Andreas Malycha / Peter Jochen Winters: Die SED. Geschichte einer deutschen Partei (= Beck'sche Reihe; 1944), München: C.H.Beck 2009, 480 S., ISBN 978-3-406-59231-7, EUR 16,95
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Obwohl in den letzten zwanzig Jahren unzählige Forschungsvorhaben zu den unterschiedlichsten Aspekten der SED-DDR-Geschichte realisiert und ihre Ergebnisse publiziert wurden, hat die Geschichte der DDR-Staatspartei - der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) - bisher keine ihrer Bedeutung angemessene Aufmerksamkeit gefunden. Mit der nun vorgelegten ersten Gesamtdarstellung über die Geschichte der SED wird ein wichtiger Schritt unternommen, dieses Themenfeld eingehender zu erforschen, was insbesondere für den Zeitraum von 1961 bis 1989 gilt.
Die beiden Autoren der Studie, der in der DDR sozialisierte Historiker Andreas Malycha (Jahrgang 1956) und der westdeutsche Journalist und jahrelange Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Peter Jochen Winters (Jahrgang 1934) haben sich die chronologische Darstellung der Geschichte der SED aufgeteilt: Malycha widmet sich der Parteigeschichte der "Ära Ulbricht", also von 1945/46 bis 1971, und Winters verfasst die Abschnitte zur "Ära Honecker" bis zum Herbst 1989 und den Weg der SED über die PDS zur Partei "Die Linke" im Jahr 2008.
Malycha und Winters stellen in den Mittelpunkt ihres Buches "Gründung, Entwicklung, Wandel und Niedergang einer ideologisch geprägten, diktatorisch handelnden politischen Partei", die in Ostdeutschland "mittels der sowjetischen Besatzungsmacht zur alleinigen Herrschaft über die von ihr umgestaltete Gesellschaft und das von ihr etablierte Staatswesen aufstieg." (9) Ihr Interesse gilt einer Partei, "der es weder durch zaghafte Liberalisierungsversprechen und soziale Zugeständnisse noch durch Repressionen gelang, unter den Bedingungen der deutschen Teilung und der Attraktion westlicher Lebensweise nachhaltig Zustimmung oder gar Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen." (13) Naturgemäß wird die SED-Parteigeschichte auch zur Gesamtgeschichte der DDR, sodass die Studie immer auch wichtige Aspekte der ostdeutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik, Bildungs- und Kulturpolitik sowie der Deutschlandpolitik mitliefert. Das Hauptaugenmerk aber richten die Autoren auf das "Innenleben" und die "gesellschaftliche Stellung" der SED; sie beleuchten "Steuerungs- und Kontrollmechanismen, Machtrivalitäten und interne Führungskämpfe, das Zustandekommen von Kurswechseln sowie die Ursachen für den Niedergang der SED und ihren Zusammenbruch." (13f.)
Malycha, ein Experte für die frühe SED-Parteigeschichte, gibt einen Überblick über die Gründung und Transformation der SED zur Staatspartei und analysiert die wesentlichen Kennzeichen der Partei, die bis 1989 ihre Gültigkeit besaßen. Er führt den Leser kenntnisreich durch die ständig wechselnden Strukturen und personellen Besetzungen des SED-Apparates auf Zentral- und Bezirksebene der 1950er/60er Jahre. Darüber hinaus deckt er die Mechanismen der Machtausübung und den Arbeitsstil in den Spitzengremien bzw. der Spitzenpolitiker auf und geht auf die innerparteilichen Führungskrisen von 1953 und 1956/58 sowie auf den Führungswechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker 1970/71 ein.
Malycha erklärt, dass Ulbricht in den 1960er Jahren der immer wieder aufkommenden Unzufriedenheit unter SED-Mitgliedern und der Bevölkerung nicht nur mit dem Ausbau seiner Machtbasis zu begegnen versuchte, sondern auch mit überraschend liberalen Reformen in Wirtschaft und Wissenschaft, die den Lebensstandard erhöhen und damit das Volk ruhig stellen sollten.
Winters führt die angeschnittenen Thesen fort und betont, dass Erich Honeckers favorisiertes Konzept der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ohne grundlegende Reformen in Partei, Staat und Gesellschaft zum Scheitern verurteilt war. Winters analysiert für die Zeit nach 1971 die katastrophale Wirtschaftspolitik Honeckers und seine selbstherrlichen Herrschaftspraktiken, die Partei und Staat schließlich in den Untergang trieben und oppositionelle Kräfte im Zuge von Gorbatschows Perestroika stärkten.
Beide Autoren versuchen durchgängig immer wieder den Blick von der Parteiführung auf die Parteibasis zu lenken, die öfter als meist wahrgenommen Kritik an dem autoritären SED-Führungssystem übte. In diesem Zusammenhang werden die innerparteilichen Reformer, die nicht unmittelbar aus der Parteispitze kamen, mit ihren Programmen vorgestellt. Es wird verwiesen auf die Gruppe um Wolfgang Harich und Walter Janka bzw. die Politökonomen Fritz Behrens und Arne Benary in den Jahren 1956/57 oder auf den Philosophen Rudolf Bahro mit seiner Schrift "Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus" und die Diskussionen dazu in der Zeit zwischen 1972 bis 1975. Des Weiteren wird erinnert an das "Manifest einer SED-Opposition" um den Historiker und Geheimdiplomaten Hermann von Berg und seinen Gesprächskreis von einigen wenigen Professoren der Humboldt-Universität 1978 bis hin zu einer Gruppe von Ostberliner Gesellschaftswissenschaftlern mit ihren "Thesen für einen modernen Sozialismus" um Michael Brie und Rainer Land in der Zeit von 1987 bis 1989. All diese innerparteilichen Reformen übten, was in der Studie zum Ausdruck kommt, keine fundamentale Systemkritik. Der Führungsanspruch der SED, das sozialistische Volkseigentum und die zentrale staatliche Planung sollten auch einen reformierten Sozialismus prägen.
Malychas Kenntnisse und Wertungen stützen sich auf eine breite Auswertung von Primärquellen. Das gilt für den Teil von Winters nicht, der sich weitgehend auf Memoiren der damals handelnden SED-Politiker und einige publizierte Dokumente stützt. Hier steht die umfassende Analyse von Quellen und Dokumenten verschiedenster Provenienz noch aus. Die Aussagen und Behauptungen der oft zitierten SED-Kader müssen verifiziert werden. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn Winters an einzelnen Schlüsselstellen die Archive konsultiert hätte. Zu pauschal und zu einfach lesen sich Erklärungen von damaligen SED-Funktionären, die alle Verantwortung für politische und ökonomische Fehlentscheidungen dem SED-Generalsekretär anlasten. Winters führt seine Darstellung bis in die Gegenwart, er beschreibt die Entwicklung - einschließlich des Umgangs mit dem Parteivermögen und den Prozessen gegen SED-Spitzenpolitiker -, die von der SED zur Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) und schließlich zur Partei "Die Linken" führte.
Ein Exkurs über die Mitgliederentwicklung der SED von 1946 bis 1989 und ein umfassendes Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister komplettieren den gut lesbaren Band.
Heike Amos