Sebastian Schütze: Kardinal Maffeo Barberini später Papst Urban VIII. und die Entstehung des römischen Hochbarock (= Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana; Bd. XXXII), München: Hirmer 2007, 375 S., ISBN 978-3-7774-9670-2, EUR 68,00
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Der in zurückhaltendem Schwarz-Weiß gehaltene Umschlag des Werks verschlüsselt, als ingeniöser Concetto, die Absicht des Verfassers. In leichter Untersicht lehnt ein mehr schlafend als tot dargestellter Jüngling sein Haupt gegen ein Marterholz. Es ist der Heilige Sebastian, der mit lasziv geöffnetem Mund ins ihm eröffnete Paradies hinüberlächelt. Unsichtbar bleiben die Pfeilschützen, die ihn getötet haben, aber es ist zugleich unübersehbar, dass Schütze und Sebastian hier in eins fallen und der Autor sich selbst im Kunstwerk evoziert. Dies ist zugleich die Formel, die es zu verstehen gilt, nämlich die einer ideenhaft-concettistischen Genese von Kunst, die den Mäzen zum virtuell auch sichtbaren Mitverursacher macht. Dieser als erster Auftraggeber auch Mitschöpfer des Genius, des größten Bildhauers nach Michelangelo, ist Kardinal Maffeo Barberini. Dabei geht es auch um eine Berichtigung einer Tradition, die den Künstler zum Anfangspunkt des Kunstwerkes macht, etwa so, wie es Filippo Baldinucci in dieser Anekdote über den jungen Bernini anklingen lässt: Noch als Knabe habe Bernini in Begleitung Annibale Carraccis († 1609) die Peterskirche besucht und dessen Prophezeiung gelauscht: Eines Tages wird ein gewaltiges Genie auftreten, das in die Mitte und ans Ende zwei Monumente setzen wird, die dem Maßstab dieses Gebäudes standhalten werden. Worauf der junge Bernini hervorpresste: Oh, wenn ich es nur wäre! Keine Rede von Päpsten und Patronage! Doch der Reihe nach.
Es handelt sich um die 1997 fertiggestellte Habilschrift des Verfassers, die sich auf die Aufträge und die Kunstpatronage des ehrgeizigen Kardinals und späteren Papstes Urban VIII. - ausschließlich vor dem Pontifikat - konzentriert. Das Werk zerfällt in drei Hauptteile sowie je ein Vor- und Nachkapitel. Vorkapitel I. beschreibt den Werdegang Maffeos (geb. 1568, 1606 Kardinal, gest. 1644), die Genese seiner Bibliothek und seine Rolle als religiöser Dichter. Das Kapitel II. (31-146) darf man zugleich als eine ausgedehnte Materialstudie ansehen, und zwar über die seit 1603 geplante Familienkapelle, die Capella Barberini in San Andrea della Valle. Der zweite Hauptteil (147-192) versenkt sich in die Gemäldesammlung des Kardinals, besonders im Hinblick auf seine Bologneser Legation 1611-1614 und die dortige Academia dei Gelati mit ihrer Synthese von Literatur, Bildbeschreibung und Auftragserteilung bzw. Sammeltätigkeit. Der dritte Teil heißt schlicht "Maffeo Barberini und Bernini". Er spannt den Bogen von den ersten Aufträgen, noch als Mitarbeiter der väterlichen Werkstatt für die Capella Barberini, bis zu den revolutionären Großplastiken für den Rivalen Kardinal Scipione Borghese. Das Nachkapitel "Perspektiven" wirft einen kurzen Blick auf die künftige gigantische Kunstpatronage des Barberinipapstes.
Sebastian Schützes inzwischen preisgekröntes Werk lässt sich in zwei Richtungen interpretieren. Zunächst als Abfolge von drei ebenso gelehrten wie materialreichen Studien zur Kunstpatronage von Maffeo zu einer Zeit, als er zumindest teilweise noch als 'Privatmann' gelten konnte. Es handelt sich um weit ausholende Studien, die Auftrag, Entwurf, Planung, Ausführung, Finanzierung, etc., d.h. materiale wie inhaltliche Genese in vorbildlicher Gründlichkeit vorführen. Dies gilt vor allem für die Abhandlung zur Capella Barberini, die sich gewiss als Standardwerk etablieren wird, schreitet sie doch souverän von der Sozialgeschichte der Capella hinüber zu ihrem ausgefeilten ikonografischen Programm. Hinzu kommt die ebenso beeindruckende wie funktionale Bebilderung. Einen deutlich engeren Fokus weist die zweite Studie zu Maffeos Gemälden auf. Sie konzentriert sich auf seine Amtszeit als Legat in Bologna und bemüht sich, wieder durch ausgiebige Kontextbildung, um den Brückenschlag zwischen Poesis und Pictura. Das ist nun nicht gänzlich neu und darf im Zeitalter der Bildwissenschaft als eher konservative methodische Stellungnahme gelten. Insgesamt handelt es sich aber um einen ernsthaften Versuch, die literarische Kunstbetrachtung der Epoche sozusagen 'nach vorne zu ziehen', in die Konzeptionsbildung von Kunst selbst, und damit Maffeo glaubhaft in einer - der conversazione, d.h. dem intellektuellen Austausch gewidmeten - schöpferischen Position zu verankern. Der dritte Teil über das Binnenverhältnis von Kardinal und jungem Genie zwingt den Leser naturgemäß in eine größere Distanz als die Vorgängerkapitel. Hier gibt es nicht nur kaum mehr Forschungslücken, hier muss sich die Argumentationslinie auch um den tatsächlichen Auftraggeber, den Borghesenepoten, herumwinden, um Maffeo als den eigentlichen 'Spiritus rector' von Berninis früher Großplastik hervortreten zu lassen. Die rhetorische Glaubhaftmachung dieser Rolle lässt man sich aber gerne gefallen. Soweit die positive Lesart, die sich auf eine hier in ihrem Reichtum kaum präsentierbare Kontextualisierung des intellektuellen Mäzenats von Maffeo Barberini berufen kann.
