Hélène Miard-Delacroix: Im Zeichen der europäischen Einigung 1963 bis in die Gegenwart (= WBG Deutsch-Französische Geschichte), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011, 404 S., ISBN 978-3-534-14709-0, EUR 69,90
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Sibylle Hambloch: Europäische Integration und Wettbewerbspolitik. Die Frühphase der EWG, Baden-Baden: NOMOS 2009
Wolfram Kaiser / Antonio Varsori (eds.): European Union History. Themes and Debates, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2010
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Henning Türk: Die Europapolitik der Großen Koalition 1966-1969, München: Oldenbourg 2006
Maurizio Cau (a cura di): L'Europa di De Gasperi e Adenauer. La sfida della riconstruzione (1945 - 1951), Bologna: il Mulino 2012
Dies ist der letzte Band einer vom Deutschen Historischen Institut in Paris koordinierten deutsch-französischen Geschichte in elf Bänden vom Mittelalter bis in die Gegenwart, die gleichzeitig in deutscher und französischer Sprache erscheint. Das Projekt ist sehr zu begrüßen, weil es trotz der regen Forschungstätigkeit in diesem Gebiet bislang keine Synthese gab, die die Einzelergebnisse im Zusammenhang präsentierte.
Die Darstellung ist wie alle Teilbände der Reihe dreigliedrig: Ein erster Teil vermittelt einen chronologischen Überblick über den Zeitraum zwischen 1963 bis zur Gegenwart, ein zweiter Teil "Fragen und Perspektiven" erläutert systematisch Forschungsstand und Kontroversen zu ausgewählten Themen. Der dritte Teil besteht aus einer thematisch gegliederten Bibliographie.
Methodisch geht die Autorin von der "histoire croisé" aus, die vor allem nach Verflechtung und Transfer zwischen den Staaten und Gesellschaften auf politischer, wirtschaftlich-gesellschaftlicher und kultureller Ebene fragt. Der Ansatz ist in den letzten Jahren von vielen Forschern wortreich beschrieben und entwickelt worden, allein die konkrete Umsetzung auf empirischer Basis blieb bislang schwach. Dabei lässt die Autorin keinen Zweifel daran, dass die politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern aus ihrer Sicht strukturierend sind für die Gesamtbeziehungen. Die Darstellung beginnt folgerichtig mit dem Elysée-Vertrag vom Januar 1963, der, auch wenn seine Bedeutung zunächst hinter den Erwartungen der Initiatoren zurückblieb, in ihrer Interpretation doch die politische Basis der deutsch-französischen Beziehungen bildete. Die anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Vertrag resultierten auch daraus, dass Ludwig Erhard als Bundeskanzler und Charles de Gaulle als französischer Staatspräsident weder persönlich noch politisch zu einander fanden. Auch die Anfänge der Neuen Ostpolitik in der Mitte der 1960er Jahre lösten in Paris eher Misstrauen aus, so wie die Blockade der europäischen Einigungspolitik durch de Gaulle in Bonn für Irritationen sorgte. Erst in den 1970er Jahren gewann der Vertrag auf politischer Ebene jene Bedeutung, die ihm die Initiatoren zugedacht hatten. Die Überwindung der internationalen Währungskrise nach dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods geschah weitgehend unter deutsch-französischer Doppelregie. In der Kontroverse um die Rolle François Mitterrands im deutschen Vereinigungsprozess nimmt die Autorin eine vermittelnde Position ein. Der französische Staatspräsident sei keineswegs grundsätzlich gegen die Vereinigung gewesen und habe sie auch nicht zu verhindern versucht. Er sei jedoch angesichts des Tempos besorgt gewesen um die politische Stabilität in Europa, vor allem auch jene der Sowjetunion. Daher habe er bisweilen als Zauderer gewirkt. Auch den "anderen" deutsch-französischen Beziehungen, jenen zur DDR, wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Dabei gelang es dem um Anerkennung bemühten ostdeutschen Staat niemals, aus dem Schatten der Bundesrepublik Deutschland herauszutreten, die für Frankreich der bei weitem wichtigere Partner blieb.
Im zweiten Teil des Buches stehen Einzelprobleme der deutsch-französischen Beziehungen im Mittelpunkt. Das Jahr 1968 und der Linksterrorismus spielten zeitgleich in beiden Ländern eine wichtige Rolle. Hélène Miard-Delacroix zeigt aber, dass es trotz der zeitlichen Koinzidenz auch spezifische Unterschiede zwischen den Ereignissen in der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gab. Eine davon war zweifellos die Rolle des Kommunismus. Während die kommunistische Partei und ihr Milieu in Frankreich integraler Bestandteil des politischen und gesellschaftlichen Systems waren, wurde der Kommunismus in der Bundesrepublik ausgegrenzt. Die Bundesrepublik verstand sich als anti-kommunistischer Staat, was vor allem mit der Sonderrolle Deutschlands im Ost-West-Konflikt und der Teilung des Landes zusammen hängt. Eigene Kapitel beschäftigen sich zudem mit den Erinnerungskulturen beider Länder, mit gesellschaftlichen Wertedebatten und den Medien sowie mit dem Wandel des Staatsverständnisses und der Staatsangehörigkeit. Zuletzt wird auch noch einmal vertieft auf die gemeinsame Rolle beider Staaten als "Motor" der europäischen Einigung eingegangen.
Insgesamt hat Hélène Miard-Delacroix einen souveränen Überblick über die deutsch-französischen Beziehungen zwischen 1963 und der Gegenwart auf politischer, gesellschaftlicher und kultureller Ebene vorgelegt. Selbstverständlich werden Experten für Einzelaspekte immer auf Defizite hinweisen können, die in dieser Darstellung wohl vor allem im Kontext der wirtschaftlichen Beziehungen zu suchen sind, die im Vergleich zu anderen Aspekten etwas vernachlässigt werden. Doch ist das der Preis für jede Synthese. Wer sich über den Forschungsstand der deutsch-französischen Zeitgeschichte informieren will, ist mit diesem Band trotz einiger Schwächen der Übersetzung hervorragend bedient.
Guido Thiemeyer