Heike Amos: Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949 - 1963. Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat (= Diktatur und Widerstand; Bd. 4), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2003, 717 S., ISBN 978-3-8258-6187-2, EUR 29,90
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Trotz der in den Neunzigerjahren politisch und wissenschaftlich geführten Debatten um den Beginn und die spezifischen Merkmale totalitärer Herrschaft in Ostdeutschland blieb die strukturelle Verfasstheit beziehungsweise die innere Struktur der SED bislang merkwürdigerweise unterbelichtet. Eine Organisationsgeschichte, die sowohl die innerparteilichen Strukturveränderungen als auch den ständigen Prozess personeller Verschiebungen in der Führungsstruktur sowie die Mitgliederentwicklung der Partei für den gesamten Zeitraum ihres Bestehens beschreibt, fehlt bedauerlicherweise völlig. Umso erfreulicher ist es, wenn nun die Funktion und Arbeitsweise der Führungsgremien der SED für die Jahre 1949 bis 1963 einer näheren Analyse unterzogen werden.
Heike Amos bietet allerdings keine spannende Lektüre über die eigentlichen Hintergründe der internen Machtkämpfe in der Ulbricht-Ära, sondern eine Art Kompendium und Nachschlagewerk über Strukturen, Institutionen und Personen in der obersten Führungselite. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen drei Bereiche: Es wird zum einen die Organisation, Struktur, personelle Zusammensetzung und die Verteilung fachlich-politischer Verantwortlichkeiten im SED-Politbüro, ZK-Sekretariat, ZK-Fachapparat und im Zentralkomitee der SED selbst beschrieben. Dies erfolgt auf einer rein formellen Ebene, indem die entsprechenden Organisationseinheiten fakten- und kenntnisreich für den behandelten Zeitraum vorgestellt werden.
Die Lektüre einer solchen Zusammenschau von Struktureinheiten mag auf den ersten Blick ermüdend sein, doch ist der Band für die gesamte DDR-Forschung von beträchtlichem Wert. Denn noch immer gibt es für DDR-Forscher Ungewissheiten über die konkreten Zuständigkeiten und Aufgabenverteilungen der verschiedenen ZK-Abteilungen, Arbeitsgruppen und Kommissionen. Diese sind vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten häufig umorganisiert, umstrukturiert und personell verändert worden. Somit fiel es bislang schwer, die genauen Entscheidungshintergründe für inhaltliche und personelle Weichenstellungen zu bestimmen. Zumindest für die Fünfzigerjahre ist von Heike Amos eine Schneise im SED-Organisationsdickicht geschlagen worden.
Darüber hinaus geht es um den Arbeitsstil und die Entscheidungsabläufe in den SED-Machtgremien. Auch in diesem Punkt dominiert eine eher nüchterne Beschreibung von internen Verwaltungsvorgängen und formalisierten Arbeitsabläufen. Wer nach weitergehenden Hinweisen über inoffizielle Netzwerke, persönliche Beziehungsgeflechte und wechselseitige Abhängigkeiten sucht, wird wohl enttäuscht werden. Die ausschließliche Auswertung von Akten der früheren Staatspartei SED bietet auf diese Bereiche wohl auch keine Zugriffsmöglichkeit.
Schließlich versucht die Autorin Fragen auf der personellen Ebene zu beantworten: Sie zeichnet einerseits Karriereverläufe in der Parteiführung nach, wobei die von ihr angebotenen Erklärungen für "Aufstieg" in das und "Abstieg" aus dem Politbüro kaum befriedigen können. Hier muss es ganz offensichtlich noch andere, viel komplexere persönliche und politische Lebensumstände von SED-Spitzenpolitikern geben, um aus diesen "Aufsteiger" oder "Absteiger" zu machen. Andererseits untersucht sie Ursachen, Verläufe und Auswirkungen der in den Fünfzigerjahren aufbrechenden Machtrivalitäten und internen Führungskonflikte im SED-Politbüro beziehungsweise im Sekretariat des ZK der SED.
In diesen Kapiteln hätte es eigentlich spannend werden können. Denn Walter Ulbricht, seit Ende der Vierzigerjahre der uneingeschränkte Primus in der Partei, stand in den zwei Krisen - 1953 und 1956/57 - jeweils unmittelbar vor dem Sturz. Doch vergleichsweise neue Informationen darüber, auf welche Weise es Ulbricht gelang, die beiden großen Machtkämpfe unbeschadet zu überstehen, kann die Autorin nicht bieten. Sie referiert hauptsächlich die schon bekannten Interpretationen über die Ausschaltung der innerparteilichen Kontrahenten Ulbrichts.
Das zeigt in gewisser Weise auch das ganze Dilemma der Untersuchungen über die SED-Führungsschicht: Die zentralen Vorgänge in der Führungsspitze der SED sowie die Interessenlagen verschiedener SED-Funktionäre sind aufgrund des seit 1990 möglich gewordenen, uneingeschränkten Quellenzugangs etwas transparenter geworden. Für die Rekonstruktion der Hintergründe personeller Wandlungen sowie interner Kontroversen innerhalb der SED stehen trotz der umfangreichen Archivhinterlassenschaften jedoch noch immer nur begrenzte Hilfsmittel zur Verfügung. Ein differenziertes Bild über innerparteiliche Steuerungs- und Herrschaftsmechanismen zu zeichnen, ist nur eingeschränkt möglich, weil aussagekräftige Primärquellen fehlen. Konträre Standpunkte einzelner Politbüromitglieder werden in den ergebnisfixierten Sitzungsprotokollen kaum beschrieben, sie schimmern in überlieferten Aufzeichnungen einzelner Führungsmitglieder lediglich durch. Die Hauptquelle für die Beschreibung von internen Kontroversen sind nach wie vor autobiografische Darstellungen (Rudolf Herrnstadt / Karl Schirdewan). So ist weiterhin nicht voll geklärt, wie die SED-Führung mit partiellen Differenzen umging, auf welche Weise grundsätzliche Kursbestimmungen und Einzelentscheidungen zu Stande kamen beziehungsweise unterlaufen oder wieder revidiert wurden.
Nüchterne Einblicke in die Strukturen der obersten Machthierarchie werden von Historikern oft mit Geringschätzung bedacht. Gleichwohl bieten sie die Voraussetzung für tiefer reichende Erklärungszusammenhänge und Deutungsmodelle. So trägt auch die Arbeit von Heike Amos über die Funktion und Arbeitsweise der Führungsgremien der SED mit dazu bei, genauere Kenntnisse über die konkrete Art der Machtausübung der SED-Führung und damit über die Funktionsmechanismen der SED-Herrschaft zu gewinnen.
Andreas Malycha