Josef Leeb (Bearb.): Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 (= Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556-1662), München: Oldenbourg 2013, 2 Bde., 1503 S., ISBN 978-3-486-71708-2, EUR 238,00
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Erst 35 Wochen nach der Proposition wurde der Reichsabschied verlesen: Damit fand 1556/57 der (nach dem "Geharnischten Reichstag" von 1547/48) zweitlängste Reichstag des 16. Jahrhunderts statt. Verlief er also besonders dramatisch, produzierte er besonders gewichtige Resultate? Davon kündet die jetzt vorgelegte Edition keinesfalls. Der Reichstag schleppte sich so lang hin, weil erhoffte Teilnehmer zögerlich anreisten und dann wenig Arbeitseifer zeigten. Als die Emissäre der geistlichen Kurfürsten am 20. November bekundeten, am Folgetag nicht beratschlagen, lieber den Feiertag Mariä Darstellung begehen zu wollen, nahmen ihnen die Vertreter Habsburgs fromme Motive hierfür nicht ab, "weil auch an denn höchsten vesten auß inen [...] der weniger thaill inn der kirchen gesehen wurden". "Inn der warmen stuben" sitze man hier beisammen, "bey dem siessen wein unnd chonfect", da sei es doch nicht unzumutbar, "ein wenig ernst" und Arbeitseifer an den Tag zu legen (478). Am 18. Dezember kritisierte Ferdinand, an früheren Reichstagen sei "vil empsiger und ernstlicher" gearbeitet worden (304). Die üblich gewordenen Trödeleien und vielen Pausen aufsummierend, kam er zum Resultat, dass man in Regensburg "nicht über 3 deß thags stund zu rath sesse" (497).
Die Regensburger Tagung fand statt, weil der zu Recht berühmte Reichstag von 1555, nachdem er die konfessionelle Spaltung politisch entschärft hatte, einen weiteren Versuch zu ihrer inhaltlichen Überwindung avisiert hatte. Für fast alle Teilnehmer war das die Hauptaufgabe der Regensburger Versammlung. Für fast alle Teilnehmer (nicht freilich für Ferdinand) war das, nachdem der Religionsfrieden von 1555 besagte Spaltung politisch handhabbar gemacht hatte, indes wenig dringlich. Die Angelegenheit wurde schließlich auf ein Religionsgespräch, ein "Colloquium [...] verschoben" (1385); es wird bekanntlich ganz unerquicklich verlaufen. Ferner beriet man über die Ergebnisse einer Kammergerichtsvisitation und den Vollzug der Reichsmünzordnung von 1551 - um beide Themen nach wenig substantiellen Debatten an außerordentliche Deputationstage weiterzureichen. Nur die finanziellen Nöte des von den Osmanen bedrängten Ferdinand ließen sich nicht vertagen, man bewilligte ihm 16 Römermonate: mehr als die Reichstage zuvor, viel weniger als einige Folgereichstage. Vorwort und Einleitung suggerieren, der Regensburger Tagung verleihe Gewicht, dass ihr Abschied beteuert, der Religionsfrieden sei "jmmerwerendt" gültig (1383). Aber der Augsburger Religionsfrieden sagt doch selbst von sich, er sei "ain bestendiger, beharrlicher, unbedingter, für und für ewig werender frid", noch wortreicher als 1555 geschehen kann man das schwerlich formulieren. Nein, es bleibt dabei: Dem spektakulären Augsburger 'Superreichstag' von 1555 folgte ein viel weniger aufregender. Die Regensburger Tagung war schon für die Zeitgenossen "ein appendix unnd execution der vorigen, zu Augspurg gehaltenen versamblung" (774).
Eine Agentur für Reichstagsmarketing würde vielleicht herausstellen, dass bei der so unspektakulären Regensburger Tagung gleichsam prototypisch Themen und Konstellationen zu besichtigen sind, die auch die Folgerreichstage, bis zur erneuten konfessionellen Polarisierung des Reichsverbandes im späten 16. Jahrhundert, prägen werden.