Denkbar ist freilich auch eine 'via negativa', die sich auf das Konzept einer enger geführten Einflussforschung stützt, und zwar sowohl personalistisch, was die Kommunikation zwischen Handelnden angeht, wie auch konzeptionell, was etwa die Text-Bild-Beziehungen betrifft. In dieser Perspektive fallen zunächst einmal die Vor- und Nachkapitel I und V ab. Die im Inventar der Seconda Donazione von 1623 erscheinende Bibliothek Maffeos (Anhang, 294-331) mit ihren insgesamt 2648 Buchtiteln, ist kaum geeignet, ein präzises intellektuelles Profil des Kardinals zu entwerfen, ist sie doch ererbt, wurde früh in den Gesamtbestand der Casa Barberini integriert und trägt auch kaum Benutzerspuren. Schließlich verwischt ihre alphabetische Präsentation im Inventar jeden Hinweis auf ihre einmal vorhandenen internen Verweiszusammenhänge; im Fokus der Intellectual History ist dieses Inventar materia morta. Auch die Abbildung von 29 Titelblättern hilft hier nicht weiter. Das Nachkapitel V hingegen verlässt sich auf die providentielle Kraft der beiden Impresen Urbans VIII. Aliusque et idem und Hic domus. Doch statt dieses Hinweises auf die Kontinuität der Intentionen wäre dem Leser vielleicht besser mit einer Vermessung der Grenze gedient gewesen, die einen Pontifikat kunstpolitisch wie theoretisch von einem Kardinalat trennt. Dazu wäre Schütze wie kaum ein anderer befähigt. Zahlreiche wichtige Passagen dieser Untersuchungen stehen unübersetzt im Italienischen des 17. Jahrhunderts, einiges auch im Lateinischen: ein Fest für den Kenner, eine Barriere für den Anfänger.
Es verbleiben die drei Hauptteile zur Diskussion. Sebastian Schütze sucht im Grunde nach harten Indizien für einen Dialog zwischen Patron/Mäzen und Künstler, um innerhalb der kommunikativen Situation, der inzwischen so oft zitierten conversazione (genetisch, ästhetisch, prophetisch), die performative Stufe zu erreichen: Das Wort des Mäzens soll sich im Werk des Künstlers materialisieren. Hier ist die nicht unplausible These vertreten, die religiös-philosophischen Kontexte der Epoche seien so reichhaltig gewesen, dass auch große Künstler eines 'Mediums' bedürftig gewesen wären, sie in handgreifliche Impulse zu verwandeln. Leider sind handfeste Beweise für diese traditionelle, logozentrische These nur beschränkt verfügbar. Vielleicht verfällt der Autor auch deshalb an zentralen Stellen (193, 205, 209, 233) einer vorsichtig insinuierenden Sprache, die für erwiesen ausgibt, was erst zu beweisen wäre, dass nämlich 'Einfluss' so und nicht anders zu diesem Ergebnis geführt hat.
Zwei Aspekte verdienen hier besondere Erwägung: Die Konzeption von der Macht des Wortes auf der Vergangenheitsebene und die Technik der Durchdringung von Kontexten bzw. von Diskursen auf der Ebene der Großkapitel. Zu den faszinierenden Abschnitten dieser Untersuchungen gehören die - leider viel zu knapp gehaltenen - Überlegungen zu den sowohl interpretativen wie auch potentiell demiurgischen Funktionen von Texten für Kunstwerke. Dabei erscheinen alle Hinweise zur 'Rezeptionslenkung' als überzeugend (vgl. 187-192). Umgekehrt war der Text als 'Realisationsanleitung' ein fesselndes, aber gänzlich ungelöstes Problem für die Zeitgenossen. Bei Schütze ist es auf der Vergangenheitsebene gelöst, denn bei ihm tritt der Kardinal als Wortkünstler in ein demiurgisches Verhältnis zu Bernini. Die Epochenformel 'Maffeo instauravit' nimmt er beim Wort, aber nicht im äußerlich panegyrischen Sinn - sozial wie finanziell wäre dies ja auch gut begründet -, sondern als sprachlich performativen Akt. Ausgeblendet bleibt, was Habitus und Hof, Klientel und Konflikt in diesem Akt sein könnten. Der zweite Aspekt wird vom Autor in den Großstrukturen seines Textes selbst realisiert. Da für punktgenaue Einflussforschung nur beschränkt Spielmaterial vorhanden ist, entwirft Schütze riesige Kontext- und Diskursfelder, für den Mäzen wie für Künstler, die dann stellvertretend für die Personen miteinander in Dialog treten. So organisiert der Kunsthistoriker die ungeheure Masse der Details zu einer buchstäblich 'redenden Doppelstruktur'. Dieses Verfahren ist legitim, kreist aber notwendig im hermeneutischen Zirkel: Je reicher der Kontext, desto leichter verliert sich ein direkt nachweisbarer Einfluss. Schützes Untersuchungen, vor allem die zur Capella Barberini, setzen Landmarken in die Erforschung des römischen Hochbarock. Der Leser dieses Werks bleibt aber aufgefordert, das vom Autor selbst geübte unablässige Fortschreiten in den Kontexten angesichts dessen performativer Hauptthese in skeptischer Absicht beizubehalten.
Markus Völkel