Rita Winkelmann: Max Beckmann. Studien zur Farbe im Spätwerk, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2010, 478 S., ISBN 978-3-496-01411-9, EUR 79,00
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Ursula Harter / Stephan von Wiese (Hgg.): Max Beckmann und J.B. Neumann. Der Künstler und sein Händler in Briefen und Dokumenten 1917-1950, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2011, 352 S., ISBN 978-3-86560-795-9, EUR 48,00
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Angesichts der zahlreichen Neuerscheinungen zum Werk Max Beckmanns, die in letzter Zeit besprochen wurden, sollten zwei Bücher nicht in Vergessenheit geraten, die auf je ihre Weise bemerkenswert sind.
Rita Winkelmann hat sich in ihrer Paderborner Dissertation mit der Farbe Max Beckmanns beschäftigt und ist damit in der Tat ein immer noch bestehendes Desiderat der Beckmann-Forschung wie der allgemeinen Kunstgeschichte angegangen. Ihr Buch erläutert eingangs die Herangehensweise der Autorin, referiert den Forschungsstand sowie Grundlagen zum Thema Farbe, bevor dann der Ansatz einer "farbanalytischen Ikonographie" skizziert wird. Anhand von ausführlichen Farbbeschreibungen auf der Basis eines detaillierten Farbprotokolls, Fragen nach zugrundeliegenden Farbtheorien und speziellen Aspekten der Farbverwendung versucht Winkelmann dann eine Form-Farb-Analyse vorzunehmen, die in eine umfassende Interpretation der ausgewählten Beispiele mündet und übergreifende Ergebnisse zeitigen soll. Der Ansatz ist mit einigem Anspruch versehen, zieht unterschiedlichste Literatur heran, wobei man sich fragen kann, warum weder Walter Hess' Klassiker Das Problem der Farbe oder Max Imdahls Studie zur französischen Diskussion der Farbe von 1987 berücksichtigt wurden, was allein deshalb erstaunt, weil beide aus unterschiedlicher Perspektive die für Max Beckmann so zentrale Auseinandersetzung mit der französischen Malerei der Moderne in den Blick nehmen. Auch Jacques Le Riders Buch über die Geschichte der Farbe von Lessing bis Wittgenstein, das ein eigenes Kapitel über die Farbe im Expressionismus enthält, bleibt unberücksichtigt. [1]
Anhand von drei Gemälden aus dem Zeitraum 1942 bis 1946 konkretisiert Winkelmann exemplarisch ihre farbikonografischen Untersuchungen: Es handelt sich um "Ruhende Frau mit Nelken" (1940/42; Sprengel Museum Hannover), "Quappi in Blau und Grau" (1944, Museum Kunstpalast, Düsseldorf) und "Mutter mit spielendem Kind" (1946, Kunsthalle Bielefeld). Dem Titel der Studie wird die Autorin so nur formal gerecht: Bilder der frühen Amsterdamer Zeit und vor allem der letzten drei Lebensjahre Beckmanns in den USA, von denen sich einige auch in deutschen Sammlungen befinden, hätten herangezogen werden sollen. Gleichwohl leistet die akribisch durchgeführte Beschreibung und Analyse einen zentralen Beitrag: sie macht nachdrücklich deutlich, wie wichtig Beschreibung und Analyse der Farbe bei Beckmann sind, die ansonsten fast ausschließlich der Inhaltsdeutung geopfert werden. Ob dann aber mit der Beschreibung: "Das Kleid der Mutter in der Sonnenfarbe Gelb kann sie demnach kennzeichnen als göttlich, hell, leuchtend, strahlend, warm, behaglich, sinnlich und auch weise, als wärmespendende Mutter, vielleicht auch weitergehend als Frühlingsgöttin, Göttin der Fruchtbarkeit und des Lebens, sich über alle Grenzen verströmend. Es sind alles Eigenschaften, die einen positiven Muttertypus verkörpern [...]" (107), dem kühlen Gelb des Kleides nahegekommen wird, darf bezweifelt werden. Trotz der klugen und forschungsgeschichtlich sehr berechtigten anfänglichen Begrenzung auf eine formal-analytische Fragestellung kann die Verfasserin dem generellen Problem der Beckmann-Forschung einer projizierenden, überbordenden Inhaltsdeutung nicht entkommen, die sie der Farbanalyse hinterherschiebt. Der analytische Gewinn wird so spekulativ wieder verspielt. Die praktische Herausforderung für die zukünftige Beckmann-Forschung ist von Rita Winkelmann jedoch klar benannt worden.
