Gad Freudenthal: Science in the Medieval Hebrew and Arabic Traditions (= Variorum Collected Studies Series), Aldershot: Ashgate 2005, 372 S., ISBN 978-0-8607-8952-9, GBP 65,00
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Bei dem in der Reihe ASHGATE VARIORUM erschienen Buch Science in the Medieval Hebrew and Arabic Traditions von Gad Freudenthal handelt es sich um eine Sammlung von 16 Artikeln zur Wissenschaftsgeschichte und Naturphilosophie. Wie in dieser Reihe üblich, ist keiner der Artikel originär; vielmehr bietet das Buch einen Querschnitt durch Freudenthals Forschungstätigkeit der letzten 20 Jahre. Der Schwerpunkt liegt dabei im Bereich des mittelalterlichen Judentums in Südfrankreich, Freudenthal hat sich aber auch intensiv mit Problemen der arabischen Naturphilosophie auseinandergesetzt. Dass hier beide Traditionen in einem Buch vereint sind, bietet die höchst willkommene Möglichkeit, die Behandlung thematisch eng verwandter Fragestellungen durch arabisch-islamische und jüdische Philosophen miteinander zu vergleichen. Die Einbeziehung arabischer Quellen erfolgt dabei nicht nur in den Beiträgen, die unmittelbar dieser Thematik gewidmet sind, sondern bildet gleichsam den Hintergrund einer ganzen Reihe anderer Artikel auch, waren es doch Übersetzungen aus dem Arabischen ins Hebräische, welche dem Schaffen jüdischer Philosophen in Südfrankreich wesentliche Impulse verliehen haben.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil ist mit Science in the Medieval Hebrew Tradition: Socio-Culturel considerations überschrieben und umfasst insgesamt zwei Artikel. Beide Artikel sind dabei der Frage gewidmet, welche Einstellungen in Bezug auf das Studium der Naturwissenschaften und der Philosophie in den jüdischen Gemeinden Südfrankreichs im 12.-14. Jahrhundert herrschten. Von Maimonides zwar empfohlen, jedoch auf die Rolle einer Handlangerin der Religion reduziert, wurde der Philosophie zumeist mit Misstrauen begegnet. Wissenschaften waren vor allem in einem praktischen und anwendungsorientierten Sinn von Interesse. Auch nachdem traditionelle Gelehrte im frühen 14. Jahrhundert einige philosophische Konzepte in ihr Weltbild integriert hatten, blieb ihre Haltung zur Philosophie ambivalent.
Als wichtige Ausnahme ist jedoch Gersonides (1288-1344) zu nennen, ein jüdischer Gelehrter aus Orange, dessen weitgespannte wissenschaftliche Interessen von dem Gedanken getragen waren, dass man sich durch Erkenntnis Gott annähere und so Glückseligkeit erlange. In Teil II des Buches, der den Titel Maimonides, Gersonides and some others trägt, sind ihm daher gleich drei Artikel gewidmet. Interessant ist, eine wie wichtige Rolle sowohl in den Artikeln über Gersonides, als auch in einer Reihe weiterer Artikel aus Teil II und dem Reverberations of Greek Theory of Matter in Arabic and Hebrew überschriebenen Teil III die Astrologie spielt. In sehr luzider und einprägsamer Weise beschreibt Freudenthal, warum der Glaube an eine natürliche Astrologie selbstverständlich zum mittelalterlichen Weltbild dazugehört hat (III, 77-84 und VI, 65-67). Wie Freudenthal vor allem in "Levin ben Gershom as a Scientist: Physics, Astrology and Eschatology" (VI) darlegt, ging Gersonides dabei so weit, dass er an einen astralen Determinismus glaubte und sich selbst als Astrologe betätigte. Zugleich sah er jedoch die Willensfreiheit des Menschen dadurch nicht eingeschränkt, da zwar das Temperament eines Menschen durch astrale Gegebenheiten bestimmt wird, er jedoch auch entgegen seiner Disposition handeln könne.
