Hubert Bonin / Ferry de Goey (eds.): American Firms in Europe. Strategy, Identity, Perception and Performance (1880-1980), Genève: Droz 2009, 699 S., ISBN 978-2-600-01259-1, EUR 60,72
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Die Geschichte von US-Unternehmen und ihrer Produkte in Europa ist scheinbar schnell erzählt. Beginnend im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und mit unwiderstehlichem Drang nach dem Zweiten Weltkrieg, eroberten sie sowohl hohe Marktanteile als auch die Gunst vieler Konsumenten in der "Alten Welt". US-Unternehmen wurden diesseits des Atlantiks sichtbar, errichteten oder kauften Fabriken, bauten Verkaufsorganisationen im großen Stil auf und nutzten die Massenmedien zu plakativer Werbung. Gleichzeitig hielten unter einem ambivalenten Rezeptionsmix aus Bewunderung und Ablehnung als modern betrachtete US-amerikanische Konsumpraktiken und Lebensstile Einzug in Europa. Was also gibt es nach Jahrzehnte langer Forschung zu diesem Themenkomplex noch Neues zu sagen?
Die Autoren um die herausgebenden Wirtschaftshistoriker Bonin und de Goey betrachten die transatlantische Unternehmensgeschichte keinesfalls als zu Ende erzählt und diagnostizieren einen deutlich komplexeren Prozessverlauf dieses internationalen Kulturtransfers. Ausgehend von der Erkenntnis, dass viele europäische Unternehmen erfolgreiche US-Geschäftsmodelle adaptierten, um konkurrenzfähig zu bleiben, hinterfragen sie, inwiefern nicht auch die Ableger amerikanischer Firmen sich an der Umgebung ihrer Zielmärkte anpassen, sich sozusagen "europäisieren" mussten. Das Ergebnis ist die These von einer "Hybridisierung" transatlantischen Unternehmertums. "American companies investing in Europe may have started using their own ideas about management, production and distribution, but in the end they adapted to national and local conditions." (16)
Dies knüpft an einen Konsens der Kulturtransferforschung an, demzufolge Ideen, Handlungspraktiken und anderes vom Empfänger stets selektiv übernommen und entsprechend des jeweiligen kulturellen Kontextes transformiert werden. Zudem sind Transferprozesse keine Einbahnstraße, sondern wirken auf den Sender zurück. Wie diese Akkulturationsvorgänge von US-Unternehmen in Europa funktionierten, ist hingegen bislang kaum untersucht worden. Die üppige Sammlung von 18 Fallstudien auf Mikro- und Makroebene stellt den ersten Versuch da, Antworten auf diese Fragestellung systematisch zu bündeln.
Die Aufsätze sind als Vorträge für den Kongress der World Association for Economic History in Helsinki im Jahr 2006 entstanden und für die vorliegende Publikation überarbeitet worden. Sie stammen überwiegend von WirtschaftshistorikerInnen europäischer Herkunft und werden durch einen Kommentar der US-amerikanischen "Grand Dame" der multinationalen Unternehmens(MNU)forschung, Mira Wilkins, ergänzt. Während sich der Untersuchungszeitraum des Bandes an Anbahnung und Krise der US-amerikanischen Wirtschaftshegemonie anlehnt, orientiert sich der geographische Zuschnitt der Aufsätze an nationalstaatlichen Grenzen. Abgesehen von zwei Beiträgen über Russland liegt der Fokus auf Ländern westlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs.
