Eckart Conze (Hg.): Kleines Lexikon des Adels. Titel, Throne, Traditionen (= Beck'sche Reihe; 1568), München: C.H.Beck 2005, 260 S., ISBN 978-3-406-51070-0, EUR 14,90
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Franziska Hirschmann: Formen adliger Existenz im 18. Jahrhundert. Adel zwischen Kritik und Reformen, München: Martin Meidenbauer 2009
Eckart Conze / Monika Wienfort (Hgg.): Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Günther Schulz / Markus A. Denzel (Hgg.): Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2002 und 2003, St. Katharinen: Scripta Mercaturae Verlag 2004
Gudrun Tscherpel: The Importance of Being Noble. Genealogie im Alltag des englischen Hochadels in Mittelalter und Früher Neuzeit, Husum: Matthiesen 2004
Eva Labouvie (Hg.): Adel an der Grenze. Höfische Kultur und Lebenswelt im SaarLorLux-Raum (1697-1815), Saarbrücken: Landesarchiv Saarland 2009
Eckart Conze / Ulrich Lappenküper / Guido Müller (Hgg.): Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Eckart Conze: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München: Siedler 2009
Eckart Conze: Schatten des Kaiserreichs. Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe, München: dtv 2020
Das als Taschenbuch konzipierte "Kleine Lexikon des Adels" umfasst 233 Artikel zur deutschen Adelsgeschichte. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf dem 19. und 20. Jahrhundert, aber nicht nur in zentralen Artikeln wird auch das Mittelalter und die Frühe Neuzeit einbezogen. Damit unterstreichen die 17 Historikerinnen und Historiker, die sämtlich zur Adelsgeschichte geforscht haben, dass die Geschichte des Adels über die Epochengrenzen hinaus vom Mittelalter bis in die Gegenwart in langen zeitlichen Zusammenhängen zu sehen ist. Grundbegriffe wie "Allod", "Hofämter", "Grundherrschaft", "Kurfürsten", "Lehnswesen", "Ritterschaft" und "Ständewesen" werden daher erläutert; Artikel wie "Agrarverfassung", "Elite", "Konservatismus", "Monarchie", "Nationalsozialismus", "Weimarer Republik" verdeutlichen die Bedeutung der Adelsgeschichte im Rahmen der allgemeinen Politik-, Gesellschafts- und Sozialgeschichte. Auf die Aufnahme von Personen wurde - mit Ausnahme des Freiherrn von Knigge - verzichtet, die hier beschriebenen Adelsdynastien sind auf die in Deutschland bis 1918 regierenden Familien beschränkt, zusätzlich werden die Habsburger thematisiert. Aber auch die Sichtweise der modernen Medienwelt, nämlich der neugierige Blick auf die fremde Welt des (Hoch-)Adels und seine soziale Exklusivität wird unter den Themen "Yellow Press", "Prominenz" und "Paparazzi" angesprochen.
Die Auswahl von 27 zentralen Themen, die sich auch durch ihren mehrseitigen Umfang deutlich von den übrigen Artikeln abheben, kennzeichnet sehr gut die Konzeption des Lexikons, das die Adelsgeschichte knapp und gut strukturiert sowie mit der allgemeinen Geschichte verschränkt und allgemeinverständlich erklärt: "Adel" (E.Conze), "Adelskritik" (H.Reif), "Adelsliberalismus" (C.Dipper), "Agrarverfassung incl. grundherrliche Gerichtsbarkeit" (Th.Nicklas), "Ehre" (M.Funck), "Elite" (E.Conze), "Erziehung" (M.Wienfort), "Feudalismus" (E.Frauenknecht), "adlige Frauen" (M.Wienfort), "Güter" (I.Buchsteiner), "Junker" (H.Reif), "Kaiserreich" (M.Funck), "Kirche incl. Caritas und Paternalismus" (E.Conze), "Krieg" (M.Funck), "Konservatismus" (V.Conze), "adlige Männer" (M.Funck), "Militär" (M.Funck), "Monarchie" (V.Conze), "Monarchismus" (V.Conze), "Nationalsozialismus" (St.Malinowski), "Neuadel" (E.Conze), "Preußen" (M.Wienfort), "Stand" (Th.Nicklas), "Ständische Gesellschaft" (Th.Nicklas), "Verbürgerlichung" (J.Matzerath), "Weimarer Republik" (E.Conze) und "Widerstand" (E.Conze).
