Abdullahi A. Gallab: The First Islamic Republic. Development and Disintegration of Islamism in the Sudan, Aldershot: Ashgate 2008, ix + 183 S., ISBN 978-0-7546-7162-6, GBP 55,00
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Die Jahre von 1989 bis 1999, als Hasan al-Turabi die zentrale Figur der sudanesischen Politik war, sind für den Autor Abdullahi Gallab "die erste islamistische Republik", der erste islamistische Staat überhaupt. Entgegen der Selbstwahrnehmung der islamistischen Bewegung, die sich als etwas gänzlich Neuartiges erlebt, und dem Tenor der Forscher und Journalisten, die laut Gallab al-Turabi's Herrschaft entweder als ein weiteres Militärregime ansehen, die Klassifikation als islamisch fundamentalistische Organisation für das Wesentliche halten, oder nicht mehr darin erkennen können als die Partei der Nationalen Islamischen Front, möchte Abdullahi Gallab auf die spezifischen Eigenschaften der ersten islamischen Republik hinweisen, die sie von anderen Regimen und Organisationen unterscheiden, und die Abhängigkeit der islamistischen Bewegung von sozialen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen im Sudan demonstrieren, um sie so verorten zu können als Teil einer "complex Sudanese existential socio-political experience" (13).
Neben zahlreichen theoretischen Anknüpfungen - von Lenin über Robertson und Foucault zu Dahrendorf, Gramsci und vielen mehr - zieht Gallab Interviews mit zentralen Figuren der islamistischen Bewegung und die Werke mehrerer arabischsprachiger Autoren heran, die die islamistischen Diskurse der letzten Jahrzehnte im Sudan geprägt haben. Die Entstehung und formative Entwicklung der islamistischen Bewegung, die Vorgeschichte ihrer Machtergreifung und die Gründe für das Scheitern von al-Turabi's islamistischen Projekt beleuchtet der Autor aus verschiedensten Perspektiven und immer eingebettet in einen weiteren Kontext.
Er setzt an bei den großen Entwicklungslinien. Die Herausbildung einer lokalen Identität, Grundmuster des staatlichen Handelns und der Gewalt beschreibt er als Reproduktionen von Folgen der Arabisierung und Islamisierung seit dem 15. Jahrhundert, des Verhältnisses zwischen Peripherie und islamischen Kernländern sowie Eroberungen und Sklavenhandel. Das Milieu, aus dem die Islamisten sowie die anderen Machtblöcke des 20. Jahrhunderts entstehen, die urbane Elite nämlich, ist bei Gallab ein Produkt der sozio-politischen Entwicklungen der Kolonialzeit, ihrer Institutionen und Wirtschaftspolitik. Von der einstigen Stütze des Kondominiums wandelt sich diese Allianz aus aufstrebender Mittelklasse, Bildungselite, religiöser Führung und städtischer Wirtschaft zum Träger des sudanesischen Nationalismus. Hier verortet der Autor die Anfänge der islamistischen Bewegung, die sich sowohl aus einem anfänglichen Einfluss der ägyptischen Muslimbruderschaft als auch aus den Diskursen des Nationalismus speist. Es sind die Wurzeln in der auf Modernisierung erpichten urbanen Mittelschicht, die laut Gallabs Definition wesentlich sind für den Islamismus, und die den "ersten islamistischen Staat" im Sudan von der klerikal dominierten Theokratie im Iran unterscheiden.
