Evelyn Zegenhagen: "Schneidige deutsche Mädel". Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945 (= Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte. Neue Folge; Bd. 22), Göttingen: Wallstein 2007, 504 S., ISBN 978-3-8353-0179-5, EUR 42,00
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Zegenhagens Studie räumt mit etlichen Vorurteilen auf: Fliegende Frauen waren, obgleich eine kleine Gruppe, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weder die absolute Ausnahme noch die Krönung der weiblichen Emanzipation. Allerdings bewegten sich in Deutschland die geschätzten "einhundert motorfliegenden und viele Hunderte, vermutlich Tausende segelfliegender Frauen" (9) auf einem männlich dominierten Terrain von Sport, Technik und Militär. Es ist diese Konstellation, die die Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945 aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive so spannend macht. Deshalb spürt Evelyn Zegenhagen der wissenschaftlich bislang wenig beachteten flugsportlichen Betätigung von Frauen [1] nach und fragt nach deren Beitrag für Politik und Gesellschaft in der Weimarer Republik und im 'Dritten Reich': In einer Zeit, in der die zivile und kommerzielle Luftfahrt einen imposanten Aufschwung erlebte, in der es aber auch vereinzelt zum Einsatz deutscher Pilotinnen im Zweiten Weltkrieg kam.
Die Autorin wählt für ihre Studie, die 2006 an der Universität der Bundeswehr in München-Neubiberg als Dissertation angenommen wurde, die "Form einer kollektiven Biographie" (9), die das Leben und Wirken von 180 deutschen Motor- und Segelfliegerinnen zusammenführt. Die Quellengrundlage hierfür ist breit, zum Teil aufwendig aus einer Vielzahl von Archiven und aus privater Hand recherchiert und besteht vor allem aus Sammlungen und Nachlässen von Fliegerinnen, Zeitzeugen- und Experteninterviews sowie aus zeitgenössischen Bild-, Ton- und Presseerzeugnissen, etwa Fotografien, Kinofilmen oder Artikeln aus Flugsport-Periodika.
Aus diesem Material entstand eine gehaltvolle Studie, die zum einen frauengeschichtlichen Ansätzen folgt und weitgehend unbekannte und vergessene historische Akteurinnen aus dem Dunkel der Vergangenheit holt. Deutlich wird dies bereits an den mehrseitigen Porträts von zwölf Pilotinnen und den rund 70 Kurzbiografien, die die thematisch aufgebaute Arbeit ergänzen. Zum zweiten verdichtet Zegenhagen die individuellen Lebenswege zu einer aufschlussreichen Auseinandersetzung mit den Motiven, Bedingungen und Wirkungsmöglichkeiten deutscher Sportfliegerinnen unter den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten des Untersuchungszeitraums. Dazu macht die Historikerin zunächst einen internationalen Referenzrahmen auf, indem sie einen kurzen Überblick über die Geschichte der Frauenluftfahrt in den USA, Großbritannien und der Sowjetunion gibt.
Die Situation in Deutschland wird im Folgenden ausführlich anhand dreier Aspekte behandelt: der wirtschaftlichen Situation und den beruflichen Chancen motorflugbegeisterter Frauen, den Zusammenhängen von gesellschaftlichen Frauenbildern und der (Selbst-) Darstellung der Fliegerinnen und der politischen Dimension der weiblichen Luftfahrt. Ein gesondertes Kapitel ist den Segelfliegerinnen und Frauensegelfluggruppen gewidmet. Abgerundet wird die Untersuchung durch einen umfangreichen Anhang, der dem Leser vor allem mittels Kurzbiografien und einer Übersicht über die unterschiedlichen Klassen der Pilotenscheine die Orientierung erleichtern soll.
Zegenhagen fördert zutage, dass die Fliegerinnen zwar vom Emanzipationsschub nach dem Ersten Weltkrieg profitierten, allerdings selbst "keinen aktiven Beitrag" leisteten, um das emanzipatorische Selbstverständnis der Frauen weiterzuentwickeln (238) und schließlich nicht zuletzt aufgrund der nationalsozialistischen Geschlechterideologie zurückgedrängt wurden. Die Historikerin weist zudem überzeugend die "starke Politisierung der flugsportlichen Betätigung in Deutschland" (327) seit den 1920er und noch verstärkt in den 1930er Jahren nach, durch die Vorstellungen von sportlicher Leistung, nationaler Geltung und, zumindest wenn Frauen den Steuerknüppel führten, weiblichen Tugenden miteinander verbunden wurden. Viele Pilotinnen hätten aber "entscheidende Teile der Realität - wie Geschlechterungleichheit und Diskriminierung, politische Manipulation und staatliches Aggressionspotential" (327) ausgeblendet.
Zegenhagen ist bestrebt, ihren Protagonistinnen mit Blick auf das Umfeld, das zweifellos männlich und patriarchal geprägt war, als Randgruppe gerecht zu werden. Gleichzeitig scheint sie sich aber auch gegen (feministische) Ansätze zu wehren, die dazu neigen, die auf so außergewöhnlichem Gebiet tätigen Frauen als Vorreiterinnen der Emanzipation darzustellen. Bisweilen unterliegt die Autorin allerdings selbst dem Faszinosum fliegender Frauen, wenn sie allzu scharf durch die Genderbrille blickt und zu der Schlussfolgerung kommt, dass "einzig und ausschließlich das Geschlecht" die Identität der Fliegerinnen bestimmt habe (431). Ein solch eindeutiges Urteil erscheint doch etwas verkürzt und hätte des Vergleichs mit einer ähnlich gelagerten Studie über männliche Piloten bedurft. Deren Fehlen ist indes keineswegs Zegenhagen anzulasten, die sich ganz im Gegenteil mit Akribie und profunder Quellenkenntnis einem Desiderat der Forschung an der Schnittstelle von Frauen-, Sport-, Technik- und Militärgeschichte angenommen hat.
Anmerkung:
[1] Eine erfreuliche Ausnahme bildet der als Sammelband konzipierte Ausstellungskatalog des Zeppelin Museums Friedrichshafen (Hg.): Frau und Flug. Die Schwestern des Ikarus, Marburg 2004.
Elisabeth Zellmer