Um mit Konstellationen zu beginnen: Schon 1556 brachen die Dresdner das kurpfälzische Junktim zwischen der "Freistellung" der Fürstbischöfe und der "Türkenhilfe" durch ihre demonstrativ habsburgfreundliche Haltung auf, denn es war Kurfürst Augusts "meinung und gemut nit [...], die sachen disses reichs tags in ichten zuverhindern" (235). Diese kaisernahe Haltung der Vormacht des lutherischen Deutschland wird bis weit in den Dreißigjährigen Krieg hinein währen, und sie ist eine wichtige Voraussetzung für die Reichspolitik im Vierteljahrhundert des funktionierenden Religionsfriedens. Nachdrücklich unterstützten die Dresdner 1556 Ferdinands Steuerforderung, ja, sie hätten gern noch mehr bewilligt: "Erachten, das mit eim gemeinen feindt der christenhait nit friden zu machen", deshalb müsse "die defension statlichen angestelt" werden (312), oder: "da turck [...] vernemen wurde, das die churfursten die hilff verwaigern, zubedencken, wes solchs ime vor ein hertz pringen wurde" (365) - eine naive, aber für die dem östlichen Reichssaum nahen Dresdner auch bezeichnende Äußerung. Ausgerechnet die geistlichen Kurfürsten (Rheinanlieger sie alle!) sträubten sich gegen Ferdinands Steuerforderung, und am knauserigsten zeigten sich die Mainzischen: Die Konfession gab eben in der Ära des funktionierenden Religionsfriedens nicht mehr durchgehend und in allen Fragen die Fronten vor.
Die Sorge um die Stabilität der Grenzen zum Osmanischen Reich hin wird auch die folgenden Reichstage beschäftigen, das gleiche gilt fürs Thema der inneren Friedenswahrung. Das Problem der Landfriedenssicherung blieb 1556 freilich marginal, der Reichsabschied ermahnt die Reichskreise, die Exekutionsordnung von 1555 "inn würcklich volnziehung" zu "bringen" und die dort vorgesehene "bestellung der Obristen" in Angriff zu nehmen (1401).
Lohnte soviel editorische Mühsal? Schon, weil die noch zu schreibende Geschichte der Institution Reichstag eine geschlossene Aktenreihe voraussetzt, ist die Edition auch unspektakulärer Reichstage willkommen! Vielleicht interessieren ja künftige Historiker am Reichstag von 1556 ganz andere Gesichtspunkte als die so häufig schon analysierten Religionsverhandlungen oder die sattsam bekannte "Türkengefahr". Weil der Reichstag keine schriftlich fixierte Geschäftsordnung besaß, fand der Rezensent eine Debatte über die Frage bemerkenswert, ob sich die Votanten vor ihrer Wortmeldung mit den Kollegen absprechen dürften (vgl. 314f.). Wer eine Begriffsgeschichte der "Freistellung" (ein in den Jahrzehnten nach dem Religionsfrieden grassierender Terminus) spannend findet, den mag frappieren, dass 1556 sogar die Forderung, den Reichsstädteartikel von 1555 aufzuheben, so umschrieben wurde: als "freystelllung" der Reichsstädte (560). Vielleicht ist es fiskal- und sozialgeschichtlich interessant, dass 1556 manche Fürstliche bei der Türkenhilfe für den "weg des gemeinen pfennings" plädierten, weil andernfalls jeder Reichsstand bekanntlich "wol dreymal sovil von seinen underthanen erschatzen" könne als dann dem Reichsfiskal abliefere; nein, befanden die anderen, so "wurde der lasst allein ob den armen ligen, dieselbige iren gemeinen pfenning treulich geben muessen, da aber die reichen kaum den halben oder den dritten theil irer gutter versteuren wurden" (506-508). Aber künftige Interessengebiete und künftige Anfragen an heutige Editionen sind natürlich nicht prognostizierbar. Auch deshalb ist es übrigens sehr zu begrüßen, dass Anfang 2014 eine Online-Ausgabe mit "weiteren Suchoptionen" benutzbar sein soll!
Handwerklich machen die beiden Teilbände den gewohnt grundsoliden Eindruck. Da ein chronologisch gereihtes Aktenverzeichnis mit Seitenverweisen fehlt, hätte man, die abgedruckten Schriftstücke im systematisch angelegten Inhaltsverzeichnis ankündigend, hier stets das Datum dazusetzen sollen - das würde es erleichtern, Texte aufzuspüren, auf die die Sekundärliteratur hinweist oder die man aus älteren, 'vorwissenschaftlichen' Quellensammlungen kennt. Ansonsten ist die Edition tadellos.
Axel Gotthard