Christina Strunck (Hg.): Johann Paul Schor und die internationale Sprache des Barock (= Römische Studien der Bibliotheca Hertziana; Bd. 21), München: Hirmer 2008, 280 S., ISBN 978-3-7774-3515-2, EUR 85,00
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Im Zentrum der vorliegenden, sorgfältig edierten Publikation steht das Œuvre des von der kunstgeschichtlichen Forschung lange Zeit vernachlässigten, aber bereits zu Lebzeiten aufgrund der Originalität seiner Schöpfungen geschätzten Innsbrucker Künstlers Johann Paul Schor (1615-1674) und seine vielfältigen Verflechtungen zur italienischen Kunst bzw. zur Kunst nördlich der Alpen. Die einzelnen Beiträge, deren Inhalt im Folgenden aus Platzgründen leider nicht vollständig referiert werden kann, zielen aber nicht nur auf das "Phänomen" Schor, sondern auch auf das übergreifende Faktum des frühneuzeitlichen Kunstaustausches, dessen europäische Dimension im Untertitel mit dem nicht unproblematischen Begriff der "internationalen Sprache des Barock" Bezeichnung findet.
Die außerordentliche Mobilität der Mitglieder der Künstlerfamilie der Schor und die weite Rezeption ihrer Werke von Neapel bis Schweden, wie dies etwa Stefanie Walker in ihrem Artikel (145-153) über die Rezeption Schors bei Nicodemus Tessin zeigt, scheint die unmittelbare Beteiligung dieser Familie an der Kreation einer solchen wie immer gearteten "Kunstsprache", die im Wesentlichen auf berninesken und cortonesken Elementen basiert, nahezulegen. Von den mindestens sechs Kindern, die Johann Paul Schor mit Brigida Frulli hatte, schlugen zwei, Filippo (mit dessen Wirken in Neapel sich Alba Cappellieri beschäftigt; 193-219) und Cristoforo, ebenfalls die Künstlerlaufbahn ein. Filippos Bruder Christoph, dem Sabina de Cavi ihren Beitrag widmet (259-276), blieb zunächst in Rom und führte die dortige Werkstatt weiter. Besonders durch das Medium der Grafik - so ließ etwa Tessin Schor-Zeichnungen kopieren - gelangte der Motivvorrat Schors zu rascher Verbreitung, wie auch Johann Paul Schor seine Entwürfe in einer Stichsammlung im Großfolioformat nach Frankreich exportiert haben soll (125). Dass hier der Begriff "Grafik" sehr weit gespannt werden muss, zeigen auch Johann Paul Schors Illustrationen zu Traktaten des berühmten Jesuiten Athanasius Kircher (55ff.).
Johann Paul Schor war unter den Pontifikaten von Alexander VII. Chigi (1655-1667), Clemens IX. Rospigliosi (1667-1669) und Clemens X. Altieri (1670-1676) an zahlreichen Aufträgen beteiligt. Der Künstler, der häufig in der Werkstatt Berninis tätig war, hatte sich aber vor allem auf die ephemeren Kunstgattungen (Festapparate und Kunsthandwerk) spezialisiert und in diesem Bereich offensichtlich eine individuelle Gestaltungsfreiheit innerhalb künstlerischer Großprojekte unter der Leitung Berninis oder Cortonas erlangt. Wie Christina Strunck in ihrer Einleitung (7-30) treffend feststellt, dürfte Johann Paul Schor innerhalb großer Werkstätten als "unabhängiger Subunternehmer" (8) gewirkt haben. Klaus Güthlein differenziert anhand der Ausstattung der Chigi-Kapelle in Siena die künstlerischen Verantwortlichkeiten, wenn er von den "recht komplexen Interaktionen und Verbindungen von Künstlern, Kunsthandwerkern und Handwerkern" spricht und unmittelbar darauf diese Situation mit der eines Orchesters vergleicht, in dem Bernini selbst "den Takt schlägt" (87). Die Werkstatt der Schor an der römischen "Piazza di Spagna" war nicht zuletzt eine wichtige "Anlaufstelle" (29) für deutschsprachige Künstler mit einem Interesse an römischer Kunst, wie Jorge Fernández-Santos Ortiz-Iribas mit einem umfangreichen Quellenapparat ausführt (73-82). Ab 1655 beteiligte Bernini Schor, dessen Zeichenstil dem des römischen Meisters ungewöhnlich nahe steht, an allen seinen großen Kunstaufträgen: Als Beispiel kann