Detlef Döring / Cecilie Hollberg (Hgg.): Erleuchtung der Welt - Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften. 600 Jahre Universität Leipzig, Dresden: Sandstein Verlag 2009, 383 S., ISBN 978-3-940319-60-9, EUR 25,00
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Hanspeter Marti / Detlef Döring (Hgg.): Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld 1680-1780, Basel: Schwabe 2004
Detlef Döring / Kurt Nowak (Hgg.): Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650-1820). Teil 1, Stuttgart: S. Hirzel 2000
Cecilie Hollberg: Deutsche in Venedig im späten Mittelalter. Eine Untersuchung von Testamenten aus dem 15. Jahrhundert, Göttingen: V&R unipress 2005
Der sehr gut ausgestattete großformatige Band trägt einen Titel, der gleichsam als Paukenschlag zu verstehen ist. Es wird am Beispiel der berühmten Leipziger Universität, die mit Köln, Heidelberg und Erfurt zu den ältesten Universitäten des deutschen Sprachraums gehört, aufgezeigt, in welchem Maße Universitäten nicht nur die politischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen ihrer Zeit abbilden, sondern vor allem die Entwicklung der Wissenschaften und der Bildung vorantrieben. Der Zeitraum zwischen dem Ausgang des Mittelalters und dem Beginn des 19. Jahrhunderts war keineswegs statisch, rückwärtsgewandt und innovationsfeindlich, wie zuweilen noch immer zu lesen ist. Erst durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren, zu denen die Reformation mit ihren Wurzeln im sächsisch-thüringischen Raum, die Patronage von Gelehrsamkeit und Künsten durch Fürsten und vermögende Bürger sowie nicht zuletzt Humanismus und Späthumanismus als die Gelehrsamkeit positiv beeinflussende Strömungen gehören, werden Universitäten überhaupt und im besonderen die Universität Leipzig zu Zentren des Forschens und Lehrens, der technischen Innovation und der Wissensspeicherung. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass auch die heutigen Disziplinen noch von diesen Errungenschaften profitieren.
Der vorliegende Band mit seinen 40 Beiträgen ist in zwei Teile unterteilt: "Grundlagen und Vorgeschichte der Aufklärung" und "Die Aufklärung in Sachsen", von denen der erste naturgemäß in diesem Rahmen, in dem das Schwerpunkt auf das 17. und 18. Jahrhundert gelegt wird, etwas weniger umfangreich ausfällt. Im zweiten Teil sind es die Untergruppierungen "Träger der Aufklärung", "Wissenschaftliche Disziplinen im Kontext der Aufklärung" und "Formen der Bildung und der Wissenschaften außerhalb von Universitäten und Schulen", die die gewaltige historische und disziplinäre Masse strukturieren. Diese Anordnung trägt sehr zur Übersichtlichkeit bei.
Es ist aus rein umfangsmäßigen Gründen nicht gut möglich, auf jeden einzelnen der Beiträge einzugehen; nur so viel soll generell gesagt werden: Sie alle sind von Fachleuten geschrieben, die auf langjährige Forschungen in dem von ihnen dargestellten Bereich zurückgreifen können. Um die Ausführungen auch für ein breiteres Publikum ansprechend zu gestalten, ist weitestgehend auf Fußnoten mit einer Diskussion der Forschung verzichtet worden; dies wird allerdings durch ausführliche bibliographische Angaben zu jedem einzelnen Beitrag wieder wettgemacht. Hier muss der über diesen Band hinaus interessierte Leser allerdings selbst den Weg in die heutigen Zentren des Wissens suchen und weiterforschen.
Es ist außerordentlich erfreulich, dass alle Ausführungen auf die Bedeutung einzelner Gelehrter verweisen. So wichtig staatliche, kirchliche und universitäre Strukturen auch sind - die Träger und Vermittler von Wissen sind stets die Persönlichkeiten mit ihrer je unterschiedlichen Herkunft, ihrem Bildungsgang, ihren Interessen und Netzwerken. Einigend war bei allen die Vorstellung von einer produktiv voranzutreibenden Forschung und der Erweiterung des Wissens im Ganzen - ob zum Wohle der Religion, der Gelehrsamkeit oder des Staates - sei dahingestellt. Dieser Aspekt erschließt sich bei der Lektüre des gesamten Bandes über die Spezialstudien hinaus, und er scheint hervorhebenswert in Zeiten einer immer stärker gelenkten und einförmiger werdenden Forschungs- und Lehrlandschaft.
Darüber hinaus gehören in steigendem Maße das Verlagswesen, der Buchhandel (mit Leipzig schon in der Frühen Neuzeit als zentralem Messestandort mit weiter Ausstrahlung auch in das östliche Europa hinein) sowie die verschiedenen Sammlungen (Kunst- und Naturalienkabinette) zu den Voraussetzungen, die die Entwicklung der Disziplinen erst ermöglichten.
In konzentrierten Beiträgen werden alle in der Frühen Neuzeit in Leipzig gelehrten Disziplinen gewürdigt: Jura, Theologie, Klassische Philologie, Orientalistik, Philosophie, Kunstgeschichte und Klassische Archäologie, Astronomie, Mathematik, Alchemie und "Chymie", Physik, Wirtschaft, Montanwissenschaft, Geschichte, Anthropologie, Medizin und Botanik. Die Entwicklungen in den einzelnen Fächern sind naturgemäß ganz unterschiedlich und den verschiedensten Strömungen ihrer Zeit verhaftet. Daher lassen sie sich nicht auf den zu schlichten Nenner 'Fortschritt oder konservatives Verharren' bringen. So hing, um nur ein Beispiel zu nennen, in Leipzig die Entwicklung des Faches Jura von den verwickelten personellen Verhältnissen und den juristischen Teilgebieten, die gelehrt wurden, sowie von der Einflussnahme durch den Kurfürst ab; eine gradlinige Entwicklung, die dem Label 'innovation' entspricht, war also nicht zu erwarten. In jedem einzelnen Fall sind die Detaildarstellungen ein Gewinn und laden den Leser zu grenzüberschreitenden Vergleichen ein.
Da der Band nicht den Titel trägt "Die Universität Leipzig und der Beginn der modernen Wissenschaften", sondern diese Institution nur im Untertitel führt, sind eine Reihe von "Ausflügen" in die nicht-universitäre Welt in Leipzig und über die sächsische Metropole hinaus eingeschaltet. Diese umfassen Beiträge zu den gelehrten Frauen (denen ja in der Frühen Neuzeit der Zugang zu Hochschulen verwehrt war) und zum literarischen Leben über solche zum Druck-, Verlags- und Bibliothekswesen, zu Naturalien- und Kunstsammlungen bis hin zu Kunst, Musik und Theater sowie Forschungs- und Bildungsreisen.
Insgesamt bietet der Ausstellungskatalog ein breites Spektrum deutscher und internationaler Forschungs- und Disziplingeschichte, weil seine Beiträger aus zahlreichen Quellen zu schöpfen verstehen. Die gelehrte Welt Leipzigs ersteht vor dem inneren Auge des Lesers als ein äußerst produktiver Mikrokosmos, der durch unzählige Fäden mit den Metropolen und Zentren der Gelehrsamkeit im deutschen Sprachraum und Europas verbunden war.
Detlef Haberland