeweis und Sozialstruktur in der römischen Kaiserzeit" (publiziert 1997). Dem politischen Denken gewidmet sind ein eindringlicher Handbuchbeitrag (1988) und die Studie "Seneca und Nero. Konzepte zur Legitimation kaiserlicher Herrschaft" (publiziert 1996). Besonderes Profil gewannen Rilingers Arbeiten immer wieder durch die Verbindung von Theorien und Methoden der modernen Sozialwissenschaften mit einer genauen Analyse antiker Leitbegriffe und Konzepte wie ordo, dignitas, familia und Klientel.
Angeregt durch seinen Lehrer Christian Meier hat sich Rilinger ferner zur Krise der Republik geäußert, wobei für ihn Rekonstruktionen der zeitgenössischen Auffassung und Praxis ("'Loca intercessionis' und Legalismus in der späten Republik", 1989) und die wissenschafts- und begriffsgeschichtliche Selbstreflexion ("Die Interpretation des Niedergangs der römischen Republik durch 'Revolution' und 'Krise ohne Alternative'", 1982) zusammengehörten. In "Domus und res publica. Die politisch-soziale Bedeutung des aristokratischen 'Hauses' in der späten römischen Republik" (gedruckt 1997) schließlich zeigte er die Machtmonopolisierung in dieser Epoche am Funktionswandel des aristokratischen Hauses auf: Indem die Häuser der Großen Luxus demonstrierten und zu Kristallisationspunkten neuer Hierarchien sowie zu Orten der Entscheidungen jenseits von Senat und Comitium wurden, äußerten sich in ihnen bereits zur Zeit Caesars "Tendenzen zu höfischen Kommunikationsstrukturen" (122).
Strikte Epochenzäsuren zu setzen und zu verteidigen war generell Rilingers Sache nicht. In "Die Interpretation des späten Imperium Romanum als 'Zwangsstaat'"(1985) klärte er die disziplingeschichtlichen und ideologischen Voraussetzungen für die lange Zeit kaum in Frage gestellte Geltung dieser Kennzeichnung. Auch eine scharfe Replik von Alfred Heuss konnte nicht verhindern, dass mit dem Zurücktreten des plakativen Etiketts der Blick auf die viel differenziertere Sache frei wurde. [2]
Die Herausgeber haben dem Band, der die Aufsätze im reprographischen Nachdruck bietet, dankenswerterweise sorgfältig erstellte Indices (Stellen, Namen, Sachen) beigefügt, sich ansonsten aber sehr zurückgehalten. Für die Würdigung des Autors kann auf einen knappen Nekrolog verwiesen werden. [3] Vermisst wird dagegen ein vollständiges Schriftenverzeichnis, das auch die z.T. ausführlichen und in ihrem Kenntnisreichtum wie durch ihr kritisches acumen vorbildlichen Rezensionen Rilingers erschließt. Insgesamt: Obwohl nur zwei Beiträge an etwas entlegenerer Stelle publiziert sind, ist der Band hochwillkommen. Quellengesättigt, aber nie materialhuberisch, selbstreflexiv, aber nie l'art pour l'art, offen, aber doch mit klaren Leitfragen und Kategorien - Rolf Rilinger hätte mit seiner Alten Geschichte noch Vielen Vieles zu sagen gehabt.
Anmerkungen:
[1] Im Zusammenhang mit der Dissertation "Der Einfluß des Wahlleiters bei den römischen Konsulwahlen von 366 bis 50 v.Chr." (Köln 1972, publiziert 1976) entstand die Studie "Die Ausbildung von Amtswechsel und Amtsfristen als Problem zwischen Machtbesitz und Machtgebrauch in der Mittleren Republik (342-217 v.Chr.)" (1978).
[2] Alfred Heuss: Das spätantike römische Reich kein "Zwangsstaat"? Von der Herkunft eines historischen Begriffs, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 37 (1986), 603-618; vgl. abschließend: Mischa Meier: Das späte Römische Kaiserreich ein "Zwangsstaat"? Anmerkungen zu einer Forschungskontroverse, in: D. Brodka u.a. (Hrsg.): Freedom and its limits in the ancient world. Proceedings of a colloquium held at the Jagiellonian university Kraków (Electrum 9), Kraków 2003, 193-213.
[3] Aloys Winterling: Gnomon 76 (2004), 655.
Uwe Walter