hier wieder die Ausstattung der Chigi-Kapelle in Siena dienen, wo Klaus Güthlein - auch aufgrund einer differenzierten Lesart der Quellen - zu einer neuen Einordnung des Eingangsgitters gelangt (83-94), wonach Berninis summarisch konzipierte Entwurfsskizze (Abb. auf Seite 90) gleichsam nur den Rahmen vorgibt, den dann Johann Paul Schor für eine "detaillierte Ausgestaltung" (89) nützen konnte. Wenngleich über Johann Paul Schors Reisen wenig bekannt ist und der Künstler nachweislich in Siena (1659) und wahrscheinlich auch in Florenz war, zeigen die umfangreichen Forschungen von Markus Neuwirth (31-72), dass Schor nicht nur für das Mariahilfbild der Innsbrucker Mariahilfkirche (1653/1654) verantwortlich, sondern auch sonst im Kunstleben dieser Stadt verwurzelt war. Darüber hinaus sind aber auch die Leistungen von Johann Pauls Bruder Egid (1627-1701) zu beachten, der mit der Ausmalung zweier Chorkapellen der Stiftskirche von Stams (Tirol) in den neunziger Jahren einen wesentlichen Beitrag zur unkonventionellen Rezeption des Illusionismus nördlich der Alpen setzte, wie Silvia Carola Dobler (155-170) erläutert. Egid dürfte mit seinem Bruder im Mai oder Juni 1654 nach Rom gezogen und Ende 1665 oder Anfang 1666 zurückgekehrt sein. Spätestens bei der Rezeption Cortonas in Egids Hochaltarbild der Stiftskirche in Wilten (1671, Abb. Seite 28) wird die beachtliche Variationsbreite der stilistischen Ausrichtung der Familie Schor deutlich, die als Sammelbecken und Vermittlungsinstanz der römischen Stilströmungen bezeichnet werden kann. Eine wesentliche Erweiterung des hier genannten Spektrums erfolgte durch die Kontakte Johann Paul Schors nach Frankreich, denen Christina Strunck anhand einer Untersuchung der "Char d'Apollon" in Versailles, der Kapelle des Heiligen Ludwig in San Luigi dei Francesi und der "Spanischen Treppe" in Rom in einem materialreichen Beitrag nachgeht (95-144). Strunck schlägt vor, Jean-Baptiste Tubys "Char d'Apollon" in Versailles von 1670 (Abb. Seite 96) in einer direkten Anregung von dem spektakulären Prunkbett, das Johann Paul Schor 1663 für die Colonna entwarf (Abb. Seite 97), zu sehen. Die Argumentation der Autorin beruht auf einer minutiösen Quellenuntersuchung, auf ikonographischen Vergleichen (der beide Werke verbindende und ungewöhnliche Apolltypus, dessen Quadriga jeweils aus dem Wasser aufsteigt) sowie auf einer neuen Einschätzung der nicht unbescheidenen Familie der Colonna, die bestrebt war, an die französische Sonnensymbolik anzuknüpfen. Das engmaschige Netz von Kontakten zwischen dem Colonna-Kreis, Elpidio Benedetti, Johann Paul Schor und dem französischen Hof dürfte auch Schors Beteiligung am Entwurf der Ludwigskapelle in S. Luigi dei Francesi in Rom begünstigt haben.
Der "Schor-Stil", wie immer er konkret zu benennen ist, dürfte jedenfalls nur eine Komponente des erstaunlichen Erfolgs dieser Künstlerfamilie darstellen. Deutlich muss hier zwischen einem begehrten Motivfundus, der bei Bedarf weitergereicht werden konnte, und der spezifischen Ausrichtung eines mehr oder weniger homogenen (und mit Fragezeichen als "international" zu definierenden) Stils unterschieden werden, der zur Entstehungszeit auch als solcher im Sinne einer "Trademark" wahrgenommen und rezipiert wurde. Dies würde bedeuten, dass das Phänomen "Schor" alle essentiellen Komponenten und Möglichkeiten des frühneuzeitlichen "Kulturtransfers" umfasst. In methodischer Hinsicht legt der vorliegende Band ein stärkeres Gewicht auf die historische Dokumentation und die Stilkritik. Aus dem Blickpunkt einer Kulturtransferforschung wäre eine zumindest tangentiale Einbeziehung komparatistischer Aspekte (Asam, Pozzo etc.) zielführend gewesen, da sie den hier verwendeten Leitbegriff der "internationalen Sprache" stärker kontextualisiert hätte.
Werner Telesko