Ulrich Muhlack: Renaissance und Humanismus. Enzyklopädie deutscher Geschichte Band 93 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 93), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, XII + 276 S., ISBN 978-3-486-57932-1, EUR 24,95
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Eine aktuelle deutschsprachige Einführung in das Thema Renaissance und Humanismus konnte letzthin gerade im Bereich universitärer Lehre als Desiderat gelten. Als langjähriger renommierter Professor für Geschichte der Geschichtsschreibung geht Ulrich Muhlack das Thema mit einem historiographiegeschichtlichen Ansatz an. Er tut dies in zwei Hauptteilen, die jeweils Renaissance und Humanismus behandeln.
Der erste Hauptteil zur Renaissance (B) ist dreifach untergliedert. Erstens werden für die italienische Renaissance die Konzeptionen bei Vasari, Voltaire, Sismondi, Michelet und Ranke vorgestellt, dann selbstredend Jacob Burckhardts wirkmächtiger Entwurf und seine frühe kontroverse Diskussion u.a. durch die Kritiker Henry Thode, Konrad Burdach, den Befürworter Brandi und den bedeutend differenzierenden Paul Joachimsen. Unter dem Stichwort der "neueren Forschung" werden Positionen wie jene von Walter Goetz, Ernst Troeltsch und Johan Huizinga sowie August Buck angeführt, daraufhin aus dem italienischsprachigen Raum Alberto Tenenti, Ruggiero Romano, Eugenio Garin, aus dem englischsprachigen Raum Denis Hay und Peter Burke, und auch eine Diskussion der berühmten These von Hans Baron vom so genannten "Bürgerhumanismus" fehlt nicht im Panorama. Muhlacks abschließende Bewertung der Forschungsgeschichte, die deutlich für das Burckhardt'sche Modell einsteht, steht dann leider recht isoliert, weil sie ohne Anbindung an die neusten Forschungen zu dem Basler Gelehrten erfolgt.
Zweitens diskutiert Muhlack die Konzeptionen einer europäischen Renaissance, zunächst unter der Fragestellung einer europäischen Ausstrahlung der italienischen Renaissance, dann mit Blick auf das Beispiel Frankreich als "Musterland der außeritalienischen Renaissance" (103), mit einem Seitenblick nach England, und schließlich einem Fokus auf das Ungarn des Matthias Corvinus. Kurz angerissen wird auch das Verhältnis von Renaissance, Reformation und der so genannten "Gegenreformation".
Drittens beschäftigt Muhlack sich mit dem "deutschen Humanismus", mit den klassischen Fragen nach vermeintlich verspäteter Rezeption, Zweifeln an einer spezifisch "deutschen" Ausprägung, und der für das Gebiet des Heiligen Römischen Reichs besonders bedeutsamen Frage nach der Reformation. Als Beispiele dienen hier Preußen und Sachsen.
Der zweite Hauptteil zum Humanismus (C) stellt wiederum zunächst die Forschungsgeschichte dar, von Friedrich Immanuel Niethammer über Karl Hagen, Georg Voigt, Jacob Burckhardt, Paul Joachimsen bis hin zu Paul Oskar Kristeller. Nach knappen Exkursen zu Geschichtsverständnis und Geschichtsschreibung kommt er zu der Frage, wer die Humanisten waren. Muhlack definiert: "Die Humanisten waren Gelehrte, Schriftsteller, Literaten, Intellektuelle, die allesamt das Ziel einer 'Wiedererweckung des Altertums' verfolgten", und ordnet die Gelehrten in die europäische res publica litteraria ein. (170). Erwähnt werden ihre bevorzugten Mittel der Gemeinschaftsbildung (Briefwechsel und gelehrte Gesellschaften) und ihr sozialer Status. Unter dem Stichwort "Funktionen des Humanismus" werden zunächst für Italien, dann für das Gebiet des Heiligen Römischen Reichs die Tätigkeitsfelder und Wirkungsorte der Humanisten beschrieben und es werden bedeutende Vertreter (Petrarca, Salutati, Bruni - bzw. Erasmus und Celtis) kurz vorgestellt, auch unter Einbeziehung der wichtigen Arbeit von Harald Müller zum Klosterhumanismus. Ein ausführliches Kapitel widmet sich unter Bezugnahme u.a. auf Caspar Hirschi, Thomas Maissen, Dieter Mertens, Herfried Münkler und Johannes Helmrath dem humanistischen Nationendiskurs sowie Diffusion, Transfer und Rezeption des Humanismus, vor allem im deutschsprachigen Raum, mit Verweisen auf Wimpfeling, Celtis' Germania illustrata, Beatus Rhenanus, aber auch in Ungarn, Frankreich und England. Ein Ausblick zu dem so genannten "Späthumanismus" beschließt den Band.