Dass im Mittelalter nicht diejenigen, die an Astrologie glaubten, sondern diejenigen, die sie ablehnten, in Erklärungsnot gerieten, beschreibt Freudenthal anschaulich in "Maimonides' Stance on Astrology in Context: Cosmology, Physics, Medicine and Providence" (III). Tatsächlich findet sich bei Maimonides keine theoretische Zurückweisung der Astrologie, da er ihre aristotelischen Grundlagen akzeptierte. Maimonides glaubte also an einen Einfluss der Himmelskörper, hielt es aber nicht für möglich, diesen zu beobachten. Mit einer solchen Haltung stand er in der Tradition arabischer Philosophen wie al-Fārābī und Ibn Sīnā, deren Kritik an der Astrologie sich ebenfalls an der Frage, inwieweit astrale Einflüsse beobachtet und zur Prognostik genutzt werden können, entzündete.
Mit der Rolle der Astrologie und ihrem Verhältnis zur aristotelischen Naturphilosophie befassen sich auch die letzten beiden Artikel von Teil III: "The Medieval Astrologization of Aristotele's Biology: Averroes on the Role of the Celestial Bodies in the Generation of Animate Beings" (XV) und "Providence, Astrology, and Celestial Influences on the Sublunar World in Shem-Ṭov ibn Falaquera's De'ot ha-filosofim. " (XVI) Die Gegenüberstellung dieser beiden Artikel ist insofern sehr interessant, als Falaqueras Gedanken stark von Averroes beeinflusst sind, und man diesen Einfluss anhand einer Untersuchung derselben Fragestellung bei beiden Autoren sehr gut nachvollziehen kann. Dabei geht es jeweils um die Astrologisierung des Aristotelischen Weltbilds. Da Aristoteles eine strikte Trennung zwischen der Oberen Welt und der Sublunaren Welt angenommen hatte, ließen sich astrale Einflüsse auf Werden und Vergehen eigentlich mit einem Aristotelischen Weltbild nicht erklären. Genau dies geschah jedoch, indem man annahm, dass das reflektierte Licht der Himmelskörper mittels einer göttlichen Kraft Wärme produziert. Diese Vorstellung, die bei Averroes zu finden ist, spiegelt die damalige Weltanschauung.
Unter den übrigen Beiträgen, die sich zum Teil mit stoischem Gedankengut in mittelalterlichen jüdischen Schriften (XIII, XIV) oder der Identifikation von Autoren (VIII, IX) widmen, möchte ich nur noch eine Studie besonders hervorheben: "Chemical Foundations for Cosmological Ideas: Ibn Sīnā on the Geology of an Eternal World." (XII) Auch dieser Artikel befasst sich mit einem bei Aristoteles ungeklärten Problem, nämlich der Frage, wie es zur Bildung von Steinen und Gebirgen kommt. Diese Frage war deswegen so relevant, weil Aristoteles angenommen hatte, dass die Elemente mithilfe von Wasser zusammenhaften. Steine sind aber trocken. Es war folglich schwierig, ihre Existenz bzw. Entstehung zu erklären, ein Problem, dass dadurch zusätzliche Brisanz erhielt, dass Steine erodieren. Sollten also keine Steine neu gebildet werden, müssten irgendwann alle Steine wegerodiert sein, und die Elemente vier konzentrische Sphären bilden. Dies aber würde eindeutig gegen eine Ewigkeit der Welt sprechen. Erst die Vorstellung einer nicht verdunstenden, öligen Flüssigkeit, wie sie sich bei Ibn Sīnā findet, konnte dieses Problem lösen: bei der Petrifikation, so nahm man nun an, verdampfte aus der Mischung von Erde mit Flüssigkeit nur der wässrige Anteil, während die ölige Flüssigkeit zurückblieb und die Erde zusammenhielt. - Gerade in dieser Studie zeigt sich die besondere Meisterschaft Freudenthals darin, ein Problem erst prägnant zu benennen, und dann verschiedene Lösungsansätze so zu beleuchten, dass sie sich auch demjenigen, der sich noch nie zuvor mit dieser Frage beschäftigt hat, leicht erschließen.
Insgesamt also ein sehr lesenswertes Buch für alle, die sich mit Wissenschaftsgeschichte und Naturphilosophie in der arabischen und hebräischen Tradition beschäftigen. Mag auch die Auswahl des ein oder anderen Artikels nur für ein spezialisiertes Publikum von Interesse sein (VII, VIII, IX), so zeigt der Vergleich mit der mitgegebenen Bibliographie Freudenthal (xiii-xix) doch, dass es sich um eine sehr repräsentative Auswahl seiner Schriften handelt. Ein Vorwort des Verfassers und ein kurzer Namensindex runden dieses schöne Buch ab.
Eva Orthmann