Marie-Thérèse Bitsch: Robert Schuman, Apôtre de l'Europe 1953-1963 (= Cahiers Robert Schuman; No. 1), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, 368 S., 6 Abb., ISBN 978-90-5201-636-8, EUR 21,40
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Gemeinsam mit Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi, Jean Monnet und Paul Henri Spaak wird Robert Schuman gerne als "Vater Europas" bezeichnet, vor allem die Europäische Kommission pflegt dieses Bild im Rahmen ihrer um Identitätsstiftung bemühten Ikonographie. Aber auch unabhängig von diesen politischen Absichten kann kein Zweifel daran bestehen, dass Schuman zu den prägenden Gestalten der frühen europäischen Integration gilt. Insofern ist es durchaus gerechtfertigt und sinnvoll sich detaillierter mit ihm auseinanderzusetzen.
Eine Grundlage hierfür bietet das hier vorliegende Werk, das Reden, Zeitungsartikel und andere öffentliche Verlautbarungen Schumans zwischen 1953 und seinem Tod 1963 in Auszügen zusammenfasst. Marie-Thérèse Bitsch, emeritierte Professorin für Geschichte an der Universität Straßburg und eine der besten Kennerinnen der europäischen Integrationsgeschichte, hat die Texte ausgewählt und jeweils mit einer Zusammenfassung versehen. Die Quellen stammen alle aus den Beständen der Maison Robert Schuman, die den persönlichen Nachlass Schumans verwaltet.
Insgesamt kreisen die Überlegungen Schumans immer wieder um ähnliche Fragen, die Argumente wiederholen sich regelmäßig, wenn auch in durchaus interessanten Variationen im Verlauf der hier im Mittelpunkt stehenden zehn Jahre. Ganz wesentlich für seine europapolitische Aktivität war die Deutsche Frage, auf die er immer wieder zurückkam. Hier wird deutlich wie stark trotz der Teilung Deutschlands dieses immer noch als Gefahr für den europäischen Frieden im Allgemeinen und selbstverständlich für Frankreich im Besonderen angesehen wurde. Die europäische Einigung, so wie Schuman sie sah, war vor allem eine Reaktion auf das deutsche Problem. Alleine hierdurch rechtfertigte sich aus seiner Perspektive auch die supranationale Konstruktion der Montangemeinschaft. Nur durch die Suprastaatlichkeit dieser Gemeinschaft konnte die Bundesrepublik Deutschland zuverlässig und dauerhaft an den Rest Europas gebunden und von diesem kontrolliert werden. Dabei pflegte Schuman keineswegs anti-deutsche Ressentiments, für ihn war die Einbindung und Kontrolle Deutschlands eine Frage der rationalen Gestaltung des europäischen Friedens und der Sicherheit Westeuropas.
Ein weiteres immer wiederkehrendes Element ist die globale Selbstbehauptung Europas. Schuman war sich des säkularen Niedergangs Europas in der Epoche der Weltkriege sehr bewusst. Sehr klar sah er, dass die Zentren der Weltpolitik nicht mehr, wie noch im19. Jahrhundert, in Europa lagen, sondern in den USA und der Sowjetunion. Ihm wurde auch sehr deutlich, dass die europäischen Nationalstaaten angesichts der bipolaren Struktur der Weltpolitik nur noch geringe Einflussmöglichkeiten hatten. Auch aus dieser Erkenntnis erwuchs die Forderung nach europäischer Integration, denn nur gemeinsam konnten die europäischen Staaten das Potential in die Waagschale werfen, welches dem der neuen Weltmächte nahe kam. Dieser Gedanke gewann nach den Krisen um Suez und Ungarn 1956 deutlich an Gewicht und diente Schuman als wichtigstes Argument für seine Unterstützung für die Römischen Verträge in der französischen Öffentlichkeit.
Bemerkenswert ist zudem, dass obwohl Schuman immer wieder auch auf die kulturellen Grundlagen Europas zu sprechen kommt, der Katholizismus kaum thematisiert wird. Mag sein, dass die Herausgeberin auf diesen Aspekt bewusst verzichtete, mag sein, dass Schuman selbst das Thema ungern in den Vordergrund stellte. Er wurde, wie Adenauer und De Gasperi ebenfalls, oft von Laizisten wegen seiner katholischen Wurzeln angefeindet, man sprach polemisch vom "Europe vaticane". Dieser Aspekt taucht interessanterweise nur am Rande auf. Gerade in kultureller Hinsicht betont Schuman die nationale Dimension. "Hier wird die staatliche Autonomie ganz unangetastet bleiben", sagte er bei einem Vortrag an der Universität Mainz am 21. Mai 1953. "Eine synthetische europäische Kultur wird es nicht geben. Wir würden sie nicht wollen, selbst wenn es so wäre." (57)
Insgesamt hat Marie-Thérèse Bitsch ein Buch vorgelegt, das, ohne große Überraschungen zu präsentieren, die Kenntnisse über die Gedankenwelt Schumans gerade in den Details deutlich erweitert. Unnötig erscheinen die etwas zu lang geratenen Zusammenfassungen der einzelnen Quellen durch die Herausgeberin. Statt dessen hätte man sich ein Register gewünscht, um den Band auch thematisch erschließen zu können.
Guido Thiemeyer