Karl Stankiewitz: München '68. Traumstadt in Bewegung, München: Volk Verlag 2008, 230 S., ISBN 978-3-937200-46-0, EUR 19,00
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Das Jahr 2008 neigt sich seinem Ende zu - und mit ihm das 40. Jubiläum von "1968", das in den Medien mit einer Flut von Betrachtungen und Erinnerungen begangen wurde. Auch Karl Stankiewitz ist einer, der dabei gewesen ist. Er arbeitete in den 1960er Jahren als Korrespondent für Presse und Rundfunk in München. Durch seine journalistische Arbeit hat Stankiewitz den Protest hautnah miterlebt und konnte manche Innenansicht der bayerischen Politik gewinnen. Seine damaligen Texte sind - ergänzt um einige Recherchen in Münchner Archiven - nun in ein Buch über das "Jahr des Umbruchs und des Aufbruchs" (9) eingeflossen. "1968" ist also auch hier weit mehr als eine Jahreszahl, sondern steht für das Protestgeschehen am Ende des Jahrzehnts, dem der Autor bisweilen mit großer, wenn auch nicht unkritischer Bewunderung begegnet, wenn es etwa heißt, dass er als Journalist "klammheimlich[e] Sympathie" empfunden habe "für die kreative Kampfweise, für einige der erklärten und selten erreichten Ziele" (44).
Das, was in München in Bewegung geraten war, beleuchtet Stankiewitz unter den Aspekten Studenten, Polizei, Jugend, Vorbilder, Parteien, Medien, Theater, Film, Kunst, Kirche, Mode und Bauen. Im Mittelpunkt steht der Verlauf des Jahres 1968, weshalb Vorgeschichte und Nachwirkungen auf die Jahre 1967 und 1969 beschränkt sind und nur wenige Seiten umfassen. Ergänzt wird die Darstellung durch viele Bilder und Zeitungsausschnitte. In den einzelnen Kapiteln kommen immer wieder Zeitzeugen zu Wort, die ihre heutige Sicht der Dinge schildern. Es handelt sich dabei zumeist um prominente Zeitgenossen wie den damaligen Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD), den damaligen bayerischen Innenminister Bruno Merk (CSU) oder den Kabarettisten Dieter Hildebrandt.
Stankiewitz' Ansatz zeigt, dass "1968" mehr war als die Unruhe unter den Studenten, auch wenn diesem Punkt besondere Bedeutung zugemessen wird. In den Texten dominieren - ganz journalistischen Grundsätzen entsprechend - Menschen und spektakuläre Ereignisse: die Osterunruhen, die in München zwei Todesopfer forderten, Fritz Teufel, der Kommunarde mit bayerischen Wurzeln, die Polizeistrategien beim Umgang mit Demonstrationen und Demonstranten, kritische Töne auf dem CSU-Parteitag, der Theater- und Filmemacher Rainer Maria Fassbinder oder der Bau von Einkaufszentren. Dieses Panoptikum ist ebenso anregend wie spannend zu lesen und entfaltet die Reichhaltigkeit einer urbanen Lebenswelt zwischen Protest, Politik und Kultur.
Aus wissenschaftlicher Sicht stellen sich aber weitreichendere Fragen an "1968", die dieses Buch naturgemäß nicht beantworten kann: etwa nach den gegenseitigen Einflüssen und Wechselwirkungen zwischen dem jugendlichen Ungehorsam und dem sogenannten Establishment oder nach den langfristigen Ursachen und Nachwirkungen der Protestbewegungen, die bei Stankiewitz höchstens zwischen den Zeilen anklingen. Das hier besprochene Buch bringt eine wohlmeinend-tragische wie gängige Interpretation gleich in der Einleitung auf den Punkt: "Reformstau, Revolte, Randale - und Resignation" (9). Die einzelnen Beiträge dokumentieren für ein breites Publikum ein Stück lebendige Zeitgeschichte: reportageartig, mit viel Lokalkolorit und journalistisch griffig. Nicht mehr, und vor allen Dingen: nicht weniger.
Elisabeth Zellmer