Axel Goodbody / Berbeli Wanning (Hgg.): Wasser - Kultur - Ökologie. Beiträge zum Wandel im Umgang mit dem Wasser und zu seiner literarischen Imagination, Göttingen: V&R unipress 2008, 315 S., 16 Abb., ISBN 978-3-89971-417-3, EUR 44,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Alexander Demandt: Über allen Wipfeln. Der Baum in der Kulturgeschichte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002
Tobias Wildi: Der Traum vom eigenen Reaktor. Die schweizerische Atomtechnologieentwicklung 1945-1969, Zürich: Chronos Verlag 2003
Andreas Dix / Ernst Langthaler (Hgg.): Grüne Revolutionen. Agrarsysteme und Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, Innsbruck: StudienVerlag 2006
Sonja Windmüller: Die Kehrseite der Dinge. Müll, Abfall, Wegwerfen als kulturwissenschaftliches Problem, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004
Hansjörg Küster: Am Anfang war das Korn. Eine andere Geschichte der Menschheit, München: C.H.Beck 2013
Frank Uekötter / Jens Hohensee (Hgg.): Wird Kassandra heiser? Die Geschichte falscher Öko-Alarme, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004
Wolfgang Gründinger: Die Energiefalle. Rückblick auf das Erdölzeitalter, München: C.H.Beck 2006
Robert Groß: Wie das 1950er Syndrom in die Täler kam. Umwelthistorische Überlegungen zur Konstruktion von Wintersportlandschaften am Beispiel Damüls in Vorarlberg, Regensburg: Roderer Verlag 2012
Ein Sammelband, der Beiträge zum modernen Wasserrecht, zur Interessenpolitik der Emschergenossenschaft, zur Poetologie des Wassers und zu ökofeministischen Perspektiven auf Wasserfrauen vereint, ist eine Herausforderung für jeden Rezensenten. Es ist kaum denkbar, alle Beiträge des von Axel Goodbody und Berbeli Wanning herausgegebenen Bandes "zum Wandel im Umgang mit dem Wasser und zu seiner literarischen Imagination" gleichermaßen beurteilen zu können, wenn man Historiker, aber beispielsweise nicht Literaturwissenschaftler oder Hydrologe ist. Das Sternzeichen Wassermann reicht als Qualifikation nicht aus, um über "Wasser" in all seinen Facetten kompetent sprechen zu können.
Es gibt jedoch genügend Gründe, es zumindest zu versuchen. Die auffallend große Zahl der natur-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema Wasser, die in den letzten Jahren erschienen sind, ist bestens geeignet, die Aktualität, aber auch die Vielschichtigkeit des Gegenstandes zu belegen. Die Feststellung, dass eine Einheit der 13 vorliegenden Beiträge (und ebenso vielen Aspekte von Wasser) auch durch die Einleitung nicht hergestellt wird, sollte nicht mit dem Allgemeinplatz mangelnder Kohärenz von Sammelbänden gleichgesetzt werden. Das Scheitern an einer Integration der Zugänge ist in gewisser Weise ein Verdienst: Es zwingt den Leser dazu, nach Verknüpfungen und Verweisen im Umgang mit Wasser zu suchen, die über die Vorgaben der Gliederung ebenso hinausgehen wie über disziplinäre Grenzen.
Die Herausgeber haben die Beiträge in drei Gruppen unterteilt: Die ersten sechs Aufsätze thematisieren den "ökologischen Wandel im Umgang mit dem Wasser". Behandelt werden dabei so unterschiedliche Aspekte wie das Konzept der Wasserkultur (Kluge), das Modell des Wasserkreislaufs (Schramm), die Problemlösungskapazitäten des EU-Wasserrechts, die Symbolik von Wasserstraßen (Fackler), die Landschaftskunst (Seiderer) und die Renaturierung von Wasserläufen (Uekötter). Der zweite Teil ist im Vergleich dazu wesentlich enger definiert und befasst sich mit der literarischen Verarbeitung von Wasser. Hier geht es um Wasser als "Negativfolie des Modernisierungsprozesses" (150) (Uysal), das Naturkonzept Rachel Carsons (Bergthaller), Sprachbilder des Flüssigen (Judex) sowie die Elbe als lyrischer Imaginationsraum (Skinner). Noch spezieller ist das Thema der drei Beiträge des dritten Teils, der sich der literarisch-mythischen Figur der Wasserfrau widmet. Bezugspunkte sind dabei Romane von Ingeborg Bachmann und Karen Duve (Goodbody), Gabrielle Alioth (Donovan) sowie Adaptionen des Loreley-Motivs (Müller-Adams).
