Heike Amos: Vertriebenenverbände im Fadenkreuz. Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit 1949 bis 1989 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; Sondernummer), München: Oldenbourg 2011, VI + 321 S., ISBN 978-3-486-70589-8, EUR 49,80
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Nachdem Heike Amos, Mitarbeiterin des Instituts für Zeitgeschichte, im Jahr 2009 eine vielgelobte Monografie zur Vertriebenenpolitik der SED vorgelegt hat[1], kann sie auch mit der vorliegenden Studie überzeugen. Deren Gegenstand sind die Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bezüglich der westdeutschen Vertriebenenverbände. Amos reiht sich damit in eine Reihe kürzlich erschienener Arbeiten ein, die die Nachgeschichte der Vertreibung der Deutschen als transnationale Geschichte erzählen. Bereits 2007 zeigte Christian Lotz auf [2], wie fruchtbar der Blick auf beide Staaten des geteilten Deutschlands sein kann. Amos schreibt diese Verflechtungsgeschichte weiter, wenngleich durch das Prisma der DDR-Staatssicherheit und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Grundlage der Arbeit sind die umfangreichen Bestände von MfS und SED.
Ihre Ergebnisse präsentiert die Verfasserin in drei chronologisch geordneten Kapiteln. Als erste Phase benennt sie die 1950er Jahre, in denen die Grundlagen der gegenüber Vertriebenen und Vertriebenenorganisationen feindlichen Politik gelegt wurden. Nachdem die SED-Führung im Jahr 1952 die schwierige sozioökonomische Situation der Flüchtlinge und Vertriebenen aus ideologischen Gründen zu ignorieren beschloss, gerieten sie "fast nur noch unter repressiven Vorzeichen ins Blickfeld von Staat und Partei" (279). Insbesondere die Kontakte der Vertriebenen untereinander in den beiden deutschen Staaten wurden vom MfS beobachtet, da die Staatsführung deren störenden Einfluss fürchtete. Zu den östlichen Nachbarstaaten, aus deren Territorien die Flüchtlinge größtenteils stammten, waren die Beziehungen noch labil und sollten nicht durch Forderungen nach Grenzrevisionen gefährdet werden.
Nach Gründung des MfS im Jahr 1950 wurde ein Referat für die "Umsiedler und Umsiedlerorganisationen" eingerichtet, in dem zwanzig Mitarbeiter tätig waren. Diese Zahl wurde Ende der 1950er Jahre reduziert, aber zusätzliche Kapazitäten durch die neu gebildete Querschnittsabteilung "Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe" geschaffen. Dieses Referat lieferte die Grundlage für die Revanchismus-Kampagnen der DDR, in deren Kern der pauschale Vorwurf an bundesrepublikanische Vertriebenenorganisationen und ihre Vertreter stand, auf Grenzrevisionen abzuzielen. Diese Kampagnen hatten in den 1960er Jahren - insbesondere angesichts der zunehmend als anachronistisch empfundenen Debattenführung des Bunds der Vertriebenen (BdV) bezüglich der Ostverträge - deutliche Rückwirkung auf den bundesrepublikanischen erinnerungskulturellen Diskurs. Teile der westdeutschen Öffentlichkeit übernahmen die undifferenzierte MfS-Darstellung aller Vertriebenenpolitiker als Revisionisten.
Trotz der sich abzeichnenden gesellschaftlichen Marginalisierung der Verbände nach der Ratifizierung der Ostverträge ließ das MfS in der Feindbeobachtung nicht nach. Es interessierten in dieser Phase die verbandsinternen Haltungen zum Vertragswerk sowie die finanzielle und organisatorische Lage des Verbandes. Dementsprechend war die Einschleusung der Agentin Ursula Richter in das BdV-Büro in Bonn ein Erfolg für das MfS. Bis zu ihrer Enttarnung im Jahr 1985 lieferte Richter, bald in einer Vertrauensstellung bei der Geschäftsleitung des BdV, wichtige Informationen. Amos betont aber, dass sie keine "Top-Agentin" gewesen sei, da der BdV als strategisches Ziel des MfS und der SED in den 1980er Jahren stark an Bedeutsamkeit verloren habe.
Der Gesamtaufbau des Buches überzeugt, so dass eine schnelle Orientierung möglich ist. Für die ganz schnellen Leser bietet Amos ein ausführliches Resümee ihrer Ergebnisse. Insgesamt liegt hiermit eine fundierte und quellengesättigte, aber nicht ausufernde Studie vor, die nur zu empfehlen ist.
Anmerkungen:
[1] Heike Amos: Die Vertriebenenpolitik der SED 1949 bis 1990. München 2009.
[2] Christian Lotz: Die Deutung des Verlusts. Erinnerungspolitische Kontroversen im geteilten Deutschland um Flucht, Vertreibung und die Ostgebiete (1948-1972), Köln u.a. 2007.
Maren Röger