Etliche Artikel, die mittelalterliche und frühneuzeitliche Themen behandeln, sind allerdings so knapp formuliert, dass man sie nur dann vollständig versteht, wenn der Sachverhalt bereits bekannt ist, beispielsweise zu "Allod" und "Lehen", die im gesamten Lexikon nicht näher erläuterte Begriffe wie Heerschildordnung, Allodifizierung und Vasallität enthalten. Bei den Einzeldarstellungen der mittelalterlichen Hofämter (das Amt des Kanzlers wird gar nicht erwähnt) erscheinen die mitgeteilten Informationen recht willkürlich zusammengestellt. So wird etwa nur im Artikel zum Mundschenk darauf hingewiesen, dass es mit der Kurfürstenwürde verbunden war, obwohl dies für alle Hofämter seit dem 13. Jahrhundert galt.
Das Lexikon erläutert in der Mehrzahl seiner Artikel viele Aspekte der adligen Lebenswelt aus der Sicht des Niederadels in Deutschland. Im unterschiedlichen Forschungsstand liegt begründet, dass die zahlreichen deutschen Adelslandschaften und ihre Besonderheiten oft nicht ausgewogen berücksichtigt werden konnten. Etliche Artikel wie beispielsweise "Agrarverfassung", "Güter", "Gutsbezirk", "Leibeigenschaft", "Rittergut" beleuchten die historische Situation daher nur in Bezug auf den brandenburgischen und ostelbischen Adel oder sind aufgrund bestimmter Forschungsschwerpunkte, wie die Artikel zu "Adelsarmut" oder "Agrarkrisen", in den Band eingeflossen. Der Begriff der Gemeinde, der in den süd- und westdeutschen Rechtsverhältnissen von großer Bedeutung ist, wird nicht gesondert in einem Artikel beschrieben, sondern in den Beiträgen zum Gutsbezirk und zur Leibeigenschaft mit einem kommunalen Bezirk als "lokale[m] Fundament der politischen Herrschaft der Rittergutsbesitzer" (107) gleichgesetzt. Dass die Gemeinde beispielsweise im Rheinland trotz der Präsenz des adligen Ortsherrn im Ancien Régime überwiegend genossenschaftlich organisiert und der Adel nicht zuletzt bei der gemeinschaftlichen Nutzung der Flur ein gleichberechtigtes Gemeindemitglied war [1], wird nicht thematisiert, obwohl dies ein eindrückliches Gegenbild zu den ostelbischen Verhältnissen zeichnen würde.
Die Konzeption des Lexikons berücksichtigt auch Adelsorganisationen des 19. und 20. Jahrhunderts wie den Verein der deutschen Standesherren, den Verein katholischer Edelleute Deutschlands (in dem allerdings nur rheinische und westfälische Adlige vertreten sind), die Deutsche Adelsgenossenschaft oder die Vereinigung der Deutschen Adelsverbände. Von den ritterschaftlichen Organisationen, die in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden sind, wird jedoch allein der St. Georgen Verein der württembergischen Ritterschaft vorgestellt, die gleichermaßen bedeutende Althessische Ritterschaft oder die Rheinische Ritterschaft hingegen nicht. Die 1837 gegründete Genossenschaft des rheinischen ritterbürtigen Adels erhielt seitens des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. das Recht auf Einrichtung von Familienfideikommissen und eigener Schiedsgerichtsbarkeit, das Recht auf Gründung eines noch heute bestehenden Fräuleinstifts sowie das Recht auf Einrichtung der Ritterakademie Bedburg, welche in den Beiträgen zu "Adelsinternat" und "Ritterakademie" kurz erwähnt wird. [2]
Insgesamt betrachtet ist das Lexikon ein gut konzeptioniertes Nachschlagewerk und Studienbuch, das zu vielen Artikeln auf weiterführende Literatur verweist (leider allerdings nicht zum zentralen Thema Adelskritik) und dabei fundiert und zugleich auf informative Weise in die Welt des deutschen Adels einführt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. das Kapitel "Gericht, Gemeinde und Untertanen" in: Gudrun Gersmann / Hans-Werner Langbrandtner (Hgg.): Adlige Lebenswelten im Rheinland. Kommentierte Quellen der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2009, 309-337.
[2] Vgl. Carl Heiner Beusch: Adlige Standespolitik im Vormärz: Johann Wilhelm von Mirbach-Harff (1784-1849), Münster / Hamburg / London 1999, 498-520 u. 551-576.
Hans-Werner Langbrandtner