Gerade diese letzten Beiträge vermitteln eine Vorstellung von der großen Symbolkraft des Wassers, das für sich alleine oder in Verknüpfungen eine Vielzahl gebräuchlicher Bilder entstehen lässt. Hier wird die Gender-Codierung der Natur in ihrer ganzen Reichweite sichtbar, wenn man verschiedene literarische Motive als Pointierung oder Gegenbild zu ökofeministischen Interpretationsmustern versteht, wie Axel Goodbody das tut. Aber auch bei vielen der übrigen Beiträge des Bandes bleibt als Leseeindruck vor allem die Einsicht, wie wirkungsmächtig Wasser-Symboliken sind; sei es wenn Guido Fackler "hydrotechnische Großbauten als Macht- und Herrschaftszeichen" (90) deutet oder wenn Bernhard Judex das Wasser als romantisches Bild für ein "utopisches Befreiungsversprechen der Dichtung" (196) beschreibt. Andere Autoren führen gleichzeitig aber auch vor Augen, wie sehr unser Umgang mit Wasser auf Modellen und symbolhaften Deutungen beruht, die veränderlich und kontextabhängig, d.h. historisch, sind. Engelbert Schramm verweist hier auf das bekannte Leitbild des Wasserkreislaufs, das seiner Meinung nach nur differenziert betrachtet Gültigkeit beanspruchen kann. Thomas Kluge versucht, die als unzureichend wahrgenommenen, vorhandenen Deutungsvorstellungen im Begriff der "Wasserkultur" aufzuheben. Doris Hattenbergers Beitrag, der diese kulturelle Deutungsnotwendigkeit nicht thematisiert, illustriert sie umso mehr, weil ihre Analyse, ob das europäische Rechtssystem "zur Lösung der 'Wasserprobleme' einen adäquaten Rahmen bietet" (62), aus kulturwissenschaftlicher Perspektive unbefriedigend ausfallen muss.
Symbolkraft und Deutungsnotwendigkeit sind offensichtlich wechselseitig bedingt und verstärken sich. Diese Überlegung ist wenig überraschend für einen Band, der technik- und sozialgeschichtliche Aufsätze mit literaturwissenschaftlichen Beiträgen vereint. Vor allem stellt sich die Frage, wie diese Verknüpfung zu fassen ist. Am gewinnbringendsten sind deshalb jene Artikel zu lesen, die Angebot und Nachfrage nach Wasser-Deutungen in Bezug setzen. Am deutlichsten tut dies Frank Uekötter, der in seinem Beitrag das (in seinem Verständnis) "postökologische" Selbstverständnis der Emschergenossenschaft untersucht. Für ihn ist das heutige Engagement der zur Abwasserentsorgung gegründeten Genossenschaft für eine "Renaturierung" des Flusses lediglich eine Legitimationsstrategie, um für die eigene Organisation staatliche Subventionen zu sichern. Diese rein funktionalistische Sichtweise als Instrumentalisierung der ökologischen Utopie einer "Renaturierung" durch einen politischen Akteur ist in ihrer Eindeutigkeit sicherlich zu hinterfragen. Ohne die eingehende Berücksichtigung anderer Akteure ist die Interpretation als Auseinanderlaufen von Ökologie und Demokratie voreilig, auch weil sie die symbolische Wirkung der Flussrenaturierung nicht als eigenständigen Faktor sieht. Spiegelbildlich dazu würden andere Beiträge von einer stärkeren (zeit)historischen Kontextualisierung ihres Gegenstandes profitieren, wie sie Ute Seiderer in ihrem Beitrag zur "New Landscape Art" der 1960er- bis 80er-Jahre leistet. Für sie sind die kulturellen Codes solcher künstlerisch gestalteter Landschaftsräume nur aus einer historisch spezifischen Konstellation von Naturästhetik, künstlerischer Ästhetik und ökologischem Denken heraus zu verstehen.
Jeder der Beiträge für sich vermittelt somit bemerkenswerte Sichtweisen auf den Umgang mit Wasser. Für die Frage, wie man dem Zusammenspiel zwischen der Wirkungsweise und der Historizität von Symbolen durch interdisziplinäre Herangehensweisen näher kommen kann, bietet der vorliegende Sammelband jedoch nur vereinzelte Ansätze. Hier bleibt es dem Leser überlassen, die Gedanken zu ordnen. In seiner lesenswerten Analyse von Rachel Carsons Buch "The Edge of the Sea" von 1955 erklärt Hannes Bergthaller die populäre Ökologie zu einer "'Pseudomorphose' der Physikotheologie" (185), also zu einer teleologischen Konzeption von Natur, die gegen die Dekonstruktion des Anthropozentrismus durch die modernen Naturwissenschaften gerichtet ist. Zwar wähle Carson bewusst einen physiozentrischen Ansatz, aber gleichzeitig diagnostiziert er einen "ästhetischen Überschuss" (181) der Naturbeschreibung, um diese Marginalisierung des Menschen aufzuheben. Es ist nicht nur spannend zu sehen, wie er damit gängige ideengeschichtliche Zuschreibungen auflöst, was zweifelsohne die Wirkungsforschung zu Rachel Carsons bereichert. Sein differenzierter Blick auf die Dichotomie von Physiozentrismus und Anthropozentrismus ist eine Anleitung für die Beschäftigung mit Wasser-Themen allgemein. Die Polyvalenz unseres Umgangs mit Wasser lässt vermuten, dass viele Zusammenhänge der Beziehung zwischen Umgang und Imagination von Wasser (oder von Natur allgemein) erst bei genauem Hinsehen sichtbar werden.
Mathias Mutz