Rezension über:

Benjamin R. Barber: If Mayors Ruled the World. Dysfunctional Nations, Rising Cities, New Haven / London: Yale University Press 2013, XV + 416 S., ISBN 978-0-300-16467-1, GBP 20,00
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Rezension von:
Friedrich Lenger
Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Lenger: Rezension von: Benjamin R. Barber: If Mayors Ruled the World. Dysfunctional Nations, Rising Cities, New Haven / London: Yale University Press 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 4 [15.04.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/04/23831.html


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Benjamin R. Barber: If Mayors Ruled the World

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Das zu besprechende Buch fällt aus dem Rahmen dessen, was Leser der "sehepunkte" gewohnt sind. Denn wenngleich der Autor die Weltgeschichte der letzten zweieinhalb Jahrtausende immer wieder gern bemüht, ist es weder ein (kunst-)historisches, noch ein eigentlich sozialwissenschaftliches Buch. Am ehesten noch lässt es sich der Politikwissenschaft zuordnen, einer Politikwissenschaft indessen, der es nicht um die Lösung klar definierter Forschungsfragen geht und die sich deshalb um die Beschreibung eines Forschungsstands auch nicht weiter schert, sondern die der Weltbevölkerung den Weg in eine bessere Zukunft weisen will. Als Wegbereiter erscheinen die Großstadtbürgermeister, mit denen Benjamin Barber deshalb gesprochen hat und deren Kurzportraits die Abfolge der stärker thematisch zugeschnittenen Kapitel unterbrechen.

Die Titelfrage, was wäre, wenn Bürgermeister die Welt regierten, ist rasch beantwortet: alles wäre besser. Und der Verfasser scheut sich nicht diesbezüglich von "salvation" zu sprechen, zu verstehen sowohl als Errettung von Übeln wie Umweltgefahren oder Sicherheitsproblemen als auch als Erlösung in einem umfassenderen Sinn. Die Gründe für Barbers Optimismus haben nicht zuletzt mit dem Habitus der Bürgermeister zu tun, deren Pragmatismus er gegen die ideologische Verbohrtheit anderer Politiker ins Feld führt und deren Talent, die Dinge geregelt zu bekommen, das leuchtende Gegenbild zur Stagnation nationaler Politik abgibt. Darin ähneln sich seine Helden, auch wenn er in seinen Elogen auf die langjährigen Stadtoberhäupter von Moskau oder Singapur Legitimationsdefizite oder Korruptionsvorwürfe nicht gänzlich ausblendet. Schade, dass die deutschen Großstadtbürgermeister des Kaiserreichs durch die Maschen seines globalgeschichtlichen Fangnetzes gerutscht sind: Sie hätten ihm als technokratische Agenten des Gemeinwohls, die sich kaum von demokratischen Willensbildungsprozessen eingeschränkt sahen, sicherlich gefallen.

Es wäre indessen ungerecht und irreführend, würde man aus Barbers offenkundiger Bewunderung für "Macher" vom Schlage eines Michael Bloomberg oder Boris Johnson auf eine latent antidemokratische Grundhaltung schließen. Das Gegenteil ist der Fall: Ausgangspunkt des Buches ist die Diagnose einer schwerwiegenden Krise der Demokratie und sein Telos eine globale Zivilgesellschaft auf großstädtischer Basis. "As Burke owed his Bristol constituents his good judgment and sense of common purpose on behalf of all England, mayors Bloomberg (New York), Johnson (London), Scholz (Hamburg), Tan (Singapore), and Park (Seoul) - or their successors - would owe their local constituents their sense of common purpose on behalf of the global good." (351)

Dieses Anliegen und diese Grundperspektive muss man kennen, um das Buch in seiner auch historischen Argumentationsweise zu verstehen. Sie ist im ersten der beiden Teile stärker präsent, in dem es um die Frage geht, "why cities should govern globally". Die Antwort findet Barber zum einen in der Unfähigkeit der Nationalstaaten, dies zu tun, zum andern in der Vernetzung der Städte untereinander. Eine solche Vernetzung sei nicht neu, meint er etwa mit Blick auf die Hansestädte, deren Freiheitsliebe sie für ihn Jahrhunderte nach der Blüte der Hanse zu antifaschistischen Bollwerken werden lässt, aber diese Vernetzung gewänne im Zeitalter der Globalisierung einen neuen Stellenwert: "It is not the polis today but the metropolis that must become democracy's agent; the aim of the metropolis must be the cosmopolis. (...) It is the networked, multicultural metropolis that offers a way forward." (77) Nun mag man diesen klassisch hegelianischen Dreischritt von der Enge der antiken Polis über ihre nationalstaatliche Antithese zur multikulturell-metropolitanen Erlösung so wenig überzeugend finden wie einige der von Spengler bis Foucault eingesammelten Lesefrüchte enervierend. Durchaus interessant ist indessen die breite Dokumentation grenzüberschreitender Zusammenschlüsse von Städten, sei es auf dem Gebiet des Umweltschutzes, der Sicherheit oder der Drogenpolitik. Auf ihnen liegt ein Schwerpunkt des zweiten Hauptteils des Buches, der die Frage beantworten will, "how it can be done". Weniger historisch orientiert werden hier in je einzelnen Kapiteln und stets mit weltumspannendem Anspruch Probleme der sozialen Ungleichheit und der Segregation, der Rolle moderner Informationstechnologie oder der urbanen Kultur durchmustert, um gegen Ende in die Vision eines globalen Parlaments der Bürgermeister einzumünden. Das wird bis in die Sitzverteilung für die Vertreter verschiedener Stadtgrößenklassen ausbuchstabiert und muss hier nicht im Detail interessieren. Unbefriedigend scheint indessen, dass der Verfasser selbst auf dem Gebiet, das am ehesten noch so etwas wie einen harten empirischen Kern seines Buches darstellt, nämlich beim Blick auf die Vernetzung von Großstädten, so wenig differenziert vorgeht. Wenn er z.B. mit guten Gründen den früheren Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster als einen der aktivsten Netzwerker überhaupt herausstellt, dann geht er dennoch gedankenlos darüber hinweg, dass die vielen Zusammenschlüsse von Städten, in denen Schuster - oft an führender Stelle - aktiv gewesen ist und noch aktiv ist, sowohl nationale als auch europäische oder eben globale Zusammenschlüsse sind. Anders als der New Yorker Theoretiker und Autor war sich der oft unterschätzte frühere Oberbürgermeister offenbar bewusst, wie vielschichtig kommunales Handeln auf den Ebenen von Stadt, Nationalstaat, supranationalem Staatenbund oder eben der Welt ausfallen muss.

Friedrich Lenger