Lutz Edzard / Janet Watson (eds.): Grammar as a Window onto Arabic Humanism. A Collection of Articles in Honour of Michael G. Carter, Wiesbaden: Harrassowitz 2006, 264 S., ISBN 978-3-447-05444-7, EUR 64,00
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Es gibt Leute, die mögen Festschriften. Und es gibt Leute, die mögen Festschriften nicht. Die hier vorliegende Festschrift versammelt zehn Beiträge von dreizehn Autoren, die an die Forschungs- und Lehrinteressen von Michael G. Carter anknüpfen oder von ihm inspiriert wurden. Kernthema ist die arabische Grammatik und die Beiträge, wie die eindrucksvolle Bibliographie des Geehrten selbst, illustrieren die Vielfältigkeit des Bereichs.
Ein Schwerpunkt des Bandes ist die Geschichte der arabischen Grammatikschreibung; allein drei Beiträge lassen sich dieser Kategorie zuordnen. Ihnen gemein ist, dass sie an den Rändern der etablierten Grammatiktraditionen ansetzen, also Ausnahmen und Sonderfälle untersuchen. So tragen sie zum besseren Verständnis auch des Mainstreams bei und geben Impulse, das bisherige Bild stellenweise zu überarbeiten. Denn dass dieses Bild lückenhaft ist und durch weitere Edierungen ergänzt werden muss, machen die drei Artikel hinreichend deutlich.
Die Beiträge von Ramzi Baalbaki und Kees Versteegh widmen sich beide dem Genre des "ta'līl", der theoretischen Erklärung grammatischer Phänomene, und stellen bisher unbekannte oder wenig beachtete Werke des 4./10. Jahrhunderts vor. Baalbaki diskutiert das 1987 edierte Daqā'iq at-Taṣrīf des Abū l-Qāsim ibn Muḥammad ibn Sa'īd al-Mu'addib. Ungewöhnlich an diesem Buch ist zum einen seine inhaltliche Ausrichtung auf die theoretischen Erklärungen, die "Ursachen" ('illa, 'ilal) morphologischer Formen, die in dieser Ausführlichkeit ein Novum darstellt, und zum anderen seine ungewöhnliche und teilweise unbekannte Terminologie. Diese stellt Baalbaki systematisch vor, verortet den Autor anhand der von ihm gebrauchten bekannten Terminologien in Beziehung zu den großen Grammatikschulen und legt dar, warum es sich bei den unbekannten Fachbegriffen wohl nicht um Neuprägungen handelt. Schließlich legt er nahe, dass sich in den Daqā'iq des al-Mu'addib die Spuren einer bisher unbekannten Grammatiktradition bewahrt haben, einer spezifisch morphologischen Tradition, die der theoretischen Erklärung dieses Teilgebiets größere Aufmerksamkeit gewidmet hat als die bisher bekannten Grammatikschulen.
In Kees Versteeghs Beitrag geht es um die verschiedenen Abstraktionsebenen, auf denen Erklärungen für grammatische Phänomene gegeben werden können. Niederschwellige Erklärungen sind fester Bestandteil vieler Grammatikwerke, "'ilal" der dritten, der spekulativen Abstraktionsstufe waren bisher einem einzigen Autor, az-Zaǧǧāǧī, vorbehalten. Versteegh stellt nun eine Arbeit des aus dem 4./10. Jahrhundert stammenden Grammatikers Abūl l-Ḥasan Muḥammad ibn 'Abdallāh al-Warrāq vor, der sich eben diesen abstrakten Überlegungen widmet. Versteegh führt gut verständlich in das Thema ein, präsentiert die Argumentationen Ibn al-Warrāqs am Beispiel der Partikel "inna" und zieht den Vergleich zu az-Zaǧǧāǧī, dessen Interesse philosophischer und weniger strikt grammatisch ist als bei Ibn al-Warrāq. Obwohl die 'ilal-Werke beider Autoren Randerscheinungen der Grammatikschreibung sind, ermöglichen sie doch ein besseres Verständnis, weil sie in das Umfeld wichtiger Innovationen der Grammatikschreibung im 4./10. Jahrhundert fallen. Diese betrafen unter anderem die Analyse der genannten Partikel (und anderer) als ein Rektion ausübendes Element und schließen so an al-Warrāqs Argumentation an.