In der Summe ist hier ein konziser, elegant und engagiert geschriebener Band entstanden, der aus langjähriger Forschung und Erfahrung schöpft und als solcher auch zu würdigen ist. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei zur Einordnung Folgendes bemerkt: Wie die obige Übersicht und auch die Durchsicht der Literaturangaben zeigt, ist dieses Buch erstens pointiert historiographiegeschichtlich ausgelegt und aus der Perspektive der Neuzeit geschrieben. Zweitens ist es vor allem aus deutschsprachiger Literatur erarbeitet und stellt deutsche Themenschwerpunkte dar. Was Punkt eins angeht, hätte eine andere Möglichkeit darin bestanden, die Themen stärker aus zeitgenössischen Quellen und den Strukturentwicklungen des Spätmittelalters herzuleiten, auf die generell wenig im Detail eingegangen wird. Man denke beispielsweise allein an die Arbeit von Götz-Rüdiger Tewes zu den Kölner Bursen, aber auch an die langjährigen Forschungen von Franz Fuchs, Claudia Märtl und anderen. Muhlack betont, keine Personenaufzählungen bieten zu wollen. Dennoch hätten im Bereich der deutschsprachigen Humanisten nicht nur Männer des 16. Jahrhunderts, sondern auch Persönlichkeiten wie Peter Luder oder Hartmann Schedel zumindest erwähnt werden können - wie überhaupt der süddeutsche Raum nur knapp gestreift wird. Generell wäre m. E. auch dem binären Modell von italienischer Ausstrahlung und europäischer Rezeption ein stärker multipolares deutlicher entgegenzustellen gewesen, das zunehmend die vielgestaltigen reziproken bzw. multilateralen oder gar globalen Austauschprozesse und Transfers betont.
Schließlich sei mit Blick auf den zweiten Punkt angemerkt, dass durch die hauptsächliche Konzentration auf selektiv ausgewählte deutschsprachige Autoren und einige wenige besonders prominente englischsprachige Autoren die internationale Forschung, vor allem auch jene der letzten Jahre und Jahrzehnte, in dem Band deutlich zu kurz kommt. Man muss hier - um nur einige zu nennen - nicht nur an die schon klassischen Forschungen von Nicolai Rubinstein, Riccardo Fubini oder James Hankins und vieler anderer denken, die in unmittelbarer Anknüpfung an und in Auseinandersetzung mit Kristeller schrieben, sondern auch an jüngere Anstöße der neuesten Generation, etwa durch Arbeiten wie jene von Brian Maxson oder Nicholas Scott Baker, die im Übrigen im Jahr 2015 einen Sammelband zu einer Neuverortung des Civic Humanism vorgelegt haben.
Es ist somit leider zu konstatieren, dass der zu rezensierende Band nicht den Stand der neuesten internationalen Forschung abbildet. Er ist aber mit den oben genannten Einschränkungen als erster deutschsprachiger Zugriff vor allem auf die klassische Forschungsgeschichte zu den hochkomplexen und vielgestaltigen Phänomenen von Renaissance und Humanismus zu empfehlen.
Tobias Daniels