Rezension über:

Caroline Humfress: Orthodoxy and the Courts in Late Antiquity, Oxford: Oxford University Press 2007, xiv + 344 S., ISBN 978-0-19-820841-9, USD 150,00
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Rezension von:
Hartmut Leppin
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Hartmut Leppin: Rezension von: Caroline Humfress: Orthodoxy and the Courts in Late Antiquity, Oxford: Oxford University Press 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 11 [15.11.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/11/14400.html


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Caroline Humfress: Orthodoxy and the Courts in Late Antiquity

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Es ist schon lange communis opinio, dass das spätantike Römische Reich keineswegs ein erstarrter Staat war, und dennoch ist man immer wieder überrascht, wie beweglich diese Gesellschaft war. Eine solche Erfahrung lässt einen auch die Lektüre von Humfress' Arbeit machen, die ein zentrales Thema an der Grenze zwischen Rechtsgeschichte, Theologiegeschichte und allgemeiner Geschichte behandelt: die Rechtspraxis im spätantiken Reich. Sie zielt auf die Argumentationsweise vor Gericht, die viele Kirchenleute prägte und damit auch beeinflusste, wie sie über Häresie und dergleichen sprachen. Das Buch geht so der Frage nach, wie das Römische Recht, dessen Schriftform wohlbekannt ist, in der Praxis ausgestaltet und weiterentwickelt wurde.

Die Arbeit gliedert sich in drei Hauptteile. Zunächst geht es um die Praktiker bei Gericht (forensic practitioners) und deren Rolle bei der Weiterentwicklung des Römischen Rechts. Humfress verteidigt die Advokaten der Zeit, die trotz der Polemik von Gestalten wie Libanios nicht schlechter gewesen seien als zuvor, die auch weiter eine rhetorische Ausbildung besessen hätten. Vor allem fragt sie, welche Bedeutung dies für den Umgang mit dem Recht hatte, dessen Ausdeutung in die jeweilige rhetorische Strategie eingebunden blieb. Neben den Advokaten blieben, wie sie zeigt, die Rechtsexperten wichtig. Allerdings weist Humfress auch auf einen wesentlichen Unterschied zur hohen Kaiserzeit hin: Die führenden Juristen waren seit dem 4. Jahrhundert anders als zuvor nicht mehr unabhängige Lehrer, sondern immer mehr Teil der kaiserlichen Bürokratie. Zudem seien gerade die Beamten immer stärker auch juristisch ausgebildet worden. Der wichtigste Ertrag des Abschnittes ist aber, dass sehr deutlich wird, wie groß die Handlungsspielräume waren, die die Gerichte bei der Weiterentwicklung des Rechts hatten, und wie sich das auf die kaiserliche Gesetzgebung auswirkte, die darauf reagierte und nach dieser Deutung weitaus weniger abgehoben erscheint, als oft vermutet wird.

Der zweite Hauptteil nimmt die Christen in den Blick. Auch viele von ihnen, gerade einflussreiche Christen, hatten eine gründliche rechtliche Ausbildung. Zwar sei die Frage nach der Vereinbarkeit von Christentum und forensischer Rhetorik zunehmend gestellt worden, doch sei dieser Zusammenhang in vielen Fällen bestehen geblieben, sodass eine große Zahl von Bischöfen und Mönchen einen juristische Hintergrund hatten und der innerkirchliche Diskurs, zumal bei Konflikten, durchaus von forensischen Argumentationsmustern geprägt war - auch wenn Humfress nicht bestreitet, dass die spirituelle Autorität der Bischöfe von herausragender Bedeutung war und gerade der ungebildete Bischof in der Spätantike großes Ansehen genießen konnte.

Mit dem dritten Hauptteil untersucht Humfress, wie sich unter solchen Voraussetzungen die Häretiker-Gesetzgebung entwickelt hat. Das ist einerseits eine Fallstudie, andererseits liegt hier ein ganz wesentlicher Gewinn der Studie. Humfress wehrt sich dagegen, die Häretiker-Gesetzgebung zu ausschließlich als einen Ausfluss des kaiserlichen Willens zu sehen. Sie fragt danach, wie sie zustande kam und vor allem - hier betritt sie ein erstaunlicherweise kaum behandeltes Feld - wie sie in der Praxis umgesetzt wurde. Damit erörtert sie auch, wie das Römische Recht dazu beitrug, die Orthodoxie des spätantiken Reiches zu schaffen. Angesichts dieser Deutung, die die Interaktion zwischen Rechtsdenken und dogmatischer Entwicklung fokussiert, verliert die Eigendynamik theologischen Denkens an Bedeutung - eine spannende Herausforderung für die weitere Forschung.

Die Darstellung ist plastisch, da immer wieder einzelne Episoden, wie sie in literarischen Quellen, auf Papyri oder anderweitig geschildert sind, eingehender interpretiert werden. Zudem wird immer erkennbar, wie breit der intellektuelle Horizont der Autorin ist, die nicht nur ihr Spezialgebiet überschaut. Kurzum, ein gelungenes Buch, das einmal zu Recht das Prädikat "innovativ" für sich in Anspruch nehmen kann - und das übrigens auch die gesamte internationale Literatur im Blick hat.

Hartmut Leppin