Gallab spannt ein weites Netz von Überlegungen und Interpretationen auf, um die Entwicklung der Islamisten von einer ägyptisch geprägten, auf Islamisierung von unten ausgerichteten Organisation in den 1940ern, zu einer Partei in den 1960ern, deren westlich gebildete Führung auf die Strategie der Machtergreifung und der Islamisierung von oben setzt, und schließlich zu einem totalitären Regime in den 1990ern zu fassen. Zu den Grundgedanken, die Gallab hierbei entwickelt, gehört die Eskalation der Gewalt zwischen den politischen Machtblöcken und zwischen Staat und Bevölkerung, die Transformation der islamistischen Bewegung in eine "corporation" durch das Aufkommen des islamischen Bankensystems und die nationale Aussöhnung (91) und die Dynamik der Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und Islamisten seit den 1950ern. Auch hier eskaliert die Gewalt, bis sich beide Seiten in einem Zustand der aufgeschobenen Vernichtung durch den anderen wähnen. Und durch die Konkurrenz um die Zustimmung der gleichen Gesellschaftsgruppen und die Bildung von Parallelorganisationen lernt das islamistische Lager von der Organisation und Taktik der Kommunisten, die Partei als das zentrale Instrument anzusehen, um "von außen", das heißt über den Staat, in Beziehung zu allen Gesellschaftsschichten zu treten (57).
Diese Entwicklungen zeichnet Gallab auch in den islamistischen Diskursen nach. Für die Beschreibung der Herrschaft al-Turabi's knüpft er an Totalitarismustheorien an und bezieht sie auf islamistische Ideologien von Mawdudi bis al-Turabi. Hier greift er noch einmal die wichtigsten erworbenen Merkmale der Bewegung auf, deren Abhängigkeit von den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte schon bewiesen wurde, und demonstriert ihre Auswirkungen in den Jahren 1989-1999, namentlich Staatsterror und ein totalitärer Anspruch.
Mit seiner Absetzung 1999 endet al-Turabi's islamistisches Projekt und für Gallab auch die islamistische Republik. Zur Erklärung dieser Auflösung hält er das politische Element für überbewertet und geht stattdessen auf den religiösen Widerstand, den der Staatsbürokratie und der Medien ein, die die Aufspaltung des islamistischen Lagers zur Folge haben.
In seinen Hauptaussagen überzeugt Abdullahi Gallab's Buch und es gelingt ihm, ein vielschichtiges Bild der Entstehung, Entwicklung und des Scheiterns der islamistischen Bewegung unter Führung Hasan al-Turabi's zu zeichnen. Und seine theoretischen Anknüpfungen bieten reichlich Grundlage für künftige Diskussionen.
Die Schwachpunkte des Buches sind stilistischer Natur. Einerseits beleuchtet Gallab zahlreiche Facetten seines Forschungsgegenstandes, hat aber gleichzeitig die Tendenz, in jedem Aspekt möglichst erschöpfend das Gesamtbild wiederzugeben. Das führt zu einer hohen Redundanz, weil er seine Hauptaussagen wieder und wieder in teils ähnlichen, teils identischen Formulierungen über das Buch verteilt wiederholt. Dadurch werden Kapitel, Argumentationen und Sätze überladen mit thematischer Information und es fällt schwer, die an der jeweiligen Stelle relevante neue Information zu filtern. Das ist umso bedauerlicher, als sein Buch viele neue Ansätze liefert, die den Forschungsstand mit Sicherheit bereichern können. Die Dynamik der Auseinandersetzung zwischen Islamisten und Kommunisten etwa ist bislang nicht eingehend untersucht worden. Formale Schönheitsfehler sind die inkonsistente Umschrift [1] und der an wenigstens einer Stelle unklare Bezug auf den Forschungsstand (18).
Gallab's "The First Islamist Republic" ist also aus stilistischen Gründen keine leicht verdauliche Kost, doch lohnt sich der Aufwand, denn es ist ein gedankenreiches Buch, das die Diskussion und Forschung zum Islamismus im Sudan beleben wird, und seinem Anspruch, der islamistischen Bewegung ihren Sitz im Leben zuzuweisen, überzeugend nachkommt.
Anmerkung:
[1] Zum Beispiel: "...Hussni al jaban wa naqiem al-azzan fi alfatican" (16), "al-My'tamar as-sha'bi al-Islami" (17). "wuhadat al-quwa al-wataniyya" (68), "al-Harakat al-Qawmiyyah li Tashih al-Awdaa" (77), "Maqalat 'an al-Harkaa al-Islamia fi l-Sudan" (99).
Björn Bentlage