Ronald Syme: Approaching the Roman Revolution. Papers on Republican History. Edited by Federico Santangelo, Oxford: Oxford University Press 2016, XV + 428 S., ISBN 978-0-19-876706-0, GBP 90,00
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1991 erschienen posthum die letzten von Ronald Syme (1903-1989) zum Druck vorgesehenen Aufsätze in den beiden abschließenden Bänden der "Roman Papers" (vols. VI u. VII). Mehr als 25 Jahre später weitere gut 300 Seiten Original-Syme in Händen zu halten dürfte zumindest für Uneingeweihte eine Überraschung darstellen. [1]
Wissenschaftliche Texte mit einem größeren zeitlichen Abstand aus dem Nachlass bedeutender Gelehrter zu publizieren kann zum einen die Forschung zu den darin behandelten Gegenständen befruchten, falls die Arbeiten die Dinge an der Wurzel anpacken und das verfügbare Quellenmaterial kompetent auswerten; die Lücke zur neuesten Forschung wiegt in diesem Fall nicht schwer. Zum anderen öffnen solche Publikationen selbstverständlich Wege zur intellektuellen und wissenschaftlichen Biographie des Gelehrten. Der zweite Grund legt allerdings nicht unbedingt eine vollständige oder gar mit einem umfassend erarbeiteten Apparat versehene Edition nahe; ein Repertorium mit Regesten täte es auch, und ein künftiger Biograph wird ohnehin den gesamten ungedruckten Nachlass umfassend heranziehen müssen. Über diese beiden streng wissenschaftlichen Gründe hinausgehend stellen derartige Publikationen drittens auch ein monumentum pietatis und ein Stück monumentalischer (oder kritischer) Traditionsvergewisserung dar.
Der Herausgeber gibt in seiner dichten und präzisen Einleitung (1-15) einen Überblick über den Nachlass Symes an Manuskripten, Entwürfen und Notizen (9-14). Darunter befinden sich weit gediehene Manuskriptentwürfe für eine Studie "Some Etruscan Families", ferner die beiden ersten Kapitel einer Darstellung (nebst Gliederungsentwürfen), die sich unter dem Titel "The Triumph of Caesarism" [2] an ein breiteres Publikum wenden sollte, außerdem Manuskripte einiger Kapitel eines Caesar-Buches, an dem Syme in den 1980er-Jahren arbeitete, und schließlich fragmentarische Vorstudien für eine Monographie über Livius. All diese Bestände sowie viele weitere Niederschriften seien in einem so fragmentarischen und vorläufigen Zustand, dass sie für eine Publikation nicht infrage kämen; dem künftigen Biographen böten sie jedoch wertvolles Material, ebenso wie die in zahlreichen Zigarrenkisten aufbewahrten Zettelnotizen zu den verschiedensten Themen. Da Syme Entwürfe und erste Manuskripte nicht selten auf der Rückseite von Rundschreiben, Einladungen o.ä. niederlegte, lassen sich viele Texte recht gut datieren und bestimmten Arbeits- bzw. Interessephasen zuordnen.
Das gilt auch für die im vorliegenden Band versammelten Studien zu republikanischen Themen, von denen - das war das Publikationskriterium - ein geschlossenes und in sich verständliches Typoskript oder Manuskript vorliegt (vgl. 13), die Syme aber nicht zur Veröffentlichung vorgesehen oder vor der letzten Feile beiseitegelegt hat. Manche Manuskripte enthalten Anmerkungen (meist Quellennachweise); bei den meisten hat der Herausgeber diese hinzugefügt. Dessen gesonderte Addenda (339-382; Bibliographie 383-395; Indices 397-428) bieten vorzügliche Kondensate zum Gang und Stand der Forschung, schließen also jedes einzelne Stück Symes an die aktuelle Diskussion an. In diesen Addenda ist jeweils auch ein Vorschlag zur Datierung gemacht; dies ist zusammen mit den "Editorial Notes" (XIII-XV) zu lesen, welche die Textgrundlage beschreiben und den Aufbewahrungsort im Rahmen der Syme Collection in der Bodleian Library in Oxford angeben. Werkbiographisch stammen die frühesten Texte aus dem Umkreis von "The Roman Revolution" (1939). Die spätesten deuten auf einen Zusammenhang mit der Monographie zu Sallust (1964); zu den Kontexten gibt wiederum die Einleitung Auskunft (4-9). Die erwähnte wissenschaftliche Erschließung durch den Herausgeber sowie die Anordnung nach Themen, nicht nach dem jeweiligen Entstehungszeitraum, deuten freilich an, dass das Buch primär als eine Sammlung von "original contributions to knowledge" (3) verstanden werden soll. Seine Lektüre setzt vertiefte Kenntnisse der verhandelten Materien voraus.
Die ersten drei der insgesamt 26 Abhandlungen [3] diskutieren Fragen der Geschichte dreier prominenter römischer Familien im 2. Jahrhundert v.Chr., vielleicht Vorarbeiten für eine geplante Monographie. Vier weitere Studien reagierten möglicherweise auf Momiglianos Kritik (JRS 1940), "The Roman Revolution" hätte sinnvollerweise mit Sullas Dictatur beginnen müssen; sie handeln von der sullanischen und nachsullanischen Epoche. Die folgenden, überwiegend eher kurzen Arbeiten behandeln historische, historiographische und prosopographische Probleme im Umkreis des Sallust-Buches. Eine weitere Gruppe spürt historischen und literaturgeschichtlichen Fragen der 40er-, 30er- und frühen 20er-Jahre nach. Den Schluss bildet das Fragment eines Buches "Rome and Umbria", das von der Eroberung bis in die augusteische Zeit reichen sollte. Auch dieses knapp 60 Seiten umfassende Stück zeigt Symes souveräne Beherrschung der literarischen und inschriftlichen Quellen, seine prosopographische Meisterschaft und seine Kennerschaft hinsichtlich der Topographie; gleichwohl könnte man dieses Thema heute sicher nicht mehr ohne jeden Rekurs auf die archäologischen Befunde bearbeiten.
