Daniel Ogden: Alexander the Great. Myth, Genesis and Sexuality, Exeter: University of Exeter Press 2011, XII + 276 S., mit 24 s/w-Abb. und 1 Tabelle, ISBN 978-0-85989-838-6, GBP 20,00
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Wer von diesem Buch einen voyeuristischen Einblick in Alexanders Schlafzimmer erwartet, wird enttäuscht sein. Trotz des etwas reisserischen Untertitels liegt der Schwerpunkt eindeutig beim ersten dort genannten Begriff, Mythos. Es geht Ogden, trotz des Titels, primär auch nicht um den historischen Alexander den Großen, sondern um die Mythenbildung, welche sein Leben hervorbrachte, und er untersucht in erster Linie die Mythenbildung in den Bereichen um seine Zeugung und Geburt bzw. um sein eigenes Sexualleben. Es ist also vorwiegend ein Buch über einige Aspekte der meistens viel späteren literarischen Tradition über Alexander bzw. über die verschiedenen Stufen der Literarisierung seines Lebens. Untersucht werden Dinge, mit welchen der Historiker, der sich vornehmlich für den historischen Alexander interessiert, eher abgeneigt ist, sich zu beschäftigen, und das macht den Wert des Buches aus.
Diese Themen umfassen ein weites Feld: die verschiedenen Geschichtchen ("Mythen"), die später seine Zeugung bzw. Geburt jahrhundertelang umrankten, wie der befruchtende Blitz, der Olympias' Gebärmutter traf, die Zeugung durch eine Schlange, die Rolle des schafbockähnlichen Ammon im Rahmen der Stories über die Gründung des makedonischen Staates sowie das Adlermotiv in Assoziation mit Zeus und Herakles, das bei den Diadochen auch eine gewisse Rolle spielte. Alle werden scharfsinnig und mit großer Gelehrsamkeit sowie - unter Berücksichtigung der fragmentarischen literarischen Tradition und Heranziehen von Bildmaterial - einer teilweise überbordenden Phantasie systematisch aufgeführt und diskutiert, gelegentlich etwas weitschweifend, was den Leser manchmal zu überstrapazieren droht. Das Buch ist trotz des flotten Stils für Anfänger also gänzlich ungeeignet, da es ausserdem Grundkenntnisse nicht nur über den Ereignisablauf des Lebens Alexanders, sondern auch über die Struktur der recht komplizierten literarischen Tradition über ihn voraussetzt.
In dieser Hinsicht vermisse ich allerdings eine Hilfestellung des Autors für den Leser, wenn er unvermittelt etwa aus dem Alexanderroman, der Metzer Epitome oder dem Liber de Morte Alexandri Aussagen heranzieht und bewertet. Auch der erfahrene Leser möchte in solchen Fällen schon wissen, wie Ogden diese späten phantasiereichen popularisiernden Quellen einschätzt und evtl. datiert (auch im Verhältnis zueinander); und diese Schwäche gilt auch für besser bekannte Schriftsteller: sprechen Diodor oder Plutarch jeweils für ihre eigene Zeit oder reflektieren sie ältere Darstellungen, oder beides, einmal so, einmal so, wenn sie die von Ogden angeführten "mythischen" Angaben machen? Damit verbunden ist eine weitere Schwäche des inhaltsreichen Buches. Die "Mythen" scheinen tatsächlich eine eigene literarische Dynamik entwickelt zu haben, aber warum? Gerade in der ersten kritischen Phase nach Alexanders Tod möchte man wissen - oder zumindest die Frage erörtert haben, selbst dann, wenn keine endgültige Antwort möglich sein sollte - wer als gutgläubige "Rezipienten" etwa der Schlangenzeugungsgeschichte in Frage kämen. Auf welche Kreise sollte so etwas wirken? War überhaupt eine Wirkung auf das Realleben intendiert, oder blieb alles in der virtuellen Welt der Phantasie von Literaten unter sich hängen? Auf jeden Fall hätte ich eine stärkere Berücksichtigung der Chronologie der Entwicklung der verschiedenen Formen der Mythen (soweit möglich) gewünscht, was eine schärfere Präzisierung des tendenziellen Charakters der einzelnen Quellen vorausgesetzt hätte.
Der zweite Teil des Buches, der von Alexanders Sexualität handelt, ist sachlicher und weniger spekulativ. Die literarische Tradition über Alexanders Ehefrauen und sonstige sexuelle Partner/innen wird nüchtern auseinandergenommen. Das Ergebnis der z.T. ermüdenden Ausführungen - z.B. der letzlich ergebnislosen Erörterung des Vergleichs Achilles-Patroklos und Alexander-Hephaistion hätte eine Kürzung gut getan - ist allerdings kaum überraschend: auch hier sind die extravagantesten Phantasien der Quellentradition aus einem oder anderen Grund, die von Ogden jeweils überzeugend ausgeführt werden, unglaubwürdig. Alexander war ein Mann seiner Zeit, sein Verhalten entsprach seiner Sozialisierung am polygamen makedonischen Hof sowie im von Männern dominierten soldatischen Leben. Alles andere, was die frei fabulierenden Quellen diesbezüglich anführen, scheint späteres sensationelles oder moralisierendes Geplapper von Aufmerksamkeit suchenden Literaten zu sein. Dem Urteil kann man gut zustimmen.
Insgesamt hinterlässt das Buch einen zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite, bei der Behandlung der "Mythen", strotzt es vor Gelehrsamkeit und Phantasie, was allerdings manchmal verhindert, dass dem Leser klar wird, worum es dem Autor eigentlich geht; auf der anderen Seite, im Hinblick auf Alexanders Sexualleben, bietet Ogden eine ziemlich nüchterne Quellenanalyse, die ohne weiteres akzeptable Ergebnisse über einen zwar modischen, aber vielleicht doch nicht so wichtigen Aspekt des Lebens des ungestümen makedonischen Eroberers erzielt.
R. Malcolm Errington