Der Untertitel des Sammelbandes "Strategy, Identity, Perception and Performance" fungiert als Leitfaden. So fragen prinzipiell alle Fallstudien nach Motiven und Strategien für den Markteintritt in Europa, inwiefern sich US-Unternehmen mit welchen Mitteln eine jeweils nationale oder gar europäische Identität zulegten, wie Behörden, Konkurrenten und Medien die US-Expansion wahrnahmen und was sich über den kommerziellen und finanziellen Erfolg sagen lässt. (24f)
Ausgezeichnet gelingt vielen Studien der Beleg für die Kernthese von der Anpassungsleistung US-amerikanischer Ableger in Europa. Die Eintrittsschwellen reichen dabei von "offenen Türen" (181f) in den Niederlanden, wie de Goey und Ben Wubs schildern, bis hin zur Abschottung durch den "economic patriotism" Frankreichs. Direktinvestitionen in der Zwischenkriegszeit hatten dort, Bonin zufolge, tendenziell nur Aussicht auf Erfolg, wenn ihnen im Rahmen von joint ventures ein nationales Firmenkleid übergestreift wurde. (102) Susanne Hilgers Beitrag zeigt anschaulich, dass nicht nur effektives Markenmanagement ("Meister Proper") und an landesspezifische Kundenbedürfnisse angepasste Waschmittelrezepte dem Haushaltsgüterhersteller Proctor & Gamble zum Durchbruch im Nachkriegsdeutschland verhalfen. Ebenso wichtig war es, sich mit den - maßgeblich vom nationalen Champion Henkel dominierten - korporativen Netzwerken zu arrangieren, die großen Einfluss auf Preis- und Werberegulierung hatten. (355) In anderen Fällen wirkte die europäische Erfahrung in Form von Wissenstransfers bis hin zum Mutterkonzern zurück, wie Andrew Godley anhand von Singers Distributionsstrategie nachweist. So wurde der in England erstmals eingeführte Direktvertrieb später auch im Heimatmarkt des US-Nähmaschinenherstellers übernommen. (316)
Das durchdachte und komplexe Forschungsdesign können, allein schon quellenbedingt, nicht alle Beiträge gleich gut bedienen. Da die MNU-Forschung in Spanien und Italien noch in den Kinderschuhen steckt, genügt die Quellenbasis dieser Länderstudien für quantitative Trend-Aussagen, aber nicht für Rückschlüsse auf Kulturtransferprozesse auf Makroebene. Erkenntnisarm bleiben auch die Beiträge über die Rolle der American Chamber of Commerce in Spanien und Frankreich. Sie widmen sich der Frage, welchen Beitrag Intermediäre, hier in der Form von Lobbygruppen, zur Akkulturation von US-Unternehmen in ihren Zielmärkten geleistet haben. Besonders die Rolle von AmCham Paris bleibt derart vage, dass sich die Frage stellt, warum der Text - eine Auftragsarbeit des amerikanischen Journalisten Arthur Higbee - in den Band aufgenommen worden ist.
Es fallen weitere Mankos auf. Nahezu alle qualitativen Fallstudien befassen sich mit produzierenden Unternehmen. Mit Woolworth findet sich im ganzen Band nur ein Handelsunternehmen wieder. Zudem ist der Kreis von Unternehmen, die als Gegenstand für detaillierte Untersuchungen herangezogen werden, überschaubar - beispielsweise Ford, Singer und Westinghouse tauchen gleich mehrfach auf. Das relativiert die generalisierende Aussagekraft der Ergebnisse. Völlig vernachlässigt wird zudem die asiatische Herausforderung ab den 1960er Jahren und damit ein wichtiger Entwicklungsschub zur Bildung eines transnationalen Unternehmertums. Hier ist die Globalisierungsforschung eigentlich schon weiter. Für künftige Forschungen wäre es zudem sinnvoll, im Gegenzug den Einfluss der in Nordamerika aktiven europäischen Unternehmen zu untersuchen, um so den wechselseitigen Kulturtransfer in den Blick zu nehmen.
Den Herausgebern Bonin und de Goey (655) und der Kommentatoren Wilkins ist all dies bewusst und es ist eine Stärke des Sammelbandes, dass etliche noch unbeantwortete Fragen gleich in hilfreiche Forschungsanregungen umformuliert werden. Darüber hinaus wäre zu wünschen, dass die Rolle von Intermediären, neben Lobbygruppen auch Werbeagenturen, Beratungsfirmen und Filmproduktionsgesellschaften künftig in den Fokus rücken. Gerade die Bedeutung von Hollywood als Vermittler von Konsumpraktiken und Lebensstilen und damit Wegbereiter für US-amerikanische Produkte und Dienstleistungen wird wiederholt betont (40f, 152). Die Geschichte der Studios ist unter dieser unternehmensgeschichtlichen Fragestellung aber noch unzureichend erforscht.
Insgesamt stellt dieser Band trotz kleinerer Schwächen einen hilfreichen Beitrag zum Verständnis von Unternehmensgeschichte und Kulturtransfer in transatlantischer Perspektive dar. Der innovative Ansatz und die verhältnismäßig große thematische und geographische Spannbreite der Erkenntnisse dürften der Wirtschaftsgeschichte vielfältige Anregungen für weitere Untersuchungen liefern.
Berti Kolbow