Ganz im bekannten 'Syme-Sound' gehalten ist die interessante Studie über M. Aemilius Lepidus (93-110). Dessen Aufstieg ins Konsulat des Jahres 78 wird ganz und gar aus den Familien- und Faktionskonstellationen heraus erklärt und zu einer bemerkenswerten Koinzidenz: Während Sulla für seine restaurierte Republik patrizische Konsuln suchte, habe Lepidus gleichzeitig Unterstützung in zurückgefallenen und kompromittierten Nobilitätskreisen sowie bei den Gegnern der Meteller gefunden. Syme trennt den Kandidaten scharf vom Konsul Lepidus (106), aber in seinem Bild römischer Politik kann das Handeln von Letzterem nur schwer erklärt werden. Über die möglichen sozialen Hintergründe des Aufstandes hat Syme wenig mehr zu sagen als einen Satz, der magisch klingt, aber wenig erklärt. [4] Die Leistungen und die evidenten Grenzen des prosopographischen Erklärungsmodells liegen in diesem Stück sehr eng beieinander.
Breiteres Interesse über den Kreis der Syme-Verehrer hinaus kann u.a. die wahrscheinlich 1958 verfasste Studie "How Many Fasces?" (255-271) beanspruchen, wich der Gelehrte doch hier einmal von seiner Geringschätzung des staatsrechtlichen und systematischen Forschungsansatzes seit Mommsen ab. [5] Dessen "Staatsrecht" wird als "a classic achievement, an enduring monument" anerkannt; die Epigonen beschränkten sich dagegen aus "refinements of doctrine, or baroque elaborations" (258). Der Aufsatz verfolgt die originelle Idee, die Qualität des imperium von regulären Amtsträgern und Promagistraten über das Zweite Triumvirat bis hin zu Augustus an der Zahl und Qualität der Liktoren zu messen. Symes Ansicht, "imperium is solid, unitary, indivisible, modified only by the rank of its holder and the sphere of its exercise" (ebd.), bewährt sich im Lichte der aktuellen Diskussion (Drogula; Vervaet) durchaus. Der Aufsatz berührt klassische Fragen wie die Amtsgewalten der Triumvirn und die Stellung von Oktavian/Augustus in den kritischen 20er-Jahren. Mit Recht wird die Konstruktion eines consulare imperium für Augustus ins Reich der Fabel verweisen.
Lesenswert ist auch "Caesar as Pontifex Maximus" (186-196). Syme setzt die Wahl des Jahres 63 zeitlich hinter den Rabiriusprozess und kontextualisiert sie eingehend. Durch das Amt gewann Caesar Prestige und Patronagechancen; zugleich wusste er sehr wohl, dass es für politische Initiative oder Obstruktion nicht (mehr) taugte: "Caesar was scrupulous not to compromise or discredit the dignity of his high sacerdotal office by utilising it for political ends" (194). Dafür gab es nichts her - und wurde es auch nicht gebraucht (195): "To be pontifex maximus is, in itself, irrelevant to monarchy or theocracy."
Die Forschung zur römischen Republik ist seit Syme vielfach andere Wege gegangen, und die Wirkung seines Stils wie seine Deutung des historischen Prozesses entfalten sich eher in den Monographien als in den hier versammelten, nicht selten sehr kleinteiligen Studien. [6] Dennoch sind die Stücke überwiegend lesenswert, belegen sie doch ein wissenschaftliches Ethos, das nie veralten wird. Treffend bilanziert der Herausgeber (14): "Behind the unique elegance ... of Syme's prose, and the clarity and range of his historical vision, there was a humble and relentless engagement with formidably diverse and demanding clusters of material."
Anmerkungen:
[1] Frühere Publikationen aus dem Nachlass waren: Anatolica. Studies in Strabo (Oxford 1995) sowie The Provincial at Rome and Rome and the Balkans 80 BC - AD 14 (Exeter 1999), beide ediert durch A. Birley.
[2] Dazu F. Santangelo: An Unfinished Book by Ronald Syme: The Triumph of Caesarism, in: Quaderni di Storia 79 (2013), 5-31.
[3] Für ein Inhaltsverzeichnis des Bandes s. https://global.oup.com/academic/product/approaching-the-roman-revolution-9780198767060?cc=de&lang=en
[4] 109: "Personal or partisan rivalry now merged in a political struggle and proceedes through revolutionary proposals or actions to a violent issue." Vgl. 110: "Erected on murder and robbery, the Republic of Sulla invited revolution."
[5] Vgl. etwa "The Roman Revolution", Oxford 1939, 321: "Insistence upon the legal basis of Augustus' powers, on precedents in constitutional practice or anticipations in political theory can only lead to schematism and a dreary delusion."
[6] Dazu jüngst C. Pelling: The Rhetoric of The Roman Revolution, in: Syllecta Classica 26 (2015), 207-247.
Uwe Walter