Im dritten Beitrag (dem vierten des Bandes), den ich dem Schwerpunkt Geschichte der Grammatikschreibung zuordne, wendet sich Adrian Gully einer weiteren Randerscheinung zu: der Überlappung der Bereiche Grammatik auf der einen Seite sowie Rhetorik und Stilistik (bayān) auf der anderen, in der er eine Fortsetzung der Philosophie innerhalb der arabischen Tradition sehen will. Während Grammatik zumeist als stark spezialisierte Disziplin erscheint, interessiert sich Gully für eine kleine Gruppe von Grammatikern, die in ihrer Betrachtung der Syntax auch stilistische und rhetorische Erwägungen einbezogen, sowie die Perspektive von Gelehrten des "bayān" auf Grammatik. Durch den Vergleich der Schriften zweier Protagonisten dieser beiden Lager - des Grammatikers Ibn Hišām (8./14. Jahrhundert) und des Beamten und Literaturkritikers Ibn al Aṯīr (5./12.-6./14. Jahrhundert) - hebt Gully hervor, wie stark die Disziplin der Grammatik in die vormoderne Textkultur der Eliten, den "adab", eingebunden war. Trotz der unterschiedlichen Hintergründe und Disziplinen beider Autoren kann er eine Reihe von Gemeinsamkeiten in ihrer Sicht auf den Stellenwert und die Funktion der Grammatik sowie ihre narrativen und polemischen Techniken finden, die die These einer humanistischen, vormodernen Textkultur des adab unterstützen.
Jenseits dieses Schwerpunkts wird es schwierig, Zusammenhänge zwischen den verbliebenen Beiträgen zu finden; sie sind thematisch weit gestreut: Yasir Suleiman analysiert eine aktuelle ideologische Debatte über Sprachreform in Ägypten und legt charakteristische Muster des gängigen Diskurses über das Arabische dar. Ronak Husni und Janet C.E. Watson berichten aus der Unterrichtspraxis und stellen typische Fehler von Arabischlernern mit englischer Muttersprache zusammen. James Dickins liefert eine morphologische Analyse von Verben im Sudanesischen Arabisch. Aus einer bestechenden Definition der Kategorie Morphem leitet er das Konzept der "verb base" ab, das er zum Vergleich der Verbalsysteme des klassischen Arabisch und des sudanesischen Dialekts nutzt; das führt Dickins zu einigen Beobachtungen, die für das linguistische Verständnis des Arabischen insgesamt von Bedeutung sind - genau wie seine Definitionen von "Morphem" und "Allomorph".
Weitere Themen sind Euphemismen in der arabischen Literatur, die Authentizität zweier al-Farābī zugeschriebener Texte unter Einbeziehung zeitgenössischer Diskussionen zur Sprachvollkommenheit des Arabischen, der mögliche zweiradikalige Kern heutiger arabischer Wurzeln und die Bedeutung des syrischen Fragments und der arabischen Übersetzung zur Klärung der Poetik des Aristoteles.
Alles in allem ist dieser Band eine gelungene Festschrift, weist aber auch die typischen Schwächen dieser Gattung auf. Ein weites Feld von Themen und Ansätzen stellt sich in teilweise äußerst lesenswerten Beiträgen dar, deren Qualität eine Anschaffung des Buches rechtfertigt. Und dass sie alle an die Arbeiten Michael G. Carters anknüpfen oder von ihm inspiriert sind, ist tatsächlich eine Ehrung wert. Doch wird mancher Leser nur an einzelnen Artikeln interessiert sein, weil die thematische Streuung sehr weit ist, und das im Titel der Festschrift proklamierte Konzept des arabischen Humanismus losgelöst wirkt vom Gros der Beiträge.
Björn Bentlage