Ebenfalls als Gewinn für die Beckmann-Forschung ist die kommentierte Edition der Korrespondenz zwischen Max Beckmann und seinem Kunsthändler Jsrael (nicht Israel) Ber Neumann zu bezeichnen. Einige Briefe waren bekannt und sind bereits in der dreibändigen Brief-Edition (1993-1996) aufgenommen worden. Hier werden sie erneut abgedruckt, ergänzt um Briefe, die erst 1997 ans Licht kamen und sich im Nachlass des großen Bauhaus-Forschers Hans Maria Wingler fanden. Zusammen mit einem kurzen unveröffentlichten Typoskript Neumanns sowie seinem Beckmann-Kapitel "Sorrow and Champagne" aus den englisch verfassten, für diese Ausgabe ins Deutsche übertragenen Lebenserinnerungen Neumanns vermittelt die Edition intensiv die wechselvolle, von zeitgeschichtlichen Brüchen gekennzeichnete Beziehung zwischen Händler und Künstler, die seit 1917 bestand.
Neumann stellte Ende 1917 Beckmanns neueste, vom Weltkrieg geprägte zeichnerische und grafische Produktion in Berlin aus, anschließend wurde er zum frühen Förderer der Dadaisten und war anfänglich Mitherausgeber des "Kunstblatt" von Paul Westheim. Die kurze, konzise Einführung der Herausgeber vermittelt, welche Hoffnungen Beckmann bei seiner Strategie, den internationalen Kunstmarkt zu erobern, auf Neumann setzte. Sie schildert auch, wie Neumann Paris jedoch für eine von Picasso dominierte und für Beckmann uneinnehmbare Festung hielt. Deshalb wollte er über den Umweg New York Beckmanns Position, der er sich bedingungslos verschrieb, stärken. Die Briefe und umfangreichen Kommentare vermitteln einen lebendigen Eindruck vom Kunstmarkt der Zeit sowie von der Mentalität der beiden Protagonisten, etwa wenn Beckmann am 2. Juni 1926 festhielt: "Der deutsche Maler existiert noch nicht. - Wiederum ist aber das einzig wesentliche Werk was Sie noch schaffen können Die Erzeugung des deutschen Malers Max Beckmann." (123) Neumann hatte sich ganz in den Dienst des Malers zu stellen und dabei einiges hinzunehmen, etwa wenn Beckmann sich vertragswidrig auch von Alfred Flechtheim vertreten ließ. Doch der Band wirft nicht nur Licht auf die Beziehung zwischen Beckmann und Neumann, er ruft auch einen Kunsthändler in Erinnerung, der einer der frühesten Förderer deutscher Kunst in den USA war und dessen Engagement bis heute Vorbild ist. [2]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Walter Hess: Das Problem der Farbe in den Selbstzeugnissen der Maler von Cézanne bis Mondrian, Mittenwald 1981 (EA 1953); Max Imdahl: Farbe. Kunsttheoretische Reflexionen in Frankreich, München 1987 und Jacques Le Rider: Farben und Wörter. Geschichte der Farbe von Lessing bis Wittgenstein, Wien / Köln / Weimar 2000 (franz. EA 1997).
[2] Vgl. Ausst.Kat. New Worlds. German and Austrian Art 1890-1940, ed. by Renée Price, Neue Galerie New York 2001/02; Gregor Langfeld: Deutsche Kunst in New York. Vermittler - Kunstsammler - Ausstellungsmacher 1904-1957, Berlin 2011.
Olaf Peters